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WÜRZBURG
Rowdys, Raser und Randale: Nimmt die Aggression im Straßenverkehr zu?
Aggression im Straßenverkehr alarmiert       -  Ist es Zufall, dass sich Schlagzeilen über Aggression und Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr häufen? Oder gibt es mehr Rowdys auf vier Rädern, mehr Kampfradler und pöbelnde Passanten?
Foto: Sina Schuldt | Ist es Zufall, dass sich Schlagzeilen über Aggression und Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr häufen? Oder gibt es mehr Rowdys auf vier Rädern, mehr Kampfradler und pöbelnde Passanten?
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 27.04.2023 06:36 Uhr

Anbrüllen ist noch harmlos. Wildes Gestikulieren oder eine geballte Faust: Zwischen Autofahrern und Radfahrern versagt vielerorts die Sprache. Statt sich umsichtig zu begegnen, enden manche Aufeinandertreffen mit einer handfesten Auseinandersetzung. Auf vielen Straßen wird bedrängt und geschnitten. Viele Radfahrer ignorieren rote Ampeln, als gäbe es sie gar nicht, Fußgänger sowieso. Dass sich Autofahrer und Radfahrer nicht immer grün sind, belegt auch eine TNS-Emnid-Umfrage unter 1000 Deutschen im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) im Rahmen der Kampagne „Runter vom Gas“.

Demnach nimmt mehr als die Hälfte der Befragten, 61 Prozent der Radfahrer und 56 Prozent der Autofahrer, häufig Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Verkehrsparteien wahr. Ist es Zufall, dass sich Schlagzeilen über Aggression und Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr häufen? Oder gibt es mehr Rowdys auf vier Rädern, mehr Kampfradler und pöbelnde Passanten?

Michael Zimmer, Pressesprecher beim Polizeipräsidium Unterfranken, kann darüber keine genauen Angaben machen. „Das sind subjektive Einschätzungen“, sagt Zimmer. Insgesamt nehme der Verkehr vor allem in den Städten zu und dadurch entstünden, so seine Vermutung, auch mehr Konflikte unter den Verkehrsteilnehmern.

Straßenverkehr wird immer rücksichtsloser

Holger Randel kann da mitreden. Zwölf Jahre lang, bis zum Ruhestand 2015, war er Hamburgs Verkehrsberufungsrichter am Landgericht. „Ich kann das nicht mit Zahlen belegen“, sagt er. Aber er sehe eine Tendenz, dass die Missachtung von Regeln im Straßenverkehr zunehme – und zwar gravierend. „Ich erlebe den Straßenverkehr wie den Rest der Gesellschaft: als rücksichtsloser“, ergänzt er. Menschen lebten ihren Frust auch stärker über ihr Auto oder Rad aus als früher.

Es gibt Gründe für den Frust: Die Infrastruktur in Städten hält dem Verkehr kaum noch stand. „Es gibt mehr Autos und mehr Fahrräder, aber es fehlt an Infrastruktur“, sagt Mark Vollrath, Verkehrspsychologe an der Universität in Braunschweig. Die große Aufgabe der Städte wird in Zukunft sein, beide Verkehrsteilnehmer, Autofahrer und Radfahrer, besser voreinander zu schützen, erklärt der gebürtige Würzburger Vollrath.

Es wird zu wenig für Radfahrer getan

„Bayern ist industriell bedingt ein Autoland“, sagt Laura Ganswindt, Pressesprecherin beim Allgemeinen Deutschen Fahrradclub Bayern (ADFC) in der Landesgeschäftsstelle in München. Für Fahrradfahrer werde im Freistaat noch viel zu wenig getan. „In Städten wie Amsterdam oder Kopenhagen gibt es ein friedliches Nebeneinander von Pkw- und Fahrradfahrern“, sagt Ganswindt.

