So gut besucht sind Vernissagen selten. Etwa 200 Gäste drängten sich am Samstagabend im Spitäle an der Alten Mainbrücke, wo Oberbürgermeister Christian Schuchardt und der ehemalige Kulturamtsleiter Johannes Engels die Ausstellung "Aus der Fülle" eröffneten: Gemälde der "Doyenne" (Engels) der Malerei in Würzburg, Renate Jung. Die ist von vielen launigen Fassadenmalereien in der Stadt bekannt. Daher wird sie gern als Nachfolgerin des volkstümlichen Illustrators Gerhard Rother betrachtet. Aber bei ihr geht es viel hintergründiger zu
Als schwarz-gelber, braun-roter Faden erstreckt sich über die Wände das quadratische Großformat mit Menschenbildnissen, ergänzt um einige Stillleben. Das passt alles gut zusammen, trotz unterschiedlicher Abstraktionsgrade. Denn auch die detailliertesten Frucht-Abbildungen haben in den letzten zehn Prozent vorm Erreichen des Naturalismus dieselbe Stilisierung, wie sie auch die riesenhafte Goethe-Karikatur im Stile Olaf Gulbranssons namens "Mignon" aufweist.
Goethe und Hitler
Womit wir mitten in den Frechheiten sind. Denn die Frau Mignon, die dem Dichter-Minister da gegenüber hockt, wirft ein psychologisch hochinteressantes Bild auf klassische Inspirationsmechanismen. Von den schwellenden Körperformen dieses Modells musste Goethe jedenfalls einiges abtragen, um seine ausdrücklich androgyne Romanfigur Mignon, Gefährtin des Wilhelm Meister, zu erhalten. Witzig auch auf dem Doppelporträt Hitlers mit Blondie, dass die Anatomie des Führers dem doch recht undeutschen Art-Deco-Stil unterworfen wurde.
Bei diesem souveränen Schalten und Walten der Künstlerin fragt sich, auf welchen Bildern wohl die Komposition an erster Stelle stand – und Renate Jung die Gliedmaßen der Dargestellten einfach einer vorausbestimmten Geometrie unterwarf. Die stillende Madonna im schwarzen Mini nährt solche Überlegungen. Und auch die nächste: All diese Jungs sind in extrem klaren Konturen konstruiert. Ihre Lebendigkeit erhalten sie unter anderem von dem schattierungsreichen, fleckigen Farbauftrag. Kann Jung überhaupt direkt aus dem Handgelenk einen lebendigen Pinselstrich führen? Klar kann sie! Schönstes Beispiel ist das Aquarellporträt einer Ärztin aus Togo unter den Kleinformaten an der linken Saalseite. Da modellierte Renate Jung auf dem Papier sozusagen live und restlos überzeugend.
Die Skizzen an dieser Wand und die halb-akribischen Stillleben hängen nicht zufällig einander gegenüber. Sie sind Beispiele für die unterschiedlichsten Techniken Jungs. Dabei wirken sie gar nicht so gegensätzlich; umso besser leiten sie dazu an, auf die Feinheiten zu achten. Bis 26. Januar kann man sich davon in der Galerie der Vereinigung Kunstschaffender Unterfrankens dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr überzeugen.