Die evangelische Kirche hat das üppige, 170 Veranstaltungen zählende, Programm vorgelegt, mit dem sie ein Jahr lang „500 Jahre Reformation in Mainfranken“ feiern will. Anlass ist ein zeitgenössischer Bericht, über dessen Wahrheitsgehalt Historiker streiten: Am 31. Oktober 1517 soll der Augustinermönch Martin Luther 95 Thesen gegen den Ablasshandel an die Tür der Schlosskirche von Wittenberg genagelt haben.
Im Mittelpunkt der Feierlichkeiten stehen, so sagte Edda Weise, die evangelische Dekanin Würzburgs, in einer Pressekonferenz, „Glauben und Weltverantwortung“. Die Protestanten wollen das mit zahlreichen Gottesdiensten, Konzerten, Vorträgen und einigen Ausstellungen tun.
Luther kam zweimal nach Würzburg: am 18. April 1518 auf der Durchreise nach Heidelberg und drei Wochen später auf der Rückreise. Hier traf er auf den 56. Bischof von Würzburg, Lorenz von Bibra, den er 22 Jahre später als „sehr frommen Bischof“ beschrieb, „der auch noch lutherisch geworden wäre, so er länger gelebt hätte“. Katholische Historiker überzeugt er mit dieser Einschätzung weniger als evangelische.
Viel hat nicht gefehlt, und Würzburg wäre evangelisch geworden
Tatsächlich stand Würzburg im 16. Jahrhundert auf der Kippe; die Stadt hätte durchaus evangelisch werden können. Das Stadtarchiv weist im Mai 2017 mit der Ausstellung „Protestantisches Leben in Würzburg während des 16. Jahrhunderts“ darauf hin.
Julius Echter, der 61. Bischof von Würzburg, machte Schluss damit. Er rüstete Würzburg hoch zu einem Bollwerk der Gegenreformation. Protestantische Würzburger verbannte er ebenso wie jüdische. 215 Jahre lang blieb Würzburg rein katholisch, bis zum Untergang des selbstständigen Gottesstaates Hochstift Würzburg im Jahr 1802.
Die jahrhundertelangen evangelisch-katholischen Verwerfungen spielen im Festprogramm kaum eine Rolle. Im Gegenteil: Das evangelische Rudolf-Alexander-Schröder-Haus bietet im Verein mit der katholischen Akademie Domschule eine Vortragsreihe an, in der es um „Rechtfertigung“ als „Schlagwort der reformatorischen Bewegung des 16. Jahrhunderts“ geht.
Da sollen Ereignisse und Theologie der Reformationszeit in ein – so steht es im Programm – „fruchtbares Verhältnis zu gegenwärtigen Erfahrungen und Erwartungen im kirchlichen, aber auch im gesamtgesellschaftlichen Kontext gesetzt werden“.
Eine Ringvorlesung der Uni ist Teil des Festprogramms. Das Kolleg „Mittelalter und Frühe Neuzeit“ beschäftigt sich zwei Semester lang, von April 2017 bis Februar 2018, mit Reformation und katholischer Reform. 27 Veranstaltungen sind angekündigt, zu Bildung und Sprachgeschichte, Kunst und Architektur, theologischen und politischen Fragen.
Würgt die Bauern und stecht sie und erschlagt sie wie tolle Hunde!
Im Vorwort des Programmheftes schreibt Weise, die Reformation habe auch Schattenseiten. „Macht und Politik“ hätten sich eingemischt, „Krieg und Gewalt nahmen ihren Lauf“. Tatsächlich säte Luther selbst Krieg und Gewalt.
So hatte er 1525 in seiner Schrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“ die Fürsten aufgefordert, sie sollen aufständische Bauern „zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich“ und „wie tolle Hunde erschlagen“. Die Programmmacher gingen diesem Aspekt Luthers ebenso aus dem Weg wie seinem Hexenwahn und seiner Rolle bei der Ausbildung eines deutschen Nationalismus.
