Der distinguierte ältere Herr mit dem weißen Haarkranz und den perfekten Umgangsformen trägt zum grauen Sakko einen dezenten blauen Schlips. Typisch Professor, denkt man, bis der Blick nach unten geht. Der fast 77-jährige hat eine sportliche schwarze Cordhose an und erzählt, dass er jeden Morgen gegen fünf in seinen alten Dreier- BMW steigt, um im Adami-Bad seine Runden zu drehen. Das Gespräch mit Augustinerpater Cornelius Petrus Mayer scheint alles andere als ein Routine-Interview zu werden.
Mayer ist ein weltbekannter Experte für Leben und Werk des Kirchenvater Augustinus (354 bis 430). „Nach Paulus ist Augustinus unter den Theologen zweifellos die Nummer eins“, sagt der Pater über das Objekt seiner Forschungen. Unter Meyers Ägide entstehen seit fast drei Jahrzehnten Textsammlungen und Nachschlagewerke zu Augustinus, die inzwischen auf CD-ROM und in Buchform vorliegen, teilweise aber auch schon übers Internet abgerufen werden können.
Wie Augustinus, der in seiner Lebensbeichte „Confessiones“ von wüsten Jugendjahren und mehreren Geliebten berichtet, ist auch Pater Mayer alles andere als ein stromlinienförmiger Mensch. 1969 hat er im konservativ-katholischen Würzburg eine Demonstration gegen die Fronleichnamsprozession organisiert. Der heute so soigniert wirkende Herr mit der goldenen Brille war damals in Würzburger Theologenkreisen nicht eben wohlgelitten, weil er sich ausgerechnet die linken Befreiungstheologen Südamerikas als Vorbilder erkoren hatte.
Cornelius Petrus Mayers Büro liegt im vierten Stock eines Hauses am Dominikanerplatz, zwischen der mächtigen Augustinerkirche und dem Müller-Drogeriemarkt. Der Blick geht auf das Augustinerkloster im Hof, in dem der Pater lebt. Hinter seinem Schreibtisch hängen – neben einer Augustinus-Darstellung – Porträts zweier berühmter Ordenskollegen, die auf ihre Weise ebenfalls umstürzlerisch gewirkt haben: Martin Luther, der die Kirche spaltete, und Gregor Mendel, der die Gesetze der Vererbung entdeckte.
„Ich hab mich in diese Sache hineingehängt“, sagte Cornelius Petrus Mayer lächelnd und meint die von vielen als revolutionär empfundene Befreiungstheologie. Es klingt kein bisschen entschuldigend. Auch dass er gegen sinnentleerte Prozessionen protestierte, reut ihn nicht. „Das ging auf mein Konto“, sagt er und bietet dem Gast höflich noch ein Stück Obsttorte an.
Der studentische Zulauf zum unkonventionellen Dozenten war damals groß, und auch in der Kirche St. Bruno im Steinbachtal, wo er sonntags seine nicht immer linientreuen Predigten hielt, drängten sich die Schäfchen, die nach dem Konzil große Hoffnungen auf eine Öffnung des Katholizismus hegten. 1978 wurde „Pater Petrus“ dann Professor, allerdings im liberalen Gießen.
Damals hatte in seinem Kopf schon das Riesenprojekt eines Augustinus-Lexikons Gestalt angenommen, das ihn und mehrere wissenschaftliche Mitarbeiter bis heute – und wohl noch viele weitere Jahre – beschäftigt. Finanziert wurde das ambitionierte Projekt zunächst von der Deutschen Forschungs-Gemeinschaft, später – bis zum heutigen Tag – vom Bund und vom Land Bayern.
Cornelius Petrus Mayer kam 1929 in Weindorf, dem heutige Pilisborosjenö bei Budapest, als Angehöriger der deutschen Minderheit der Donauschwaben zur Welt. 1946 wurde er als 17-Jähriger mit über 200 000 anderen Ungarndeutschen vertrieben. Er besuchte gerade die siebte Klasse eines Gymnasiums und wollte damals schon Priester werden. Der junge Mann wechselte auf die Lehranstalt der Augustiner in Münnerstadt, wo er 1949 das Abitur ablegte.
Danach studierte er in Würzburg Theologie und leitete zehn Jahre als Präfekt das Knabenseminar der Augustiner in eben jenem Haus, in dem heute das von Mayer geleitete Zentrum für Augustinus-Forschung sitzt.
Einer der hoffnungsfrohen Gymnasiasten vom Lande, der von 1956 bis 1963 im Heim der Augustiner wohnten, war der kleine Winzersohn Adolf Bauer aus Thüngersheim. Der ist heute Würzburger Bürgermeister, Finanzdirektor der Diözese und Vize-Vorsitzender und treibende Kraft der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung, die Mayers Arbeit tatkräftig unterstützt.
Modernste Technik half dem Pater und Professor von Anfang an, das Werk eines seit 1600 Jahren toten Mannes, des Kirchenvaters Augustinus, für die Gegenwart aufzuarbeiten. Zunächst schuf Cornelius Petrus Mayer von 1981 bis 1983, als die Datenverarbeitung noch in den Kinderschuhen steckte, mit Hilfe des Rechenzentrums der Uni eine für ihre Zeit revolutionäre Wortkonkordanz der Texte des Augustinus.
Wer nach einem bestimmten Wort sucht, findet seither in Sekundenschnelle alle entsprechenden Stellen, auf Wunsch auch mit den Zeilen davor und danach. Seither gilt das Zentrum für Augustinus-Forschung weltweit als der Ansprechpartner schlechthin für Anfragen zum großen – manchmal auch umstrittenen – Kirchenvater. Bis zu 1000 Besucher tummeln sich täglich auf dem von Mayer und seinen Mitarbeitern betreuten Internet-Angebot www.augustinus.de, rund 200 000 Seitenaufrufe kommen im Monat zusammen.
Für das Lexikon werden gerade die Beiträge zu den Buchstaben N und O vergeben. Mayer schreibt, wenn es irgendwie geht, keine eigenen Lexikon-Texte mehr, will sich „peu a peu“ zurückziehen. Derzeit ist davon freilich wenig zu spüren. Täglich, auch am Wochenende, sitzt er nach dem Ausflug ins Schwimmbad und den Laudes, dem Morgengebet im Kloster, spätestens um acht an seinem Schreibtisch.
Träumt er manchmal von Augustinus? „Von Augustinus nicht, aber von schlechten Manuskripten für Artikel im Lexikon“, sagt Mayer mit einem leicht ungarischen Timbre in der Stimme. „Aber die bearbeiten wir so lange, bis sie gut sind oder wir schreiben sie neu.“ Und wenn es gar nicht anders geht, greift er eben auch selbst noch mal in die Tasten.
Der Artikel wurde ursprünglich am 4. März 2006 veröffentlicht.