Drei Tage im Kloster. Drei Tage ohne Handy, ohne Computer, ohne Fernseher, ohne Lärm. Einfach nur Stille. Um das einmal auszuprobieren, habe ich mich zu einem Einführungskurs in die Zen-Meditation im Kloster Benediktushof in Holzkirchen (Lkr. Würzburg) angemeldet. 54 Menschen sind aus ganz Deutschland angereist, um Zen einmal näher kennenzulernen. Es sind Männer und Frauen aus allen Altersklassen, die Mehrheit ist zwischen 40 und 60 Jahren alt. Was sie sich von diesem Kurs versprechen? Vielleicht mehr Ruhe, Gelassenheit und Achtsamkeit? Fragen kann ich die Teilnehmer nicht, denn der Zen-Kurs ist ein Schweigeseminar.
Der Benediktushof ist ein idealer Ort für solche Seminare. Er geht auf ein Benediktinerkloster aus dem 8. Jahrhundert zurück und gilt auch heute als Kraftort. Die Mischung aus alten Klostergebäuden und neuen Seminarräumen gefällt mir. Die Zimmer selbst sind sehr spartanisch eingerichtet. Ein Bett, ein Tisch mitsamt Stuhl, ein Schrank und eine kleine Nasszelle. Die Wände sind weiß gestrichen. Bilder oder Schmuck gibt es nicht. Doch viel Zeit verbringt man ohnehin nicht im Zimmer.
Der Einführungskurs startet um 18 Uhr mit dem Abendessen. Vorher erklärt der Zen–Meister die Regeln: Wir schweigen. Jeder wartet hinter seinem Stuhl. Man setzt sich erst, wenn alle da sind. Zuvor verbeugen wir uns. Auch soll man nicht mit den Tellern oder dem Besteck klappern. Nicht summen, husten, sich räuspern oder rascheln. „Beim Aufstehen die Stühle bitte nur ganz achtsam zurückziehen“, mahnt der Zen-Meister. Kein Lärm. Stille erfüllt den Raum. Kommunikation klappt bald auch ohne Worte. Per Blickkontakt helfen sich die Teilnehmer, reichen Schüsseln, Gewürze oder die Teekanne weiter. Niemand muss hier sagen, wer er ist und was er so macht. Das ist angenehm.
„Zen ist das Sein in der Gegenwart“
Die Einführung in die Meditation findet im großen Zendo, dem Meditationsraum im Erdgeschoss, statt. Romanische Säulen erinnern daran, dass hier früher ein Kreuzgang war. Im Zentrum des Raumes hängt ein goldener Gong. An den Wänden befinden sich verzierte Holzbänke mit Sitzkissen. „Zen ist das Sein in der Gegenwart“, erklärt Zen-Meister Alexander Poraj. Er ist einer der spirituellen Leiter des Zentrums. In der Gegenwart seien wir Menschen quasi nie. Wir beschäftigen uns entweder mit der Vergangenheit oder wir denken an die Zukunft. „Beim Zen geht es um das Verweilen im Hier und Jetzt.“ Dazu sitzt man in der Stille.
Jeden Tag mehrere Stunden schweigend im Lotussitz verharren oder auf dem Meditationsbänkchen sitzen, den Blick auf den Boden gerichtet. Das ist also Zen. Zazen, so wird die Meditationstechnik genannt. Nach jeweils 15 Minuten schlägt der Zen-Meister zwei Holzklötze aufeinander. Alle stehen auf, verneigen sich. Was nun folgt, nennt sich langsames Gehen. Wie in Zeitlupe setzt man einen Fuß vor den anderen. Immer im Kreis – im Uhrzeigersinn.
Sitzen wird zur sportlichen Anstrengung
Das Sitzen ist eine Herausforderung, für manche schon das erste Problem. Still sitzen wird zur sportlichen Anstrengung. Daher zeigt Poraj verschiedene Arten des Sitzens. Den kreuzbeinigen Sitz, mit oder ohne halben Lotus. Er hält die Teilnehmer dazu an, Hilfsmittel, wie Sitzkissen, Decken oder Meditationsbänke zu verwenden. „Vertraut euch eurem Körper an“, sagt der Zen-Meister. „Ihr übt eine gesteigerte Form der Wachheit.“ Daher müssen die Augen beim Zen geöffnet bleiben: „Es geht nicht darum wegzudriften.“
Andere schauen Sonntagabend den „Tatort“, wir sind auf der Suche nach dem gegenwärtigen Moment. Zeit ist im Kloster relativ: Die Sitzzeiten für Anfänger betragen 15 Minuten. Das klingt gar nicht lange. Doch beim wachen Sitzen können einem Minuten wie eine Ewigkeit vorkommen. Die Hände liegen ineinander auf Höhe des Nabels, die Daumen berühren sich ganz sacht. „So lange du die Berührung spürst, bist du da“, erinnert Poraj. „Noch Fragen?“
Der Benediktushof zählt mit 40 000 Übernachtungen pro Jahr heute zu den führenden spirituellen Zentren in Europa. Die Kosmetikunternehmerin Gertraud Gruber hat das Anwesen 2002 gekauft und dem Zen-Meister Willigis Jäger für seine spirituelle Arbeit zur Verfügung gestellt. Im Dezember 2003 wurde der Kursbetrieb aufgenommen. Den 91-jährigen Gründer des Zentrums sieht man auch heute noch im Garten herumspazieren.
