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WÜRZBURG
Rosemarie Bienek-Pfeiffer: Powerfrau aus einer anderen Zeit
Rosemarie Bienek-Pfeiffer: Im Jahr 1963 übernahm Rosemarie Bienek-Pfeiffer das elterliche Schreibwarengeschäft in der Sanderstraße. Die 76-Jährige ist heute Seniorchefin des 100 Jahre alten Unternehmens.

Von unserem Redaktionsmitglied

Gisela Schmidt

 |  aktualisiert: 13.01.2016 10:47 Uhr

Geboren in der Köster-Klinik. Vor dem Bombenhagel im März 1945 auf die Frankenwarte geflohen. Lesen und Schreiben in der Notschule im Steinbachtal gelernt. Mittlere Reife bei den Ursulinen abgelegt. Rosemarie Bienek-Pfeiffer ist 1935 zur Welt gekommen - und ein Kind ihrer Stadt.

Ihr Leben ist das einer Frau, die im Krieg aufwuchs, im Wirtschaftswunder erwachsen wurde und in der Ära Internet altert. Gerne hätte sie Abitur gemacht, vielleicht studiert. Aber der Vater winkte ab. „Das brauchst Du nicht, Du übernimmst ja mal das Geschäft.“

Das Geschäft. Papier-Pfeiffer. Gegründet 1912, von Rosemaries Urgroßvater Christoph Schmitt in der Sanderstraße 10, übernommen 1920 von ihrem Vater Philip Pfeiffer. Buch-, Schreibwaren- und Schreibmaschinenhändler war er – und so erfolgreich, dass er 1930 von der Stadt das Haus 4a in derselben Straße kaufen und den Schreibwarenladen einrichten konnte. Die Sanderstraße war der Spielplatz der kleinen Rosemarie. Ihre Familie wohnte über dem Geschäft. Bis zum 16. März 1945.

Die Würzburger wähnten sich in relativer Sicherheit. Der Krieg war längst verloren, die Kapitulation stand bevor. Wozu dann noch ein Großangriff? Der Hauptbahnhof war erst vor ein paar Wochen bombardiert worden, „kriegswichtige Industrie“ gab es nicht.

Aber dann heulten doch noch mal die Sirenen. Vollalarm. Familie Pfeiffer flüchtete in ihr Gartenhaus auf der Frankenwarte. 20 Minuten lang prasselten britische Bomben auf die Stadt nieder. Als die Pfeiffers zurückkehrten in die Sanderstraße, gab es Würzburg nicht mehr. 5000 Tote, 21 000 zerstörte Wohnungen, 90 Prozent der Innenstadt in Trümmern.

Das Haus der Pfeiffers war eine Ruine. Bis 1951 mussten sie in ihrem Gartenhaus bleiben. Aber das Schreibwarengeschäft richteten sie kurz nach der Bombardierung wieder ein. Als „Notladen“ zwar. Aber „als erstes Geschäft in Würzburg“. Wer überleben wollte, musste kämpfen. Jammern half nichts.

Rosemarie Bienek-Pfeiffer sitzt an einem kleinen Tisch in dem vollgestopften Laden. Inmitten von Füllfederhaltern, Briefpapier und Grußkarten erzählt sie ihr Leben. Zehn Jahre jung war sie, als Würzburg keine Stadt mehr war, sondern das „Grab am Main“. Heute ist sie 76. Eine temperamentvolle, attraktive Frau. Die Augen sorgfältig geschminkt, die schulterlangen Haare rötlich-braun gefärbt, die Brille modisch, die Kleidung jugendlich. Sie erinnert sich, wie der Vater damals mit dem Fahrrad Papier zu den Behörden brachte und die Kunden vor dem Geschäft Schlange standen. „Die Leute kauften alles, was da war“, sagt sie, „aber es war ja nicht viel“.

Das Mädchen Rosemarie ging den Weg, den die Eltern vorgaben. Der Vater wurde ihr Lehrherr, 1955 legte sie ihre Prüfung ab. „Einzelhandelskaufmann“ steht in ihrem Gehilfenbrief. Obwohl sie eine Frau ist. „Das war damals so.“

1956 lockerte Philipp Pfeiffer die Leine, an der man zu dieser Zeit auch erwachsene Töchter hielt, und schickte Rosemarie nach München. Ein ganzes Jahr lang. Bei Kaut-Bullinger, einem der größten Schreibwarengeschäfte Deutschlands, sollte sie „Weitblick“ bekommen. „Die hatten damals schon 280 Angestellte“, sagt Rosemarie Bienek-Pfeiffer und auch heute noch klingt sie ein bisschen ehrfürchtig.

