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Würzburg
Päckchen nach drüben
Als Deutschland noch geteilt war, begann jedes Jahr ein reger Postverkehr - in beide Richtungen. Unsere Autorin erinnert sich ans Päckchenpacken in den 60er Jahren.
Freute sich auf den Christstollen aus Dresden: Adventskalender-Autorin Sabine Ludwig.
Foto: Marina Weigand | Freute sich auf den Christstollen aus Dresden: Adventskalender-Autorin Sabine Ludwig.
Bearbeitet von Torsten Schleicher
 |  aktualisiert: 02.04.2019 13:44 Uhr

Vorweihnachtszeit in Deutschland Ende der 1960er Jahre. Ein zweigeteiltes Land. Wir waren im Westen, doch ein Großteil meiner Familie war drüben. Drüben, so nannte man die Ostzone. Für mich als kleines Mädchen aus der damals gerade mal 20 Jahre alten Bundesrepublik war es ein geheimnisvolles Land, in das man nicht so ohne Weiteres reisen konnte.

Die DDR war nicht greifbar. Überhaupt nicht. Doch der Dresdner Christstollen, der uns jedes Jahr in der zweiten Adventswoche mit der Paketpost erreichte, bedeutete für meine zweigeteilte Familie Freude, Zuversicht und Zusammenhalt. Weihnachten nahte.

Drüben lebten Großonkel und Großtante sowie die Cousins und Cousinen. Einer meiner Cousins war so alt wie ich. Meine Mutter war seine Patentante. Die Weihnachtspäckchen für die Ostzone liebevoll zu gestalten, war aufregend. Meine Mutter arbeitete in der Modebranche, und es war klar, dass sie meinen Cousin mit einer Markenjeans und dem passenden Sweat-Shirt beschenkte. Die waren bei den jungen Leuten in der DDR sehr begehrt. Mutters Cousine bekam dagegen Nylons und den letzten modischen Schrei aus dem Westen: mal ein schickes Kostüm, mal einen extravaganten Pulli oder ein besonderes Accessoire. Meine Großmutter legte zum Abschluss immer noch ein Pfund Bohnenkaffee dazu.

Schließlich wurden die Kartons mit Packpapier umwickelt, das Oma noch liebevoll mit Tannenzweigen und Christbaumkugeln bemalte. Dann war das alljährliche Vorweihnachtsritual geschafft. Gemeinsam trugen wir die Schätze auf das nächste Postamt, um sie rechtzeitig gen Osten zu schicken. Das alles passierte in der ersten Adventswoche. Damit hatten wir die Gewissheit, dass Jeans, Pullis, Strümpfe und Kaffee am Heiligen Abend unter dem Weihnachtsbaum liegen konnten. Drüben.

Und hüben freuten wir uns schon riesig auf den Stollen. Doch nicht nur das. Weitere Schätze, die durch die Päckchen in unsere West-Wohnzimmer gelangten, waren die Figuren aus dem Erzgebirge. Ich habe sie geliebt: Da gab es die Kurrendesänger, die großen Nussknacker, Pyramiden mit echten Kerzen und natürlich einen wunderschönen Schwibbogen fürs Fenster. Genau dann, wenn man von draußen seinen Kerzenschein sah, begann für mich Weihnachten.

Text: Sabine Ludwig

Sabine Ludwig ist freie Journalistin in Würzburg.

In der Kolumne „Würzburger Adventskalender“ erzählen Menschen aus Würzburg Anekdoten rund um Advent und Weihnachtsfest.

 
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