Offensiver gehen sie mit Luthers Antisemitismus um. Gemeinsam mit der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit lädt das Dekanat zu einem Vortrag über „Luther und die Juden“ ein und zu einer Veranstaltung mit dem kryptischen Titel „Jüdische Lutherdeutungen als Gegengeschichte gegen die antisemitische Rezeption“.
Die Reformation als „schlimmstes Verhängnis, welches das Abendland treffen konnte“
Zu den Veranstaltern gehören evangelische Landgemeinden, unter ihnen ragt Remlingen mit zahlreichen Angeboten heraus, etwa zu „Luthers Spiritualität“ im Mai oder einer „Auseinandersetzung mit Anfragen aus der Ökumene und dem Islam“ im September 2017. Es ist die einzige Veranstaltung, die ökumenischen Fragen nachzugehen verspricht, obwohl die Ökumene bis heute schwierig ist.
Noch 1955 beklagte Papst Pius XII. die Reformation als „das schwerste Verhängnis, welches das christliche Abendland und seine Kultur treffen konnte“. Im Jahr 2007 legte die katholische Glaubenskongregation ein Papier vor, nach die Kirchen der Reformation „keine Kirchen im eigentlichen Sinn“ seien, weil diesen „Gemeinschaften“ das sakrale Priestertum fehle. Die Protestanten waren empört.
Oberbürgermeister Christian Schuchardt meinte zur Vorstellung des Programms, Kirchen seien „ein wertvoller Beitrag und Faktor in der Stadtgesellschaft“, er beschrieb sie als Anker, Anlaufpunkt, Werte- und Impulsgeber. Die Fragen der Reformation seien die Fragen von heute: „Was ist das Wahre? Was ist das Richtige? Welchen Werten folgen wir?“ Vom Jubiläumsjahr erwarte er einen wertvollen Beitrag zur Diskussion über das Selbstverständnis der Stadtgesellschaft.
Das Programm unter dem Titel „reformation fränkisch frei – 500 Jahre Reformation in Mainfranken“ liegt unter anderem in den evangelischen Kirchen aus. Im Internet findet man das Heft unter www.wuerzburg-evangelisch.de
Im Gegenteil - die teils sehr arrogante, hyper moralische Beschreibung des damaligen Geschehens zeigt eher, dass viele des geschichtlichen Bewusstseins unfähig sind. Dass sie damit Leute von der Pegida einen Vorschub leisten, ist nicht verwunderlich. Dort wo Halb- und Unwahrheiten der Geschichte verbreitet werden, dort findet der Extremismus das Feld für sein Wachstum.
Luther: „Was sollen wir Christen nun tun mit diesem verdammten, verworfenen Volk der Juden?“ Er schlug sieben Schritte als „scharfe Barmherzigkeit“ vor. Man solle:
- ihre Synagogen niederbrennen, usw.
Wiewohl er (Luther) Juden gern eigenhändig erwürgen würde, sei es Christen verboten, sie zu verfluchen und persönlich anzugreifen. Die Obrigkeit, die Gott zur Abwehr des Bösen eingesetzt habe, müsse die Christen vor den „teuflischen“ Juden schützen. Falls die Fürsten seine Ratschläge ablehnten, … so bleibe nur, die Juden aus den evangelischen Ländern „wie die tollen Hunde“ zu verjagen.
Im übrigen handelte es sich hierbei um keine Besonderheit der geistlichen Herrschaftsgebiete. Auch in den weltlichen (oftmals reformierten) Herrschaften war die Ausübung des katholischen Glaubens über eine Lange Zeit hinweg verboten.
Mit freundlichen Grüßen
1575 verbannte Julius Echter die Juden aus dem Hochstift, 1587 die Protestanten. Erst nach dem Zerschlagen des Hochstifts im November 1802 durften sich Protestanten und Juden wieder ansiedeln.
Das Herrschaftsgebiet des Hochstifts war vergleichsweise unübersichtlich. Das Hochstift hatte Exklaven in anderen Herrschaftsgebieten und auch Enklaven - Flecken im eigenen Herrschaftsgebiet, als Lehen von Adeligen oder Eigentum anderer Herrscher. So konnte es Synagogen geben wie zum Beispiel die in Allersheim.
