Angst haben muss keiner vor dem Theater-Marathon. Natürlich gibt es Längen. Doch die fünf Stunden verteilen sich auf drei Tragödien, inszeniert von drei Regisseuren. Stephan Suschke, Bernhard Stengele und Hermann Schneider interpretieren ihre Teile sehr unterschiedlich, jeder verwendet für seine Sicht der schicksalhaft-mörderischen Geschichte eine andere Übersetzung. Auch die Kostüme unterscheiden sich. Nur das Bühnenbild (Stephan Prattes) bleibt in den Grundzügen gleich – die Holztäfelung des Zuschauerraums wird auf der Bühne weitergeführt – und zeigt, dass die drei „Orestie“-Teile eine Geschichte erzählen.
Als vierten Teil hat Anna Sjöström ein Satyrspiel konzipiert. Schon zu Zeiten des Griechen Aischylos (525 bis 456 v. Chr.) wurden schwere Theaterstücke durch wilde Komödien aufgelockert. Im Jahr 2009 sorgt Schauspieler Philipp Reinheimer schon in der zweiten Pause mit seinem „Satyrspiel-Blues“, den er fetzig auf der E-Gitarre-begleitet, für Witz. Und am Ende – so gegen Mitternacht – reißt die „Sing-along-Orestie“ mit Parodien auf Lieder zwischen Abba und Bob Dylan die Zuschauer aus etwaigen trüben Gedanken.
Athene schaltet sich ein
Die kann man durchaus kriegen. Die „Orestie“ ist eine dunkle Geschichte um Gewalt, Rache und Morde innerhalb einer Familie. Fürst Agamemnon hat, um Glück für den Trojanischen Krieg zu erflehen, seine Tochter Iphigenie geopfert. Als Agamemnon nach zehn Jahren aus Troja heimkommt, ermordet ihn seine Gattin, um den Tod der Tochter zu rächen. Fortan herrscht sie mit ihrem Liebhaber Aigisthos. Ende des ersten Teils („Agamemnon“)
Im zweiten Teil („Die Choephoren“) kehrt Klytaimnestras Sohn Orestes, in der Fremde zum Mann herangewachsen, zurück, schleicht sich unter einem Vorwand ins Haus und ermordet – unterstützt von Schwester Elektra – die Mutter aus Rache für den Mord an seinem Vater. Im dritten Teil („Die Eumeniden“) wird Orestes von den Rachegöttinnen gehetzt, Gott Apollon nimmt ihn in Schutz, Göttin Athene schaltet sich ein, unterwirft Orest menschlicher Gerichtsbarkeit. Als die Richter zu keiner Entscheidung kommen, stimmt Athene für Orestes. Der junge Mann ist entsühnt. Durch Athenes geschicktes Taktieren werden die Rachegöttinnen zu wohlwollenden Eumeniden. Und alles ist gut? Der dritte Teil der „Orestie“ ist am weitesten von der heutigen Gedankenwelt entfernt. Die Götter der alten Griechen sind uns fremd. Intendant Hermann Schneider taucht das Stück in nahezu surrealistisches Licht. Die Welt der Götter wirkt wie ein Lazarett, Gewänder sind blutbespritzt, bandagierte Menschen kriechen über die Bühne.
Am Ende blickt Athene, ein Sturmgewehr in den Händen, auf die Menschen, die in einem riesigen durchsichtigen Zylinder gefangen sind. Nichts ist gut. Die Menschen sind unfrei, gefangen von Göttern, die von Leidenschaften beherrscht und also nichts anderes sind als Projektionen menschlicher Schwächen, die zu Krieg und Gewalt führen. Der Kreislauf der Rache ist nur scheinbar unterbrochen.
Die Kraft der Worte
Schneider setzt auf die Kraft der Bilder. Stephan Suschke vertraut in Teil eins auf die Kraft des Wortes. Seine Inszenierung ist asketisch, statuarisch, klassisch. Es gibt wenig Bewegung auf der Bühne. Die Faszination geht von den Versen aus, ihrer Schönheit, ihrer Macht, den Zuhörer zu fesseln. Eine Herausforderung für Schauspieler. Gut sind sie alle, ob Kai Christian Moritz als Aigisthos, Anne Simmering als Kassandra an der Grenze zum Wahnsinn oder Klaus Müller-Beck als selbstgefälliger Agamemnon. Doch vor allem bei Maria Brendel als Klytaimnestra leben die Verse, kann die archaische Sprache zur Waffe werden.
Bernhard Stengele findet im mittleren Teil der Tragödie Komisches. Die Amme lässt er von einem komischen, aneinandergefesselten Paar spielen (Rainer Appel, Max De Nil), Aigisthos tritt angetrunken mit einer Dose Bier auf. Komik und Tragik liegen hier beieinander, als habe Shakespeare mitgemischt. Christian Manuel Oliveira spielt den Orest, als sei der lieber ein unbeschwerter junger Mann. Doch die Götter und Schwester Elektra (Anne Diemer) treiben ihn in sein Schicksal.
Eine Hauptrolle beim antiken Theater spielt der Chor. Den formen 80 Bürgerinnen und Bürger aus Würzburg und Umgebung (der Frauenanteil liegt bei fast 90 Prozent). Geführt von Kai Markus Brecklinghaus, Anna Sjöström und Anne Simmering, kommentiert er, treibt das Geschehen voran, sorgt immer mal für dramatische Wucht. Beeindruckend.
Nächste Vorstellungen: 30. September, 3. und 7. Oktober. Beginn jeweils 19 Uhr. Karten Tel. (09 31) 39 08-124.