Reisetagebuch
Nach dem Kälteschock kam plötzlich und unerwartet der Sommer nach Schweden. Klar, dass sich unsere Mienen aufhellten wie die Sonne, die plötzlich aus dem himmelblauen schwedischen Himmel schien. Damit war laut Wetterprognose nämlich nicht zu rechnen. Und so stiegen wir alle mit großer Vorfreude bei Temperaturen um die 18 Grad in Stockholm in den Schnellzug ein, der uns in sechseinhalb Stunden 600 Kilometer nach Norden in die Partnerstadt Umea bringen sollte. Es war eine interessante Fahrt durch fast ausschließlich baumbewachsene grüne Landschaften, die im wesentlichen sowohl durch Bahnhöfe als auch durch Sägewerke unterbrochen wurden. Hin und wieder sorgte auch ein See für Abwechslung. Langweilig war's aber trotzdem nicht,
Man sagt den Einwohnern der nordischen Länder ja eine grundsätzlich melancholische, wenn nicht gar depressive Grundhaltung nach, weil's bei ihnen immer so schnell und so oft dunkel sei. Bei uns ist's immer hell. Sogar jetzt, abends um 23 Uhr, als ich diese Zeilen schreibe, ist draußen vor dem Fenster nichts von Dunkelheit zu sehen. Trotzdem machten sich bei mir während der Zugfahrt bei blauestem Sommerhimmel und Sonnenschein nachdenkliche Gedanken breit. Und die haben mit Möbeln zu tun. Ja genau, jenen schwedischen Möbeln, die bei uns in großen Märkten unter dem Markenzeichen des Elches verkauft werden.
Der Erkenntnisgewinn kam während der langen Zugfahrt. Da sieht man nämlich, wenn man nur lange genug aus dem Zugfenster schaut, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr, wie uns ein Sprichwort so gerne weis machen möchte. Plötzlich steht die Frage im Zug: Was machen die nur mit all den Waldflächen, die alten Schweden? Haben die eine Schutzgemeinschaft schwedischer Wald? So eine wie die, mit der wir den deutschen Wald schützen möchten? Wohl kaum. So viel Wald wie ihn die Schweden haben, kann man gar nicht schützen. Also macht man ganz offenbar Möbel draus. Und irgendwoher müssen all die Holzeinrichtungsgegenstände ja auch kommen, die in deutschen Wohn-, Ess- und Schlafzimmern herumstehen. In Schweden gibt's nämlich weniger solcher Möbelmärkte als in Deutschland – so hat man uns erzählt.
Und da in den Wäldern immer wieder größere Lücken klaffen, manifestieren sich die hier fehlenden Bäume vor dem geistigen Auge des Reisenden, ohne dass er sich dagegen wirksam zur Wehr setzen könnte, als Regale vom Typ Billy in irgendeiner deutschen Wohnung. Dort sind sie gefüllt mit im schlimmsten Fall sogar gelesenen Romanen von Rosamunde Pilcher oder Johannes Mario Simmel. Oder in der intellektuellen Akademiker-Variante biegen sich die Billy-Bretter unter den gesammelten Werken von Hermann Hesse oder Günther Grass inklusive kiloschwerer DuMont-Kunstbände – selbstverständlich ungelesen und im besten Fälle noch in die schützende Kunststoff-Folie eingeschweißt.
Jetzt ist trotz Sommerwetter offenbar ein Art nordischer Schwermut mit mir durchgegangen. Der ist aber schnell wieder verflogen beim freundlichen Empfang im Rathaus von Umea (diesmal bewusst ohne Kringel auf dem a, denn das verursacht im Internet unschöne Darstellungen bei der Schreibweise). Dort haben Mitarbeiter der Stadtverwaltung (!) am Sonntagabend (!) für uns ein großzügiges Buffet aufgebaut und uns willkommen geheißen. Nur die Möbel im Raum riefen irgendwelche düsteren Assoziationen hervor. Aber das wäre ein anderes Thema.
Hej da (wieder ohne Kringel auf dem a), bis zum nächsten Mal!