Es sind spezielle Aquarelle von den Würzburger Ruinen, die der Maler Wolfgang Lenz nach dem Krieg in der zerstörten Stadt gemalt hat. Mangels Farbe verwendete der 2014 verstorbene Künstler nämlich Rübensirup.
In der amerikanischen Besatzungszone, zumal im landwirtschaftlich geprägten Unterfranken, war die Ernährungslage nach dem Zweiten Weltkrieg nicht ganz so katastrophal wie in den Industriegebieten des Rheinlands. Trotzdem gab es auch für Gemüse Bezugsscheine.
Waren für eine Zuteilungsperiode die preisgünstigen und relativ reichlich verfügbaren Steckrüben angekündigt, hielt sich die Begeisterung arg in Grenzen. Und dies nicht nur bei den Älteren, die im 1917 im Ersten Weltkrieg den berüchtigten "Steckrübenwinter" miterlebt hatten.
Rüben, das war Viehfutter, so lautete das Vorurteil, wenn man eine Scheibe Steckrübe aufs Brot bekam. Der wenig appetitliche Geruch gekochter Rüben im Treppenhaus gehört zu den eher unangenehmen Kindheitserinnerungen der Nachkriegszeit, wie folgendes Liedchen belegt:
"Die Rüben, die Rüben,
die haben mich vertrieben.
Hätt‘ die Mutter Fleisch gekocht,
dann wäre ich geblieben!"
Aber es half ja nichts: Neben Brennnesselsalat, Vogelbeergelee, Berberitzen – oder Ebereschenmarmelade, Eichelbrot und Kastanientorte stand die Steckrübe mangels Alternative mancherorts täglich auf dem Tisch. Allerdings, je nach Findigkeit und Phantasie der Hausfrau in verschiedenster Form: Ob als Steckrübenklößchen, Steckrübenauflauf, Steckrübenpuffer oder als Ersatzgemüse in Form von Rüben-Sauerkraut oder – nach Zugabe von roter Beete – als "Rotkraut".
Ersatz für Kaffee und Tabak
Nicht nur aus gemahlenen Eicheln und Kastanien, sondern auch aus geraspelten und getrockneten Steckrüben entstand Muckefuck. Verzweifelte Raucher machten daraus sogar Tabak, der sich allerdings nur in der Pfeife rauchen ließ. Kinder bekamen "Rübenbonbons", die sich bei Bedarf auch als Rosinenersatz verwenden ließen.
Praktisch veranlagte Nachkriegsautoren erstellten ganze Steckrübenkochbücher. Um Würzburg und im Ochsenfurter Gau wurden reichlich Steckrüben angebaut – in Ochsenfurt gab es ja die Rohzuckerfabrik.
Der aufwändig herzustellende Rübensirup, unzutreffend als "Rübenkraut" bezeichnet, genoss dagegen schon in Friedenszeiten einen guten Ruf – nicht nur als Fliegenleim. Dazu wurden die Rüben sorgfältig geschält, klein geschnitten und nach dem Kochen durch den Fleischwolf gedreht. Durch ein Tuch gepresst entstand aus dem Brei ein Saft, der so lange gekocht wurde, bis er gelierte bzw. karamellisierte. Gab man eine Messerspitze Pottasche zu dem Sud, verlor sich auch der letzte Rübengeschmack.
Zähflüssiger als Honig
Dieser "Rübensirup" war dunkel, zähflüssiger als Honig und schmeckte als Brotaufstrich würzig süß. Das ließen sich sogar der Herr Pfarrer und die Hausärzte schmecken, die damals auf dem Land meist in Naturalien wie Eiern oder Schinken bezahlt wurden.
Mangel und Einfallsreichtum beschränkten sich nicht nur auf Nahrungsmittel: Als der Maler Wolfgang Lenz (1925-2014) aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte, waren Farben, vor allem das teure Sepia auch für viel Geld nicht zu haben. Diesem Umstand verdanken wir eine Serie mit Rübensirup gemalter Würzburger Ruinenbilder von 1947, die mit ihren warmen Ockertönen einen ganz besonderen Charme haben.