Zum Zen gehört auch Bewegung
Wer Zen mag, sollte Frühaufsteher sein. Der Montagmorgen beginnt bereits um 5.15 Uhr mit Aufstehen. Zum Zen gehört nicht nur das Sitzen in der Stille, sondern auch Bewegung. Kinhin ist im Zen-Buddhismus die Meditation während des Gehens oder das Gehen in Achtsamkeit und Bewusstheit. Die Geschwindigkeit im Kinhin variiert – von langsam, bis zu einem zügigen Tempo –, insbesondere, wenn es im Freien geübt wird. Empfohlen wird dunkle Kleidung, da bunte, grelle Farben sowie auch Parfüm andere ablenken könnten. „So kann jeder besser bei sich bleiben.“
Um 5.45 Uhr ist es draußen noch dunkel und es nieselt leicht. Auf dem Programm steht schnelles Gehen in Freien. Raus aus dem Hamsterrad des Alltags, einreihen in den Zen-Geh-Kreis. Mit schnellen Schritten umkreisen wir den Brunnen des Innenhofs. Die kühle Luft tut zwar gut, aber das frühe Aufstehen fällt mir schwer. Doch: „Der Geist ist am Morgen ruhiger. Das nutzen wir“, erklärt der Zen-Meister. Alexander Porja hat in Religionswissenschaften promoviert. Heute fühlt er sich keiner Glaubensrichtung mehr zugehörig. „Die Praxis des achtsamen Gehens kann bis auf den historischen Buddha zurückverfolgt werden“, erklärt er.
Allmählich gewöhnt man sich an die Gruppe und ist trotzdem ganz bei sich selbst. Von den Kursteilnehmern erfährt man gar nichts. Im Speisesaal sitze ich immer wieder neben einer Frau, die mir irgendwie sympathisch ist. „Wie gefällt dir dieser Kurs?“, möchte ich sie am liebsten fragen. Doch ich lasse es. Wir lächeln uns nur zu. Für mich ist es so ungewohnt, nicht mit den Leuten sprechen zu dürfen. Als Journalistin hat man immer so viele Fragen.
Zen ist ein Lebensweg
Zen ist keine Lehre, kein Konzept, keine Religion, kein Dogma, keine Lebensphilosophie. „Zen ist ein Weg. Ein Lebensweg – nicht mehr und nicht weniger“, sagt Poraj. Dieser Weg verkörpert einfach das Wichtigste am Menschsein. Und das ist Einheit und Gegenwart. Diese muss aber nicht gesucht oder gar gefunden werden, es ist immer da – jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, in jedem Atemzug. „Und wie kann ich Zen in meinen Alltag einbauen?“, frage ich den spirituellen Lehrer in einem Einzelgespräch. „Frag dich lieber, wie du deinen Alltag in Zen einbauen kannst“, lautet seine Antwort. „Denn Alltag ohne Gegenwart und Präsenz gibt es nicht.“
Am dritten Tag funktioniert alles schon ein bisschen besser: einatmen, ausatmen, nichts sollen, nichts müssen, nur dasitzen. Ich bin zwar noch lange keine Zen-Meisterin, aber manchmal kreisen deutlich weniger Gedanken in meinem Kopf. Könnte es tatsächlich sein, dass mein Geist zur Ruhe kommt? Zen lehrt einen, alles ein bisschen bewusster zu tun. Wenn man sitzt, sitzt man. Wenn man geht, geht man. Wenn man isst, isst man. Wenn man Kaffee trinkt, trinkt man Kaffee. Das hat mir Alexander Poraj im Einzelgespräch noch einmal verdeutlicht.
Dass Meditation gesund ist, zeigte eine Studie der Harvard-Universität in Cambridge. 25 Minuten Meditation am Tag senkten die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Blut und machen gelassener. Die geistigen Übungen sollen die Herzgesundheit verbessern sowie Schmerzen und Depressionen lindern können.
Als weiteren Bestandteil der Achtsamkeit beteiligt man sich im Benediktushof jeden Tag eine Stunde an der Haus- oder Gartenarbeit. Am letzten Tag besteht die Aufgabe darin, sein Zimmer selbst sauber zu machen und die Betten ab- und wieder neu zu beziehen.
"Ich bleibe im Hier und Jetzt"
Mittags werden ein letztes Mal die Holzstäbe aneinandergeschlagen. Die Teilnehmer dürfen nun wieder reden. Einige tun es, andere genießen weiter die Stille. Ich steige schweigend in mein Auto. Das Radio, das beim Starten losplärrt, schalte ich sofort aus. Dann überlege ich, was ich am Donnerstag für meine Kinder kochen könnte. Donnerstag? Heute ist doch erst Dienstag. Ich bleibe im Hier und Jetzt. Und fahre einfach nach Hause.
Der Benediktushof in Holzkirchen bei Würzburg bietet Raum für eine Auszeit, um Gegenwart zu üben und sich auf Wesentliches zu besinnen. Die unterschiedlichen meditativen Übungswege des Ostens und Westens können dort religionsübergreifend erlernt werden – neben Zen und Kontemplation werden auch Yoga, moderne Achtsamkeitsmethoden wie MBSR (Stressreduktion) sowie Kurse aus den Bereichen Führungskompetenz, Kreativität, Gesundheit und Selbsterfahrung angeboten. Weitere Infos: www.benediktushof-holzkirchen.de