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WÜRZBURG
Repräsentation und Gehorsam
Einhellige Freude über das „Kleinod“: (von links) Autor Hans-Peter Baum, Herausgeber Ulrich Wagner, Oberbürgermeister Georg Rosenthal, Verleger Adolf Wolz und Regierungspräsident Paul Beinhofer.
Foto: FOTO stefan römmelt | Einhellige Freude über das „Kleinod“: (von links) Autor Hans-Peter Baum, Herausgeber Ulrich Wagner, Oberbürgermeister Georg Rosenthal, Verleger Adolf Wolz und Regierungspräsident Paul Beinhofer.
Von unserem Mitarbeiter Stefan Römmelt
 |  aktualisiert: 11.12.2019 15:38 Uhr

Im Würzburg des 18. Jahrhunderts war die Integration von Migranten kein Problem. Das belegt ein Blick auf Seite 61 des unlängst präsentierten Hefts 19 der „Schriften des Stadtarchivs Würzburg“. Dort steht der neue Würzburger Ratsherr Johann Baptist Broili 1765 stolz vor dem Dogenpalast auf dem Markusplatz in Venedig. Hinter und vor dem Kaufmann liegen Warenpakete. Gerade fährt das venezianische Staatsschiff, der „Bucintoro“, vorbei. Broilis Augenmerk gilt aber nicht dem Geschehen in der Lagune, sondern Merkur, dem Gott des Handels, der mit dem Würzburger Rennfähnlein in der Rechten und dem geflügelten Merkurstab in der Linken geradewegs auf Broili zufliegt.

Am Himmel schweben zwei Wappen: Der silberne Rechen auf rotem Grund symbolisiert das Würzburger Domkapitel, und ein roter Schrägbalken und ein fünfzackiger roter Stern auf silbernem Grund vertreten einen Domkapitular. Die Botschaft der Wappen: „Decrevimus electum“ – Wir (Ergänze: und nicht die Würzburger Bürger) haben einen Gewählten für den Unteren Rat bestimmt. So lautet die lateinische Inschrift auf dem delikat kolorierten Blatt, das zu den 150 Wappen- und Gedenkblättern würzburgischer Ratsherrn von 1693 bis 1801 im nach seinen Beschlägen benannten „Silbernen Ratsbuch“ gehört. Oben und unten, Herrscher und Untertan – in diesem Fall ein mit Hilfe der Obrigkeit schnell in die bürgerliche Führungsschicht aufgestiegener und stolz repräsentierender „Migrant“ aus Oberitalien – sind einerseits miteinander verbunden, andererseits aber auch scharf geschieden.

Machtverhältnisse dokumentiert

Die Machtverhältnisse in der Residenzstadt des Fürstbistums dokumentiert auf Seite 69 auch ein zweites Blatt, das neun Jahre später anlässlich der 1774 erfolgten „Präsentation“ des Jonas Philipp Appelius als Ratsherr in Auftrag gegeben wurde. Wie im Theater gibt ein geraffter Vorhang den Blick auf eine Sitzung des Unteren Rats frei. Gerade ist Appelius im Begriff, neben seinen neuen Kollegen auf einer der drei Bänke Platz zu nehmen.

Wer hier das Sagen hat, klären die drei auf Wolken schwebenden, „abgehobenen“ Wappen des regierenden Fürstbischofs Adam Friedrich von Seinsheim, des Domkapitels und des Oberschultheißen Carl Philipp Freiherr von Würtzburg. Als ob die „aktuellen Herren“ nicht genügten, hängen über den Köpfen der Ratsherren unter anderem auch die Porträts der längst verstorbenen Fürstbischöfe Julius Echter von Mespelbrunn, Johann Gottfried von Aschhausen und Johann Philipp von Schönborn (und nicht „die Porträts verdienter Bürgermeister bzw. Ratsherren und Schultheißen“, wie Baum auf Seite 68 schreibt).

Gehorsam gegenüber der von Gott eingesetzten Obrigkeit bestimmt nicht nur das Broili- und das Appelius-Blatt, sondern auch die Mehrheit der restlichen Blätter im „Silbernen Ratsbuch“. Ebenso bemerkenswert: der repräsentative Charakter der symbolisch überhöhten, häufig mit Allegorien operierenden Blätter, deren malerische Qualität und aufwändige Gestaltung durchwegs ansprechen.

Schöne Gedenkblätter

Die schönsten Gedenkblätter hat Hans-Peter Baum in „Das „Silberne Ratsbuch“ des Stadtarchivs Würzburg. Zeugnisse Würzburger Buchmalerei des 18. Jahrhunderts“ zusammengestellt. Die „Einführung“ des langjährigen Leiters des vormaligen Dokumentationszentrums für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken ordnet das detailliert beschriebene „Silbene Ratsbuch“ in den historischen Kontext der Epoche und der Geschichte Würzburgs ein. Wappenkundliche Erläuterungen, Informationen zur Biographie der Ratsherren und Interpretationen der allegorischen Darstellungen erleichtern die „Lektüre“ der einzelnen Gedenkblätter. Dabei fallen kleinere Versehen wie das Übersehen von Künstlersignaturen auf den Blättern von 1761, 1789 und 1797 und gelegentliche Schwächen bei der Erschließung allegorischer Gestalten wie der Athene/Minerva und Iustitia auf Seite 73 nicht wirklich ins Gewicht.

Begeistert von den Gedenkblättern und dem jüngsten „Kind“ des Stadtarchivs zeigte sich bei der sehr gut besuchten Buchvorstellung nicht nur Archivdirektor Ulrich Wagner, sondern auch Oberbürgermeister Georg Rosenthal. Vor rund 100 Gästen würdigte Rosenthal das „Silberne Ratsbuch“ als Dokument erfolgreicher Integration von Migranten und hob dessen ästhetische und politische Bedeutung hervor: „Ein echtes Kleinod und ein wichtiges Zeugnis für das Selbstverständnis des Würzburger Bürgertums.“

Unter den Augen der Fürstbischöfe: Der neue Ratsherr Jonas Philipp Appelius nimmt seinen Platz in der Würzburger Ratsstube ein.
Foto: buch | Unter den Augen der Fürstbischöfe: Der neue Ratsherr Jonas Philipp Appelius nimmt seinen Platz in der Würzburger Ratsstube ein.
 
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