Der Begriff der Heimat ist schwer in Worte zu fassen – und noch schwerer ist es zu beschreiben, was er in Menschen an Gefühlen auslöst. Andreas Eder, Juniorprofessor für Psychologie an der Uni Würzburg, hat es dennoch versucht.
Andreas Eder: Heimat ist ein vielschichtiger Begriff – auf jeden Fall ist Heimat nicht nur ein Ort, wo wir gerne sind und uns heimisch fühlen. Wenn wir im Alltag über Heimat sprechen, verstehen wir darunter oft den Ort, wo wir aufgewachsen sind. Aber eigentlich meinen wir einen Ort, wo wir gerne sind, der uns vertraut ist, wo die Familie lebt oder wo Menschen sind, die uns nahestehen.
Eder: Mit Heimat verbinden wir oft auch einen bestimmten Lebensstil. Zu Hause haben wir es uns so eingerichtet, dass wir unseren Interessen nachgehen und uns verwirklichen können, ohne dass wir noch viel organisieren müssen.
Eder: Heimat ist so stark im Menschen verankert, dass es zum Selbstkonzept gehört, das heißt. Es ist ein zentraler Bestandteil von dem Bild, wer wir sind und wie man zu der Person geworden sind. Und weil die eigene Heimat so zentral für unser Selbstbild ist, ist sich auch emotional stark besetzt. Man kann zur Heimat gemischte Gefühle haben. Viele Personen haben eine positive Einstellung dazu. Man kann aber auch negative Gefühle zur Heimat entwickeln, vor allem wenn man sie nicht selbst gewählt hat. Wer eine nicht so schöne Kindheit hatte, wird wenig gute Erinnerungen an das zu Hause damals haben. Was man auf jeden Fall sagen kann, ist, dass uns Heimat emotional berührt, sie lässt uns nicht kalt. Das merkt man auch daran, wenn die Heimat in irgendeiner Art bedroht wird. Dann entstehen sehr starke Emotionen und Motivationen. Die Heimat verteidigen, das ist etwas ganz Zentrales, da geht es um den Kern, nicht nur um den Ort, an dem man lebt, sondern eben auch um die Werte, Menschen und den eigenen Lebensstil.
Eder: Am Phänomen des Heimwehs wird besonders offensichtlich, wie stark Menschen sich mit ihrer Heimat identifizieren können. Heimweh tritt vor allem dann auf, wenn man nicht selbstbestimmt die Heimat verlässt – sei es durch berufliche Gründe oder aufgrund von unzumutbaren Lebensbedingungen. Heimweh kann ziemlich extreme Formen annehmen und auch körperliche Auswirkungen haben. Die Menschen denken dann viel über die Heimat nach und idealisieren sie. Wenn beispielsweise die Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, Heimweh verspüren, dann haben sie Dinge, die sie zurücklassen mussten, vielleicht positiver in Erinnerung als sie waren. Wer Heimweh hat, kann sich gedanklich nicht von der zurückgelassenen Heimat lösen. Man empfindet Traurigkeit durch den Verlust – das kann im schlimmsten Fall fast schon zu einer Vorstufe einer Depression führen. Die körperlichen Symptome gehen von Schlaflosigkeit, weil die Menschen ständig an die Heimat denken müssen, bis zu Magen-Darm-Verstimmungen.
Eder: Das hängt wesentlich von der Beurteilung der Situation an dem neuen Ort ab. Daran, wie man die alte Heimat damit vergleicht. Oft ist das erst einmal eine Herausforderung. Aus der klinischen Psychologie kennt man den Begriff der Anpassungsstörung. Da haben Menschen Schwierigkeiten, sich auf eine neue Situation einzustellen. Wenn man beispielsweise an einen beruflichen Wechsel denkt, der einen Ortswechsel erzwingt. Ich nehme einen Job in Norddeutschland an und muss das schöne Würzburg verlassen. Dann finden viele Veränderungen auf einmal statt – beruflich, räumlich, sozial – auf die ich mich einlassen muss. Probleme bei der Anpassung können dazu führen, dass man die Heimat schöner in Erinnerung hält, als sie eigentlich war. Würzburg wird plötzlich die tollste Stadt der ganzen Welt. Diese Idealisierung der Heimat kann dazu führen, dass man sich in Phantasien verfängt und nicht daran arbeitet, sich auf die neue Situation einzulassen. Das ist dann eher eine Fehlentwicklung, das kann dann schon gravierende Auswirkungen haben für individuelle Schicksale. Das kann sogar so weit gehen, dass das Heimweh auch dann nicht verschwindet, wenn die Person in die alte Heimat zurückkehrt.
Die Leute hängen noch an diesem idealisierten Bild, das nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Man hat dann sozusagen Heimweh in der Heimat.
Eder: Die Aspekte, mit denen eine Person ihre Heimat verbindet, verschieben sich dadurch. Es ist nicht mehr so sehr der physische Ort, nicht Franken oder Würzburg. Es sind mehr die Leute, die man mit seinem Lebensmittelpunkt verbindet. Darum würde ich sagen, wenn man nicht länger an einem Ort bleiben kann oder will, dann wird sich das Heimatgefühl mehr auf das soziale Umfeld verschieben. Ältere Menschen, die in ihrem Heimatort viele Jahrzehnte leben, kennen dort jeden Stein. Aber was sie wirklich mit diesem Ort verbindet, sind die Menschen, die dort leben – ihre Nachbarn, Freunde und Bekannten. Wenn die Bezugspersonen, mit denen sie ihr Leben lang verkehrten, im Alter sterben, verlieren sie jedes Mal ein Stück ihrer vertrauten Heimat.
Zur Person:
Seit August 2010 ist Andreas Eder Juniorprofessor am Lehrstuhl für Psychologie II der Universität Würzburg. Der gebürtige Österreicher studierte von 1995 bis 2002 Psychologie an den Universitäten Innsbruck, New Orleans und Bonn. Danach war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten in Bonn und Jena.
Der 41-Jährige promovierte 2006 über „Common Coding von Handlung und Bewertung“. Im Jahr 2008 erhielt Eder den Heinz-Heckhausen-Jungwissenschaftlerpreis der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Zur Zeit lehrt und forscht Andreas Eder vorwiegend in den Bereichen Emotion und Motivation. RTE/Uni Würzburg