Tatsächlich gab es Gebiete unter protestantischer Herrschaft, in denen Katholiken nicht leben durften. Im Kulturkampf in den 1870/80er Jahren unterdrückten Preußen/das Kaiserreich katholisches Leben. Die NSDAP fand unter Protestanten mehr Anhänger als unter Katholiken.
All das ist kein Thema in den Veranstaltungen zu 500 Jahren Reformation. Das kritisiere ich.
Freundliche Grüße
wolfgang.jung@mainpost.de
Von den historischen Gegebenheiten abgesehen ist es schlicht Ihre Art des parteinehmenden Schreibens, die mittlerweile der politischen/politpädagogischen Agitation weit näher ist als informativem Journalismus.
ich hatte tatsächlich Herr/Frau maikel gemeint. Ich bitte um Entschuldigung.
Freundliche Grüße
wolfgang.jung@mainpost.de
Ihre Darstellung des Hochstiftes erscheint mir doch etwas zu pauschal und undifferenziert.
Zunächst einmal war die Behandlung Andersgläubiger im Hochstift abhängig vom jeweiligen Regenten (wie übrigens in vielen anderen weltlichen Herrschaftsgebieten auch).
Jüdische Minderheiten im Hochstift belegen, dass andere Bekenntnisse sehr wohl erlaubt gewesen sind. Synagogen in Allersheim, Gaukönigshofen und Aub belegen das. Natürlich verkenne ich dabei nicht, dass diese mitunter schwer diskriminiert wurden. Jedoch können Sie die Behauptung schwerlich aufrecht erhalten, dass andere Bekenntnisse überhaupt nicht erlaubt waren.
Lt. wikipedia gab es im Hochstift übrigens auch 25 evangelisch-lutherische Pfarreien....
Inwieweit Gotteslästerung zu allen Zeiten des Hochstiftes hart bestraft wurden, mögen Sie bitte näher belegen. Hexenverfolgungen gab es im übrigen auch in weltlichen Herrschaften und war mehr ein Phänomen seiner Zeit denn ein Kriterium eines Gottesstaates....
Insbesondere wenn es Diskrepanzen gibt zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Daran mangelt es auch uns in unserer Zeit und unserer Welt wahrlich nicht. Martin Luther hat, soviel ist sicher, Leib und Leben mit seiner Aufmüpfigkeit riskiert. In vielen anderen Fragen war er ein Kind seiner Zeit - das darf man bei aller kritischen Betrachtung nicht vergessen. Allerdings darf es einen auch nicht von der "Fortschreibung der Reformation" abhalten. Da gibt es allerhand Bedarf, unsere Erkenntnisse von Menschenrechten und Umweltschutz zu exportieren statt sie zu relativieren, sobald der liebe/ schnelle Euro winkt (für den so manche Leute buchstäblich über Leichen gehen).
Kritik an sich ist wohlfeil - entscheidend ist was hinten rauskommt. Das war damals so und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Man diskutiert heutzutage darüber, ob Luther sich das alles leisten konnte, ohne wirklich Repressalien fürchten zu müssen, weil die richtigen Leute die Hand über ihn hielten, aber wenn ihm (z. B. unmittelbar nach dem Auftritt in Worms) ein kleiner bedauerlicher Unfall passiert wäre, so hätten Kaiser und Papst einen (zumindest) unbequemen Motzki losgehabt und Kurfürst Friedrich nicht wirklich was machen können. Ich bin mir also soweit tatsächlich "sicher" (und mit "der Literatur" im Einklang), dass die Aufmuckerei (lebens)gefährlich war. (Es sei denn natürlich, der Kaiser wollte den Papst damit "ärgern", dass er Luther ziehen ließ - aber das wäre nun wirklich pure Spekulation.)
Ich vergaß - das interessiert Sie ja alles gar nicht...