
"Hallo, schöne Unbekannte!" steht in krakeliger Schrift auf dem Zettel, der am Auto hängt. "Habe dich zwar nur kurz gesehen, mich aber sofort in dich verguckt. Ich: 47 Jahre, 187 cm, 95 kg, schwarze Haare, braune Augen würde dich gerne kennenlernen wenn du auch Single bist." Es folgt eine Handynummer und ein "lieber Gruß" von "Oliver".
Weil wir im 21. Jahrhundert leben, wo einerseits die Datenschutzgrundverordnung dafür sorgt, dass ich mich mit einem Bein in Knast wähne, wenn ich eine Visitenkarte archiviere, meine Mitmenschen aber alles, was ihnen in die Hände fällt oder zu Ohren kommt, via Facebook in die Welt hinaus schicken, ruft die schöne Unbekannte den verliebten Oliver natürlich nicht an. Sondern sie stellt seinen Brief in eine Netzwerk-Gruppe und fragt deren über 64.000 Mitglieder, was man davon zu halten habe.
"Ein lieber Gruß"
Damit setzt sich eine Lawine in Gang: Im Minutentakt melden sich Frauen, die ebenfalls Zettel von Oliver an ihren Autos gefunden haben. Manche vor ein paar Tagen, andere vor Wochen, Monaten oder gar Jahren. Offensichtlich geht Oliver vorzugsweise auf Einkaufsmarkt-Parkplätzen in Würzburg und Umgebung auf Brautschau. Auf jeden Fall hatten alle Damen seinen "lieben Gruß" an ihren Autos, als sie vom Shoppen kamen.
Was ein wenig erstaunt: Auch nachdem sich 237 Auserwählte geoutet haben, wird nicht klar, welchen Typ Oliver bevorzugt. Es sind Blondinen dabei und Dunkelhaarige, schlanke und pummelige, elegante und lässige, junge und Frauen in den Jahren, die nur sehr Unwissende als "die besten" bezeichnen. Wer an das Gute im Menschen glaubt, wertet das vermutlich als Flexibilität. Wer das Leben kennt, wird es wohl eher als Verzweiflung deuten.
Auf jeden Fall scheint Oliver sowohl sparsam zu sein, als auch über sehr viel Freizeit zu verfügen. Die Damen berichten nämlich übereinstimmend, dass er seine Worte stets zu preiswertem Karopapier gebracht und immer handschriftlich formuliert hat. Kopien kommen Oliver nicht ans Auto seiner Angebeteten.
Während ich noch darüber nachdenke, wann ich Olivers Zettel an meinem Wagen hatte, schickt mir meine Freundin A. eine verzweifelte WhatsApp. "Mein Leben ist sinnlos", schreibt sie, "ich bin die einzige Frau in Würzburg, von der Oliver nix will." Als ich sie anrufe, schluchzt sie und kündigt an, dass sie sich fortan in ihrer Wohnung einschließen und dem Alkohol hingeben werde.
Sorry, Oliver, aber wenn sie morgen wieder nicht zur Arbeit geht, kaufe ich Karopapier, mache deine Schrift nach und hänge den Zettel an A.‘s Fiat.
Muss ich das persönlich nehmen...? :-/