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Würzburg
Rübensirup statt Sepia
Andreas Mettenleiter
 |  aktualisiert: 23.04.2020 02:10 Uhr

Es sind spezielle Aquarelle von den Würzburger Ruinen, die der Maler Wolfgang Lenz nach dem Krieg in der zerstörten Stadt gemalt hat. Mangels Farbe verwendete der 2014 verstorbene Künstler nämlich Rübensirup.

In der amerikanischen Besatzungszone, zumal im landwirtschaftlich geprägten Unterfranken, war die Ernährungslage nach dem Zweiten Weltkrieg nicht ganz so katastrophal wie in den Industriegebieten des Rheinlands. Trotzdem gab es auch für Gemüse Bezugsscheine.

Waren für eine Zuteilungsperiode die preisgünstigen und relativ reichlich verfügbaren Steckrüben angekündigt, hielt sich die Begeisterung arg in Grenzen. Und dies nicht nur bei den Älteren, die im 1917 im Ersten Weltkrieg den berüchtigten "Steckrübenwinter" miterlebt hatten.

Rüben, das war Viehfutter, so lautete das Vorurteil, wenn man eine Scheibe Steckrübe aufs Brot bekam. Der wenig appetitliche Geruch gekochter Rüben im Treppenhaus gehört zu den eher unangenehmen Kindheitserinnerungen der Nachkriegszeit, wie folgendes Liedchen belegt:

"Die Rüben, die Rüben,

die haben mich vertrieben.

Hätt‘ die Mutter Fleisch gekocht,

dann wäre ich geblieben!"

Aber es half ja nichts: Neben Brennnesselsalat, Vogelbeergelee, Berberitzen – oder Ebereschenmarmelade, Eichelbrot und Kastanientorte stand die Steckrübe mangels Alternative mancherorts täglich auf dem Tisch. Allerdings, je nach Findigkeit und Phantasie der Hausfrau in verschiedenster Form: Ob als Steckrübenklößchen, Steckrübenauflauf, Steckrübenpuffer oder als Ersatzgemüse in Form von Rüben-Sauerkraut oder – nach Zugabe von roter Beete – als "Rotkraut".

Ersatz für Kaffee und Tabak

Nicht nur aus gemahlenen Eicheln und Kastanien, sondern auch aus geraspelten und getrockneten Steckrüben entstand Muckefuck. Verzweifelte Raucher machten daraus sogar Tabak, der sich allerdings nur in der Pfeife rauchen ließ. Kinder bekamen "Rübenbonbons", die sich bei Bedarf auch als Rosinenersatz verwenden ließen.

Praktisch veranlagte Nachkriegsautoren erstellten ganze Steckrübenkochbücher. Um Würzburg und im Ochsenfurter Gau wurden reichlich Steckrüben angebaut – in Ochsenfurt gab es ja die Rohzuckerfabrik.

Der aufwändig herzustellende Rübensirup, unzutreffend als "Rübenkraut" bezeichnet, genoss dagegen schon in Friedenszeiten einen guten Ruf – nicht nur als Fliegenleim. Dazu wurden die Rüben sorgfältig geschält, klein geschnitten und nach dem Kochen durch den Fleischwolf gedreht. Durch ein Tuch gepresst entstand aus dem Brei ein Saft, der so lange gekocht wurde, bis er gelierte bzw. karamellisierte. Gab man eine Messerspitze Pottasche zu dem Sud, verlor sich auch der letzte Rübengeschmack.

Zähflüssiger als Honig

Dieser "Rübensirup" war dunkel, zähflüssiger als Honig und schmeckte als Brotaufstrich würzig süß. Das ließen sich sogar der Herr Pfarrer und die Hausärzte schmecken, die damals auf dem Land meist in Naturalien wie Eiern oder Schinken bezahlt wurden.

Mangel und Einfallsreichtum beschränkten sich nicht nur auf Nahrungsmittel: Als der Maler Wolfgang Lenz (1925-2014) aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte, waren Farben, vor allem das teure Sepia auch für viel Geld nicht zu haben. Diesem Umstand verdanken wir eine Serie mit Rübensirup gemalter Würzburger Ruinenbilder von 1947, die mit ihren warmen Ockertönen einen ganz besonderen Charme haben.

Wolfgang Lenz
Als bedeutender Vertreter des „Phantastischen Realismus“ gilt der Würzburger Maler und Grafiker Wolfgang Lenz (* 17. März 1925 in Würzburg; † 1. Januar 2014).  Nach Kriegsende besuchte von 1947 bis 1949 die Würzburger Kunst- und Handwerkerschule. Sein Lehrer war Heiner Dikreiter, der Gründer der Städtischen Galerie Würzburg.
1949 nahm Lenz ein Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München auf und kam in die Klasse von Hermann Kaspar. Sein ehemaliger Lehrer und Mentor Dikreiter ermöglichte ihm 1954 eine erste Ausstellung seiner Bilder in Würzburg. Eine zweite folgte vier Jahre später. Seine Grafiken stellte das Goethe-Institut in Rom aus. Ab 1959 wirkte Lenz als Dozent an der Würzburger Werkkunstschule. Im Jahre 1963 heiratete er Hella Seibel (jetzt Hella Lenz). Zwei Jahre später kam Tochter Barbara Lenz, die auch künstlerisch tätig ist, zur Welt.
Im privaten und öffentlichen Auftrag malte er in Würzburg, Aschaffenburg, Wiesbaden, Straubing und München. Sein Wohnhaus hatte er in Würzburg, wo auch ein Weg nahe der Leistenstraße nach ihm benannt ist.
Als Künstler für Wand- und Deckenmalerei hat Lenz in seiner Heimatstadt 1984 den großen Plenarsaal des Rathauses ausgemalt. Besondere Bekanntheit erlangte er mit dem Würzburger Totentanz aus dem Jahr 1970. Dieses zum 25. Jahrestag der Stadtvernichtung durch ein Flächenbombardement der Royal Air Force am 16. März 1945 geschaffene Bild war auch als Plakat weit verbreitet. Die von Wolfgang Lenz 1978 bis 1986 rekonstruierten und ergänzten Hinterglasmalereien ermöglichten die vollständige Wiederherstellung des im Krieg zerstörten Spiegelkabinetts in der Würzburger Residenz.                                       Quelle: Wikipedia


 
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