Städte wie Chicago und New York in den USA hätten es vorgemacht: Um das Radfahren sicherer zu machen, böten sie Radfahrern mit „Protected Bikelanes“ getrennt vom Fuß- und Autoverkehr eine eigene Fläche auf der Fahrbahn. In der deutschen Radverkehrspolitik sei das laut ADFC noch nicht angekommen. „Der Radentscheid Bamberg ist ein Vorzeigebeispiel, wo Bürger sich für mehr Sicherheit im Radverkehr und den Schutz der Radfahrer einsetzen“, erklärt Ganswindt. Weitere positive Beispiele unter den bayerischen Städten kann Ganswindt nicht nennen. „Es gibt hier und da Bemühungen, aber von konsequenter Radverkehrsförderung kann man da nicht sprechen.“

Immer mehr Unfälle mit E-Bikes

E-Bikes werden auch in Unterfranken immer beliebter. Laut dem Jahresbericht des Deutschen Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) hat sich die Anzahl der Pedelecs, also Fahrräder mit elektronischer Unterstützung, in den letzten Jahren auf deutschen Straßen auf drei Millionen erhöht. Auch die Anzahl der Unfälle mit Pedelecs zeigt, so Polizeipressesprecher Zimmer, eine steigende Tendenz. So wurden in Mainfranken im Jahr 2017 insgesamt 73 Unfälle mit Pedelecs aufgenommen, das sind sieben Prozent aller Unfälle mit Fahrrädern.

Steigende Mieten drängen Menschen aus den Metropolen ins Umland – damit schwellen Pendlerströme weiter an. Online-Bestellungen befeuern den Lieferverkehr, Billig-Bus-Flotten werben der Bahn Kunden ab. Im Januar 2018 gab das Kraftfahrtbundesamt den Fahrzeugbestand auf Deutschlands Straßen mit 63,7 Millionen an – rund 1,1 Millionen mehr als zum vorigen Stichtag. Dazu zählt alles vom Laster über den Kleinwagen bis zum Motorrad und Anhänger.

Jeden Tag gibt es kilometerlange Staus

2013 legten Fahrzeuge 705 Milliarden Kilometer im Jahr zurück, im Jahr 2016 erreichte die jährliche Gesamtfahrleistung der in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeuge 725,8 Milliarden Kilometer. Im vergangenen Jahr meldete der ADAC eine Rekordzahl von 723 000 Staus. Im Durchschnitt bildet sich jeden Tag eine Blechlawine von knapp 4000 Kilometern.

Und noch mehr Zahlen: So starben nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamts im vergangenen Jahr 3186 Menschen bei Verkehrsunfällen auf deutschen Straßen, 62 Menschen starben in Unterfranken. Die Gesamtzahl der Unfälle nimmt aber auch in Unterfranken immer weiter zu. 42 443 Unfälle ereigneten sich 2017 auf Mainfrankens Straßen, 2016 waren es 41 629. „Diese Entwicklung ist auch mit den steigenden Kfz-Zulassungen und dem erhöhten Verkehrsaufkommen in den letzten Jahren in Verbindung zu bringen“, erläutert Zimmer.

Es gibt viel mehr Möglichkeiten für aggressives Fahren

Umweltpolitisch gewollt fahren auch immer mehr Bundesbürger Fahrrad. E-Bikes erhöhen das Tempo. Selbst auf neuen, breiten Radwegen wird es ungemütlicher. Dazu kommt die immer modernere Technik beim Auto: Auch erschwingliche Modelle beschleunigen innerhalb weniger Sekunden auf mehr als 100 Stundenkilometer. Viele Autos wiegen fast zwei Tonnen. Ex-Richter Randel hat nichts gegen schnelles Fahren, wo es möglich und erlaubt ist. Aber die Technik lässt für ihn neben Imponiergehabe auch viel mehr Möglichkeiten zu für aggressives Fahren – bis hin zur Gewalt. Eine Art Panzer-Gefühl.

