
Armprothesen, Hörgeräte, Gehhilfen, Rollstühle – rund 150 Exponate sind in der Würzburger Prothesensammlung im Zentrum Bayern Familie und Soziales ausgestellt. Der Begriff Prothese geht dabei über den bloßen Ersatz eines Körperteils hinaus, auch andere Hilfsmittel finden hier Platz. Die Sammlung mit dem Titel „Second Hand“ besteht aus originalen Stücken, die ihre Benutzer zurückgegeben haben und von Dieter Schneider, ehemaliger Leiter der Orthopädischen Versorgungsstelle, gesammelt wurden. „Im Keller haben wir aber noch viel, viel mehr Prothesen liegen“, sagt Waltraud Asbahr, Regionalstellenleiterin am Zentrum Bayern Familie und Soziales.
Prothesen im weitesten Sinne gibt es, seit es Menschen gibt. Die älteste Prothese ist die sogenannte Kairozehe. Sie wurde an der Mumie einer Frau gefunden und wird auf ein Alter von circa 3000 Jahren geschätzt. Das Original ist im Ägyptischen Museum in Kairo ausgestellt.
Die Geschichte der Prothetik wird in der Würzburger Sammlung jedoch nur angerissen, denn der Fokus ist laut dem leitenden Arzt und Prothesenexperten Anton Holderied ein anderer: „Wir wollen zeigen, wie Prothesen helfen können, dass Menschen nach einer Verletzung oder dem Verlust eines Körperteils wieder zurechtkommen.“
Würzburg als Wiege der Orthopädie
Der Instrumentenmacher und Orthopädiemechaniker Johann Georg Heine, geboren 1771, gilt als Vater der Orthopädie. Sein Neffe Bernhard Heine hat das Osteotom erfunden, eine Knochensäge, mit der die Schädeldecke geöffnet werden kann, ohne Hammer und Meißel. Sie beide begannen ihre Karrieren in Würzburg.
Anfang des 18. Jahrhunderts eröffnete Johann Georg Heine in Würzburg die erste deutsche orthopädische Heilanstalt, das Karolineninstitut, auf dem heutigen Gelände der Regierung von Unterfranken. Hier entwickelte er auch Modellpuppen zu Demonstrationszwecken, die noch heute im Original im russischen Sankt Petersburg zu sehen sind. In der Würzburger Prothesensammlung ist eine Nachbildung ausgestellt, der zweite Originalsatz im Juliusspital wurde im Krieg zerstört.
Ein Piratenstumpf in der Landwirtschaft
Angesiedelt ist die Prothesensammlung im Versorgungsamt, dessen zentrale Aufgabe einst die Versorgung der Kriegsopfer war. Ihnen sollte das Leben nach einer schweren Verletzung so leicht wie möglich gemacht werden, die Prothese ein möglichst funktionaler Ersatz für verlorene Körperteile sein. „Dabei gilt, dass nicht für jeden die maximale Versorgung auch die Beste ist. Ein Landwirt zum Beispiel brauchte damals nur einen einfachen, stabilen Stumpf, der leicht zu reinigen ist“, sagt Anton Holderied. Dazu zeigt er eine Prothese, die einem Piratenstumpf aus früheren Jahrhunderten ähnelt, jedoch aus dem Jahr 1981 stammt.
Eine besondere Herausforderung sind Prothesen für Arme und Hände, denn die Greiffunktion der Hand ist hochkomplex und erfordert hohe Sensibilität und Feinmotorik. Die Sammlung zeigt Prothesen mit verschiedenen Ansätzen. Der Chirurg Ferdinand Sauerbruch entwickelte zum Beispiel ein Modell, in dem Hornstäbe in einen Muskel eingenäht wurden und so durch die Anspannung des Muskels die Hand der Prothese zugreifen ließen. Wenn der Muskel entspannte, ließ sie wieder locker.
Sammlung wird im nächsten Jahr erweitert
Bei Beinprothesen bestand lange Zeit die Schwierigkeit, die Prothese gleichzeitig belasten und beugen zu können. „Der charakteristische Gang Verletzter beim Treppensteigen war das Nachziehen des steifen Prothesenbeins, da man das nicht beugen konnte“, sagt Holderied. In der Sammlung gibt es aber auch ganz neue Modelle, zum Beispiel computergesteuerte Kniegelenke, die in jeder Beugestellung Stabilität garantieren. „Mit solchen Prothesen kann man sogar Kletterwände hochgehen“, erzählt er.
Auch „Prothesen“ für Augen und Ohren sind in der Sammlung zu sehen. Durch die Blindenschrift von Louis Braille gibt es beispielsweise Aufsätze für Tastaturen, so dass Blinde trotzdem am Computer arbeiten können. Daneben finden sich alte Hörrohre, mit den Hörgeschädigte früher versuchten, den Schall einzufangen und zu konzentrieren. Auch die neueste Hörtechnik in Form von Cochlea-Implantaten, die über Elektroden die Impulse im Innenohr verstärken, finden sich in den Vitrinen der Sammlung.
Die Menschen hinter den Prothesen
Die Verbindung zu den Menschen hinter den ausgestellten Prothesen schafft die Ausstellung mit Videos über Zeitzeugen. „Über diese Geschichten wird deutlich, was für eine irre mentale Stärke man neben der körperlichen Kraft beim Leben mit Prothesen braucht“, erklärt Holderied. Ein Video zeigt einen beidseits oberschenkelamputierten Mann, der sich mit zwei flachen Böcken fortbewegt – ohne Rollstuhl.
Im nächsten Jahr soll die Prothesensammlung erweitert werden und in einen anderen Raum wechseln. „Das Leben der orthopädischen Versorgungsstelle und das riesige Lager, das wir noch im Keller haben, sollen besser zur Geltung kommen“, verrät Holderied.



