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Würzburg/Schweinfurt
Offene Verfahren, hohe Aktenberge: Auch bei Staatsanwaltschaften in Unterfranken steigt die Zahl unerledigter Fälle
Der Deutsche Richterbund klagt über die stark wachsende Zahl offener Verfahren an den Gerichten. Was der Bamberger Oberstaatsanwalt zur Situation in Unterfranken sagt.
Der Deutsche Richter-Bund warnt: Wegen steigender Fallzahlen dauert die Bearbeitung offener Verfahren immer länger - auch bei der Justiz in Würzburg, Schweinfurt oder Aschaffenburg (Symbolbild).
Foto: Thomas Obermeier | Der Deutsche Richter-Bund warnt: Wegen steigender Fallzahlen dauert die Bearbeitung offener Verfahren immer länger - auch bei der Justiz in Würzburg, Schweinfurt oder Aschaffenburg (Symbolbild).
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:22 Uhr

Das Dilemma zeigt sich auf dem Tisch von Staatsanwälten und Staatsanwältinnen auch in Würzburg oder Schweinfurt: hier ein beschlagnahmtes Nacktvideo, dort die Akten zu einem Ladendiebstahl, einer Fahrerflucht, zu ein paar Gramm beschlagnahmtes Marihuana. Dazu Fälle von Schlägereien oder Geldwäsche. An den enorm wachsenden Stapeln lässt sich das Arbeitsaufkommen der Justiz ablesen.

Deutscher Richterbund warnt: Zahl der offenen Verfahren steigt

Mit einem Alarmruf hat der Deutsche Richterbund gewarnt: Bereits Mitte 2023 seien bundesweit fast 850.000 Verfahren offen gewesen – 28 Prozent mehr als noch zur Jahresmitte 2021. Über 5,2 Millionen neue Fälle gebe es bei den Staatsanwaltschaften, erklärt Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des Richterbundes, in dem auch die Staatsanwälte organisiert sind. Das sei neuer Rekord. In Bayern liegt der Anstieg bei den offenen Verfahren laut Richterbund knapp unter dem Bundesdurchschnitt. Spitzenreiter ist Hamburg mit 57 Prozent mehr Fälle als zwei Jahre zuvor.

Große Zahl an kleineren und kleinen Fällen, die aufhalten

Auch in Unterfranken sind die Staatsanwaltschaften mit einer Vielzahl an oft kleineren Fällen beschäftigt, die Kapazitäten binden: mit Eltern beispielsweise, die selbst vor einer Anklage wegen Verbreiten von strafbaren Kinderpornos stehen, obwohl sie nur die Lehrer informieren wollten, was sie an zweifelhaften Bildern auf den Handys ihrer Kinder fanden. Oder mit Verdachtsanzeigen gegen naive Kleinunternehmer, auf deren Konten Internetbetrüger erbeutetes Geld "parkten". Dazu eine Vielzahl kleinerer Drogendelikte, wegen derer oft nicht genug Kapazität bleibt, um Drogenkartelle mit hohem Ermittlungsaufwand wirksam zu verfolgen. Auch bei den Straftaten nach dem Aufenthaltsgesetz haben die Zahlen stark zugenommen.

Alte Verfahren, die noch laufen: viele Fälle an den Gerichten auch in Unterfranken

Was das bedeutet, zeigt der Blick auf die Listen der pro Woche angesetzten Prozesse an den unterfränkischen Amtsgerichten von Bad Kissingen über Gemünden bis Kitzingen - und mehr noch an den Landgerichten in Würzburg oder Schweinfurt. Dort verraten schon die Aktenzeichen: 2024 müssen immer mehr Fälle entschieden werden, deren Verfahren bereits vor dem Jahr 2020 oder noch früher begonnen wurden.

"Der Anstieg lässt sich auch bei den Staatsanwaltschaften Aschaffenburg, Würzburg und Schweinfurt beobachten", sagt Nino Goldbeck von der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg auf Nachfrage. Exemplarisch nennt der Oberstaatsanwalt und Justiz-Sprecher die Situation in Schweinfurt.

Dort stieg die Zahl der offenen Verfahren innerhalb eines Jahres um 10,4 Prozent. "Die Verfahren wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz sind dabei um 14,9 Prozent und die Verfahren wegen Geldwäsche um 30,5 Prozent gestiegen", sagt Goldbeck.

Ziel der Staatsanwaltschaft: Ermittlungsstrukturen optimieren, Verfolgungsdruck optimieren

Die Justiz versucht, mit Konzentration und optimierten Strukturen gegenzusteuern: Teil der Zentralstelle Cybercrime Bayern (ZCB) ist seit 2020 das "Zentrum zur Bekämpfung von Kinderpornographie und sexuellem Missbrauch im Internet (ZKI)". Es ist für herausgehobene Ermittlungsverfahren im Internet zuständig. Im Jahr 2022 hat die ZCB hat 6591 Verfahren im Bereich Kinderpornografie gegen bekannte und unbekannte Täter geführt. 2023 waren es 8146 Verfahren - ein Plus von 23,6 Prozent.