„Es gibt nicht den typischen Verkehrsrowdy. Das geht durch alle Bevölkerungsschichten und alle Ethnien“, sagt Randel. Junge seien häufiger Täter als Ältere. Frauen verhielten sich im Straßenverkehr oft rühmlicher als Männer, aber seit rund 15 Jahren führen auch sie rücksichtsloser. Es gehe nicht allein gegen aggressive Männer am Steuer – auch gegen andere Frauen.

Etwa 10 000 Menschen im Jahr bekämen acht Punkte in Flensburg voll und würden damit ihren Führerschein los. „Die Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit oder nicht angepasste Geschwindigkeit sind nach wie vor die Hauptunfallursache in Mainfranken“, sagt Zimmer vom Polizeipräsidium in Würzburg.

Die meisten wollen schnell von A nach B

Ein Grundbedürfnis können auch Psychologen Verkehrsteilnehmern nicht abtrainieren: Die meisten wollen auf direktem Weg von A nach B, möglichst schnell und möglichst sicher. Dabei werden sie automatisch zu Rivalen. Der andere, das ist ein Störfaktor – und niemand, den man lieb hat. Mit immer mehr Verkehr steigen die Chancen, beim eigenen Vorwärtsstreben geärgert und frustriert zu werden.

„Wir raten den Fahrradfahrern lieber rücksichtsvoll zu fahren und die Geschwindigkeit zu drosseln, denn sonst ist man als Radfahrer selbst der Leidtragende“, sagt ADFC-Sprecherin Ganswindt. Verkehrspsychologe Mark Vollrath wünscht sich Tempo 30 in den Städten. „Das würde den Verkehr massiv entschärfen, und das wäre ein echter Gewinn für die Radfahrer“, erklärt er.

(Mit Informationen von dpa)

Wer ist rücksichtsloser: Pkw- oder Radfahrer?

Gut vier von fünf Radfahrern (81 Prozent) in Deutschland ärgern sich über rücksichtslose und unvorsichtige Autofahrer. Das hat eine Umfrage des Marktforschungsinstituts TNS Emnid ergeben. 74 Prozent ärgern sich außerdem über Autos, die auf Radwegen parken.

Und fast zwei Drittel (65 Prozent) stören andere Radler, die sich nicht an die Verkehrsregeln halten. Auf die weitere Frage, wie oft sie sich durch Autos bedroht fühlen, antworteten zehn Prozent „häufig“, 54 Prozent „selten“ und 35 Prozent „gar nicht“.

Umgekehrt hält rund ein Drittel der Deutschen Radfahrer für rücksichtslos. 68 Prozent der Bürger attestieren ihnen aber Umweltbewusstsein, wie die Versicherung CosmosDirekt auf Grundlage einer Forsa-Umfrage mitteilte. 62 Prozent der Befragten halten Radfahrer demnach für sportlich und 60 Prozent für gesundheitsbewusst.

Mit den Fahrkünsten der Radler sind dagegen 34 Prozent der Befragten unzufrieden und bewerten Radfahrer als rücksichtslos. 32 Prozent halten sie für waghalsig. Es gebe aber auch „viele Fälle, in denen Radfahrer durch unvorsichtiges Verhalten von Autofahrern oder Fußgängern gefährdet werden“, erklärte Bernd Kaiser von CosmosDirekt.

