Die verschnörkelte Renaissance-Fassade fällt auf. Verspielt ziert sie das stattliche Haus am Marktplatz 19 in Aub. Es ist das auffälligste Gebäude im Herzen der Stadt. Dach und Giebel ragen hoch hinaus. Das repräsentative Portal weckt die Neugier. In diesem Haus steckt Geschichte. Es hat Epochen überdauert, Kriege überstanden, Menschen kommen und gehen sehen. Doch das wertvolle Gebäude ist in die Jahre gekommen. Seit Jahrzehnten unbewohnt, fehlt dem alten Gemäuer fideles Leben, das die Räume erfüllt und die Substanz erhält.
Wer durch die Holztüre des ehrwürdigen Gebäudes schreitet, fühlt sich wie in einer anderen Welt. Zurückversetzt ins Mittelalter steht der Besucher plötzlich in einem breiten Mittelflur, in dem Kinder gut auch Rollschuh laufen könnten. Über eine imposante Holztreppe geht es hinauf ins Dachgeschoss. Alles ist aufgeräumt, sauber, vom Staub vergangener Jahre befreit. Überraschend gut ist die Bausubstanz des alten Gemäuers. Und der Dachboden ein Hingucker. Das „mehrlagige Kehlbalkendach“, wie es Denkmalschützer bezeichnen, ist in dieser Dimension eigentlich nur in Kirchenbauten erhalten. Und es scheint in einem außerordentlich gutem Zustand zu sein.
Als Renaissance-Haus ist das ehrwürdige Gebäude am Marktplatz bei der Auber Bevölkerung bekannt. Die verspielte und durchaus repräsentative Außen-Fassade ist zwar ein Hingucker und aus Sicht der Denkmalschützer auch ein „herausragendes Zeugnis der Renaissance-Baukunst“, aber sie ist nach neuesten Erkenntnissen der Denkmalpfleger vor das wesentlich ältere Gebäude gestellt worden. Das hat Hans-Christof-Haas, der zuständige Referent beim Landesamt für Denkmalpflege, bei einer Besichtigung vor zwei Jahren festgestellt. Die Architektur des so genannten Renaissance-Hauses in Aub dürfte damit in die Zeit der Gotik fallen. Denn Haas hat festgestellt, dass sich der Dachgiebel anhand der „konstruktiven Merkmale“ auf das 15. Jahrhundert datieren lässt.
Das prächtige Haus in Aub ist also mit einer Filmkulisse vergleichbar. Da ist es durchaus üblich, dass bloße Wände vor etwas gestellt werden und dahinter sich etwas ganz anderes verbirgt. In Filmen ist meist nichts hinter der Fassade, außer ein Gerüst. In Aub verbirgt sich hinter der filigranen Fassade ein gotischer Kernbau, der in seiner „hochwertigen Bausubstanz des 15. bis 17. Jahrhunderts noch umfangreich erhalten ist“, so Haas. Für die Denkmalschützer ist dies besonders wertvoll.
Dass die Fassade nur so an das mittelalterliche Steinhaus hingeklatscht wurde, fand schon der Besitzer heraus. Johannes Timmermann, Historiker aus München, hat das Gebäude 1987 gekauft und im Laufe der Jahre viel über die Geschichte des Hauses erforscht. „Die Renaissance-Fassade sei etwa um 1565 an das Haus gekommen“, weiß seine Ehefrau Elisabeth. Ihr Mann ist mittlerweile verstorben, hat ihr aber eine Menge an Aufzeichnungen über den Zweitwohnsitz des Ehepaares in Aub hinterlassen. Anfang des 16. Jahrhunderts, als der Amtssitz der Burg Reichelsberg aufgegeben wurde, sei die Fassade der Burg vor die Fachwerkwand des Hauses gekommen, meint Johannes Timmermann. Zumindest ist es so seinen Aufzeichnungen zu entnehmen, die seine Ehefrau aus Unmengen an Dokumenten hervorkramt.
Die Renaissance-Fassade – ein Überbleibsel der Reichelsburg? Wenn sich das bewahrheitet, wäre es eine Sensation. Denn von der Burg ist nichts mehr übrig. 1525 wurde sie geplündert und durch ein Feuer zerstört. Freilich will im Landesamt für Denkmalschutz die Annahme Timmermanns noch niemand bestätigen. Die Experten setzen auf eine Bestandsaufnahme, die gegenwärtig läuft.
Dabei wird ein Aufmaß des Gebäudes erstellt, ein Tragwerksgutachten gefertigt und eine restauratorische Befunduntersuchung durchgeführt. Die Stadt Aub hat, obwohl sie nicht Eigentümerin des Gebäudes ist, die Untersuchung beauftragt. „Ziel der Analyse ist es, den Bestand, die Schäden und die Geschichte des Objekts zu erkunden“, sagt Hans Christof Haas. Die Voruntersuchung wird zu 90 Prozent vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege und der Unterfränkischen Kulturstiftung gefördert.
Eine derartige Förderung hätte sich auch der Eigentümer Johannes Timmermann in den 90-er Jahren erträumt. Als er 1987 das Haus gekauft hatte, war alles verfault und voll Schimmel. „Große Teile des Dachs waren offen“, erinnert sich seine Ehefrau. „Hinten hat es hinein geregnet und vorne wieder raus“, beschreibt sie den Zustand. Eigentlich wollten die Timmermanns ein Antiquariat für alte Bücher in dem Gebäude einrichten. Doch daraus wurde nichts, auch weil die Timmermanns für die Sanierung ihres Hauses keine Förderung bekamen.
Der Münchner Historiker hoffte darauf, in den „Entschädigungsfonds für Sonderfälle“ aufgenommen zu werden. Doch das damals zuständige Ministerium für Wissenschaft und und Kunst versagte den Zuschuss. Stattdessen wurde ein anderes altes Bauwerk am Auber Marktplatz gefördert – das ehemalige Gasthaus Hirschen. Es sollte mit einer Nutzung versehen werden, an der die Gemeinde besonderes Interesse habe, hieß es in der Ablehnung, die Johannes Timmermann bekam. Heute hat hier der Verein Ars Musica sein Domizil.
Timmermann hat sich trotzdem weiter um das Haus gekümmert. Vor allem hat er sich sehr für die Geschichte des Bauwerks interessiert. Ganz am Anfang muss das Gebäude wohl ein mittelalterliches Schultheißenlehen für den Richter der niederen Gerichtsbarkeit gewesen sein. Später zog der bischöfliche Amtmann ein. In diese Zeit soll auch der Anbau des Renaissance-Giebels fallen.
Im 17. Jahrhundert verliert das Haus dann seinen Charakter als Amtshaus und wird mehr und mehr zu einem bürgerlichen Geschäftshaus mit wechselnden Besitzern. Lange bevor die Timmermanns das Haus kauften, wohnte eine jüdische Familie darin. Ein Stolperstein vor der Haustür erinnert an sie. Im Haus hat Johannes Timmermann eine Mikwe gefunden, das rituelle Tauchbad der Juden.
Nun möchte die Witwe das Haus verkaufen. Die Bestandserfassung des Denkmalschutzes soll dabei helfen, Nutzungsperspektiven zu erarbeiten und Kaufinteressenten zu finden, so dass die bunte Geschichte des Hauses noch einige Jahre weitergeschrieben werden kann.