Eine eigene Wohnung in der Großstadt kam nicht in Frage. Das gehörte sich nicht für eine unverheiratete 21-Jährige. Rosemarie wurde bei einer Tante einquartiert. „Eine großzügige, tolerante Frau“, die dem Vater nie verriet, dass seine Tochter Verehrer hatte und zum Tanzen ging. „In München hatte ich meine schönste Zeit“, sagt Rosemarie Bienek-Pfeiffer und ihre klugen Augen leuchten, „da war ich frei“.

1957 kehrte sie zurück nach Würzburg – und startete durch. 1963, nach dem Tod des Vaters übernahm sie das Geschäft, vergrößerte es, stellte sieben Mitarbeiter ein. 1969 kam ein achter dazu. Heinz Bienek, nicht nur ihr Ehemann, sondern auch ein Partner, der damit leben konnte, dass seine Frau seine Chefin war. Ungewöhnlich für die sechziger Jahre. „Aber machbar“, sagt Rosemarie Bienek-Pfeiffer. Anders als andere Frauen ihrer Generation hat sie, fast ein wenig trotzig, ihren eigenen Nachnamen an den des Mannes angehängt. Eine Powerfrau in einer Zeit, als es diesen Begriff noch gar nicht gab.

Als Tochter Claudia geboren wurde, brummte der Laden. „1969 bis Ende der 80-er Jahre war die beste Zeit des Geschäfts. Da ist richtig was übrig geblieben.“ Heute machen Internethandel und Billigshops den Traditionsunternehmen zu schaffen. Das Kaufverhalten hat sich geändert. „Die Leute lassen sich bei uns beraten und bestellen dann im Netz“, sagt Rosemarie Bienek-Pfeiffer, „Kundentreue ist selten geworden“. Und auch die Sanderstraße ist nicht mehr das, was sie mal war. Für Rosemarie Bienek-Pfeiffer hat der Ausverkauf „ihrer“ Straße mit der Einbahn-Regelung begonnen. „Danach ist ein Geschäft nach dem anderen verschwunden.“ Zwei Metzgereien, zwei Lebensmittelläden, der Supermarkt, der Mitbewerber . . .

Rosemarie Bienek-Pfeiffer bleibt. Noch heute schließt sie das Geschäft, das sie längst an ihre Tochter übergeben hat, täglich um 7.30 Uhr auf und um 19 Uhr zu. Samstags um acht und um 16 Uhr. Sie berät Kunden, sie verkauft, sie packt aus, sie bestellt Ware. Ihre Mittagspause dauert exakt eine Stunde.

Mag sie dieses Leben? Rosemarie Bienek-Pfeiffer legt die Hände ineinander, überlegt. „Manchmal nicht“, sagt sie dann, „aber ich muss es mögen, weil ich billig bin“. Wäre sie nicht da, müsste die Tochter „eine zusätzliche Kraft einstellen“. Die 76-Jährige nimmt die Dinge, wie sie sind. Sie macht kein Aufhebens um die körperlichen Zipperlein, die man in ihrem Alter halt hat, die langen Arbeitstage, die knappe Freizeit. Aber geplant hatte Rosemarie Bienek-Pfeiffer ihren Lebensabend ganz anders.

1978 haben sie und ihr Mann eine Wohnung im Chiemgau gekauft. „Damals haben wir uns vorgestellt, dass wir im Alter immer ein halbes Jahr dort verbringen.“ Aber dann hat die Zeit doch immer nur für ein paar Ferientage gereicht. Jetzt ist Heinz Bienek tot. Und seine Frau, die im Dezember 77 Jahre alt wird, hat „weniger Urlaub als das Personal“.

Papier-Pfeiffer im Jahr 1945.
Foto: FOTO Papier-Pfeiffer | Papier-Pfeiffer im Jahr 1945.
Papier-Pfeiffer im Jahr 2012.
Foto: THeresa Müller | Papier-Pfeiffer im Jahr 2012.
Papier-Pfeiffer im Jahr 1955.
Foto: FOTO Papier-Pfeiffer | Papier-Pfeiffer im Jahr 1955.
Ein Kind ihrer Stadt und der Sanderstraße: Rosemarie Bienek-Pfeiffer, Seniorchefin von Papier-Pfeiffer.
Foto: Theresa Müller | Ein Kind ihrer Stadt und der Sanderstraße: Rosemarie Bienek-Pfeiffer, Seniorchefin von Papier-Pfeiffer.
 
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