 
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  • G. S.
    Radfahrer und vor allem Radfahrerinnen fahren bevorzugt auf den Bürgersteigen, gut abgesichert mit Helm, Ellenbogen- und Knieschützern, herum. Besonders "lustig" sind Radler auf dem Bürgersteig mit sogenannten Lastenrädern oder Anhängern in denen sich zwei Kleinkinder tummeln. Diese Leute glauben, alle Rechte wurden auf sie übertragen. Diese Radfahrer besitzen garantiert alle einen Führerschein und müssten wenigstens ein bisschen die Straßenverkehrsordnung kennen.
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  • E. V.
    Radfahrer mit Ellenbogen- und Knieschützern? Wo gibts denn sowas?
    Und bevorzugt fährt kein Radler auf dem Bürgersteig, da sind ja oft lästige Fußgänger unterwegs. Das macht man eigentlich nur aus Sicherheitsgründen, weil die Fahrbahn zu gefährlich ist.
    Lieber fahren wir auf breiten Radwegen oder breiten Straßen, wo man dann nicht mit 5 cm Seitenabstand überholt wird. Gibts leider alles viel zu wenig!
    Dass Fußgänger auch genügend oft auf Radwegen rumlaufen, und gefährliche Situationen erzeugen, davon spricht nie einer. Fußgänger glauben oft, dass für sie die StVo gar nicht gilt. Das tut sie aber.
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  • E. V.
    Das ist das Hauptproblem. Viele Autofahrer unterstellen Radfahrern grundsätzlich verkehrswidriges Verhalten, weil diese ja keinen Führerschein besitzen (die meisten tun das sehr wohl) und nur sie als Kraftfahrer meinen die StVO zu kennen. Dass sie aber viele Regeln, die für Radfahrer gelten, nicht kennen, das ignorieren sie und unterstellen dann dem Radfahrer verkehrswidriges Verhalten.
    Auf der anderen Seite spielt sicher auch ein bisschen Neid mit rein, weil sie eben bspw. nicht ganz so ungestraft eine Rote Ampel überfahren können (solche Radfahrer kann ich auch nicht leiden), da sie eben über ihr Nummernschild nicht anonym sind. Dabei muss man aber auch anerkennen, dass ein Radler hauptsächlich sich gefährdet, ein Lenker eines 1,5t Fahrzeugs aber ein viel größeres Schadenspotential darstellt.
    Daher: Leute, haltet Euch alle an die Regeln, und die Stärkeren nehmen bitte Rücksicht auf die Schwächeren.
    Ein Menschenleben ist mehr wert als 5 Minuten eher irgendwo ankommen!
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  • H. P.
    Allein in den letzten 4 Wochen sah ich mich als Radfahrer Beschimpfungen von Autofahrern ausgesetzt, die mein vermeintlich verkehrseidriges Verhalten kritisierten (z.B. Fahren entgegen der Einbahnstraße trotz Freigabe für Radfahrer). Interessanterweise verhielten genau diese sich verkehrswidrig (abbiegen ohne zu blinken, mit hoher Geschwindigkeit noch über den Zebrastreifen fahren, trotz Fußgänger usw.). Mir drängt sich der Eindruck auf, dass den Radfahrern generell ein falsches Verhalten unterstellt wird.
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  • G. K.
    @Petzold.Heike

    Bei dieser Problematik gibt es kein Schwarz und Weiß. Sie haben Recht, wenn Sie das geschilderte Verhalten der Autofahrer kritisieren, auch ich kann häufig beobachten, wie PKW-Fahrer auf Radwegen parken, verkehrsberuhigte Zonen ignorieren und Einbahnstraßen bewusst und viel zu schnell entgegen der Fahrtrichtung durchfahren.

    Aber ich sehe auch täglich Radfahrer viel zu schnell durch die Fußgängerzone fahren, nachts völlig ohne Licht die Stadt durchqueren und, Krönung des ganzen, mit Ohrstöpseln freihändig fahrend das Handy bedienen (wirklich!!!). Eine nächtliche Beleuchtungskontrolle habe ich dagegen noch nie bemerkt.

    Gegenseitige Rücksichtnahme mit ein wenig Einsicht wäre wünschenswert, allerdings hätte es vielleicht mal eine gewissen pädagogischen Effekt, wenn die Polizei nicht nur auf die Autofahrer achten würde, zudem viele Räder in einem Zustand sind, der keineswegs als verkehrssicher gelten kann.
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