Vom Burghof aus heben amerikanische Soldaten vom Flugplatz Giebelstadt mit einem Kranwagen das Gebälk millimeterweise in die Höhe. Robert J. Bell ist der erste Helfer, der sich am Nachmittag, als die Bergungsarbeiten immer schwieriger werden und schließlich ins Stocken geraten, kurzentschlossen durch die Trümmer zu der Eingeschlossenen vorarbeitet.
Auch Bell schwebt jetzt in akuter Lebensgefahr. Hannelore Keck liegt mit dem Kopf nach unten eingeklemmt unter schweren Balken. Und dann, um 21 Uhr - acht Stunden nach dem Einsturz - schreien Helfer aufgeregt nach einer Trage. Hannelore Keck wird vorsichtig aus den Trümmern bugsiert. Sie lebt! Die Rettung der 30-Jährigen Näherin aus Tauberrettersheim erscheint an diesem trüben Novembertag wie ein Wunder.
Im Kindergarten gegenüber sitzt Robert J. Bell auf dem Fußboden. In kleinen Schlucken trinkt er Kaffee. Der Soldat kann kaum noch stehen, ist am Ende seiner Kräfte. Draußen kämpfen jetzt über 150 Helfer um das Leben der Verschütteten.
Hoffnung und Verzweiflung wechseln sich ab. Doch im Laufe der Nacht stirbt die Hoffnung. Fassungslos sehen die Menschen zu, wie Bürgermeister Ottmar Menth, der Pfarrer und Männer vom Roten Kreuz um 430 Uhr eine junge Frau zum Friedhof tragen. Auf der Bahre liegt Christa Wutzke (27), Mutter eines fünfjährigen Sohnes.
Zuvor waren Ida Ulsamer (56) aus Aufstetten und Hedwig Biebelmann (37) tot geborgen worden. Die schwierige Bergung des jüngsten Opfers, Helga Hümmert (26) aus Röttingen, dauert bis zum Samstagabend.
Immer mehr Menschen versammeln sich vor dem zertrümmerten Gebäude der Stadt, in dem die Arbeitsstätte der Frauen, eine Miltenberger Kleiderfabrik, untergebracht war.
46 Beschäftigte waren zum Unglückszeitpunkt in der Fabrik, darunter 42 Frauen. 16 Näherinnen und Büglerinnen wurden mit den Balken und Ziegeln des 600 Jahre alten Gebäudes wenige Minuten nach 13 Uhr in die Tiefe gerissen. Auslöser für das Unglück waren Bauarbeiten an der Burg. Den Erschütterungen durch die Schürfgeräte hielten die Mauern offenbar nicht stand.
In das mannshohe Geschoss über dem Kellergewölbe sollte eine Garage für Rotkreuzwagen eingerichtet werden. Die Schuldfrage wurde schon Tage später diskutiert, beschäftigte in den folgenden Monaten und Jahren auch die Gerichte.