Strafverfolger fehlen: Deutscher Richterbund fordert mehr Personal

Rund 6000 Staatsanwälte sind in Deutschland in der Strafverfolgung tätig – offenbar nicht genug. Bundesweit fehlen laut Deutschen Richterbund allein in den Staatsanwaltschaften und Strafgerichten 1500 Juristen - und bis 2030 rollt eine große Pensionierungswelle auf die Behörden zu. Die Strafjustiz müsse deutlich besser ausgestattet werden, um die wachsenden Aufgaben zu erledigen, heißt es vom Richterbund

Nino Goldbeck, der Sprecher der fränkischen Staatsanwälte, lässt angesichts dessen nicht unerwähnt, dass die Staatsanwaltschaft Schweinfurt zuletzt immerhin "um anderthalb staatsanwaltschaftliche Stellen aufgestockt" wurde.

 
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  • Fred Reinshagen
    Ein weiterer Punkt wäre die Harmonisierung der Behördengebiete. Der Landkreis Haßberge liegt in der Region SW/Main-Rhön und ist nur 3 km von der Stadt SW entfernt; zuständig für ihn ist die Kripo SW aber Staatsanwaltschaft & Landgericht BA, aber wiederum das Hauptzollamt SW, mit polizei- & staatsanwaltähnlichen Aufgaben. Das ist ineffizient, gibt Zuständigkeitsprobleme und erhöht den personellen Aufwand pro Fall.

    Auch die Becksteinsche Polizeireform war fragwürdig. Das zweistufige System (Polizeipräsidium & Polizeidirektion) wurde vereinfacht aber zu ungunsten der Polizeipräsens vor Ort. Die Polizeidirektionen wurden aufgelöst, nicht die Präsidien, wodurch SWer Polizisten nach WÜ versetzt wurden um dort die PI & Kripo SW zu verwalten. Wenn man schon Planungsregionen in Bayern hat sollte man Justiz & Polizei entsprechend harmonisieren - zumindest in Ufr. WÜ/SW/AB würde sich das anbieten: jeweils eine Region, ohne Gebietsausnahmen, für Justiz & Polizei - im Idealfall auch für die JVA
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  • Fred Reinshagen
    PS: Die Außenkammer des Arbeitsgerichts SW untersteht dem Arbeitsgericht WÜ. Das Sozialgericht WÜ untersteht hingegen dem Landessozialgericht SW, das aber kein Sozialgericht hat. Im Reg.Bez. Schwaben gibt es trotz Polizeireform zwei Polizeipräsidien in Augsburg & Kempten. Es ist im Freistaat nichts klar durchstrukturiert, was ineffizienter ist, mit höherem Personalaufwand, bei schlechterer Leistung wg. Zuständigkeitsproblemen.

    Weshalb man z.B. in BW die Sonderbehörden in einer Reform konsequent den Landratsämtern unterstellte, was aber zu kleine Einheiten sind. Frankreich hat 95 Departements als Verwaltungseinheiten, in denen alles harmonisiert ist, bis zu den PLZ-Gebieten. Sie entsprechen von der Größe den 95 dt. Planungsregionen. Bayern hat 18 Planungsregionen, in denen man 18 Polizei-, Zoll-, Justiz- & Sonderbehördenzentren schaffen könnte, denen dann die höheren Justiz-Instanzen, wie Oberlandesgerichte (M, N, BA), Landessozialgerichte (FÜ, SW), etc. übergeordnet wären.
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  • Edith Kram
    @GF: "Große Zahl an kleineren und kleinen Fällen, die aufhalten"

    Diese Absatz-Überschrift beschreibt das ganze Dilema.

    Vieles könnte schon durch polizeiliche Ermittlungsarbeit erledigt werden - wird es auch, aber ein Staatsanwalt muss sich dennoch zumindest kurz damit befassen. Zudem muss er die Einstellung/Ablehnung begründen. Bei Verfahren ohne Geschädigten eigentlich unnötig.

    Ach ja, Geschädigte. Vorallem die einer Unfallflucht. Es darf in der derzeitigen Diskussion gefragt werden, ob Bagatellschäden wirklich auf den Tisch der Staatsanwaltschaft gehören oder nicht.
    Ungeklärte Fällen liegen in den Speichern der Polizei ebenso gut wie in den Aktenkellern der Justiz.
    Bei geklärten Bagatellfällen ist durch das "geklärt" doch das wichtigste erledigt. Der Geschädigte bekommt sein Geld! Und ein saftiges Bußgeld tuts als Strafe dann auch.
    Zumal wenn man weiß, dass Verkehrsunfälle mit Personenschäden meist mit Bußgeldern enden.

    Die Justiz macht sich das Leben selbst schwer.
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