"Wenn diese Richtlinie durchkommt, werden alle Psychiatrie-Patienten darunter leiden. Aber nicht nur für die Patienten wird sich die Lage verschlechtern, sondern auch für die Ärzte, die Pfleger, die Psychologen in psychiatrischen Einrichtungen." Dies sagte Professor Jürgen Deckert, Direktor der Psychiatrie an der Würzburger Uniklinik am Donnerstag bei einem kurzfristig einberufenen Pressegespräch, an dem auch Vertreter der Würzburger Kinderpsychiatrie und der Psychiatrien Lohr und Werneck teilnahmen. "Das hier emotionalisiert mich richtig!", rief Deckert aus. Seit 1988 arbeitet er als Arzt an der Uniklinik; seit 2006 leitet er deren Erwachsenen-Psychiatrie. "Diese Richtlinie ist die schlimmste Bedrohung der Psychiatrie, die ich in meiner Amtszeit erlebt habe", bekräftigte Deckert.
Warum eine Richtlinie nicht nur in Unterfranken, sondern bundesweit für Unruhe sorgt
Bei der Richtlinie, die nicht nur Unterfrankens Psychiater erzürnt, sondern bundesweit für Aufruhr sorgt, handelt es sich um die Erstfassung der neuen "Richtlinie über die Personalausstattung in der Psychiatrie". Wieviel Personal psychiatrische Einrichtungen vorhalten müssen, ist bislang in der 1991 in Kraft getretenen Psychiatrie-Personalverordnung geregelt. Weil sich seither gerade in der Psychiatrie Behandlungsmethoden geändert haben und das neue "Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und Vergütung für psychiatrische Leistungen" dieses auch fordert, musste eine neue Richtlinie her. Erarbeiten sollte sie der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA). "Damit fängt es schon an. 2016 hat der Ausschuss den Auftrag bekommen; aber erst Mitte 2019 hat er damit angefangen", klagte Deckert. Den Wortlaut der Richtlinie hätten die Praktiker erst im November zu Gesicht bekommen; dabei solle die Richtlinie schon am 1. Januar in Kraft treten.
Nach Darstellung von Unterfrankens Psychiatern verfehlt die Richtlinie ihren Hauptzweck – nämlich den seit 1991 gestiegenen Personalbedarf an heutige Verhältnisse anzupassen. Die Richtlinie erlaubt nur eine Erhöhung des Personalbedarfs um vier Prozent und dies erst bis 2024. "Dabei arbeiten wir jetzt schon am Limit. Wir bräuchten 30 Prozent Personal mehr!", sagte Dominikus Bönsch, der Leiter der Psychiatrie in Lohr. Was allerdings nach Einschätzung der unterfränkischen Psychiater die Versorgung der Patienten am stärksten gefährdet, ist der extrem hohe und aus Sicht der Praktiker auch kontraproduktive Dokumentationsaufwand, den die Richtlinie fordert. "Wir haben ja jetzt schon immer weniger Zeit für die Patienten. Aber wenn wir das umsetzen, was die Richtlinie will, dann brauchen wir über 30 bis 40 Prozent unserer Zeit nur für die Dokumentation", hieß es. Die bürokratischen Pflichten bänden dann viel zu viel Personal.
Gleichzeitig drohen den Psychiatrien Sanktionen in Form eines totalen Vergütungsausfalls, wenn Mindestvorgaben für Personal nicht eingehalten werden. Aber was sollen Kliniken denn machen, wenn etwa eine Grippewelle für Ausfälle sorgt und dadurch die Mindestpersonalvorgabe unterschritten wird? "Dann bekommen wir für diese Zeit kein Geld", sagte der Leiter der Würzburger Kinder- und Jugendpsychiatrie, Professor Marcel Romanos. Er betonte, dass die Richtlinie auch moderne Behandlungsmethoden unterminiere. So könnten etwa Gruppentherapien, bei denen Patienten mehrerer Stationen zusammengefasst werden, nach der neuen Richtlinie nicht mehr sinnvoll abgebucht werden; desgleichen erschwere die Richtlinie den Wechsel eines Patienten von stationärer in teilstationäre oder ambulante Behandlung.
Psychiater wollen einen Stopp und die Überarbeitung der Richtlinie erreichen
Dass die Richtlinie gestoppt und überarbeitet werden muss, dass sie möglichst auch von der administrativen Ebene auf die politische Ebene gehievt werden muss – darin sind sich alle Therapeuten einig. Deshalb warben sie beim Pressegespräch massiv dafür, die Petition der Angehörigen psychisch Erkrankter an den Deutschen Bundestag (Petition 99626) zu unterstützen. Diese fordert die Politiker auf, geeignete Maßnahmen zu beschließen, damit in psychiatrischen Einrichtungen ausreichend Personal und genügend Zeit für gute Behandlung zur Verfügung stehen.