Nierenschalen, OP-Tücher, Verpackungen - in der Medizin ist die Nutzung von Einwegprodukten häufig aus Gründen der Sterilität vorgeschrieben. Doch lassen sich herkömmliche, petrochemische Materialien durch nachhaltigere Alternativen ersetzen? Der Medizintechniker Markus Eblenkamp von der TU München arbeitet an der Entwicklung ressourcenschonender Materialien. Der Medizinprodukte-Sektor, sagt er, könne eine Pilotfunktion: Viele Medizinprodukte ließen sich mit vergleichsweise geringen Materialmengen herstellen. Zudem würden sie in hohen Margen produziert, die vom Rohstoffpreis unabhängig sind.
Zauberwort Biopolymere
Dass es Bedarf an nachhaltigen Alternativen im Gesundheitssektor gibt, zeigt die Forschung. Zu Kunststoffen aus nachhaltigen Rohstoffen, sogenannten Biopolymeren, zählen das aus Braunalgen gewonnene Alginat oder Chitosan, das unter anderem aus Krabbenschalen hergestellt werden kann. Beide zeichnen sich durch ihre Biokompatibilität aus, sind also für Patienten gut verträglich. So kann Alginat für medizinische Wundauflagen verwendet werden, aus Chitosan lässt sich chirurgisches Nahtmaterial fertigen, das sich von selbst im Körper abbaut.
Maisstärke, Bakterien und Milchsäure spielen eine Rolle
Auch Polyactid (PLA) und Polyhydroxyalkanoate (PHA) zählen dazu. Während PLA auf der Basis von Maisstärke und Milchsäure hergestellt wird, werden PHA von Bakterien als Energiereserve produziert. Beide Biopolymere werden intensiv erforscht und sind vereinzelt schon für die Verwendung im medizinischen Bereich zugelassen.
Auch das SKZ Kunststoffzentrum in Würzburg forscht an Biopolymeren und ihren potenziellen Einsatzgebieten im medizinischen Bereich. Johannes Rudloff, stellvertretender Leiter des Bereichs Materialentwicklung, Compoundieren und Extrudieren, nennt aktuell vor allem resorbierbare Implantate wie Schrauben oder Nahtmaterial. Doch auch für Gehäuse von medizinischen Geräten oder für Verpackungen könnte das Material in Zukunft zum Einsatz kommen, sagt Rudloff.
Gerade im Verpackungsbereich ist der Umstieg auf die nachhaltige Alternative naheliegend: Die Produkte haben meist eine geringere Lebensdauer und werden nach einmaliger Benutzung recycelt oder entsorgt. "Anders als bei Produkten, die mehrere Jahrzehnte im Einsatz sind, ist hier keine aufwendige Erforschung von Langzeiteigenschaften der eingesetzten Biopolymere nötig", erklärt des Materialentwickler des SKZ.
In der Praxis keine Priorität
Die Theorie klingt vielversprechend, doch wie sieht es mit der tatsächlichen Anwendung solcher Produkte aus? Nachhaltigkeit sei ein wichtiger Faktor, sagt Susan Lindner vom Hygiene Technologie Kompetenzzentrum, Teil der Unternehmensgruppe Sozialstiftung Bamberg. Doch in der Praxis hätten derzeit oft andere Faktoren Vorrang.
In Krankenhäusern wie dem Klinikum in Bamberg stünden Aspekte wie die praktische Anwendung und die Risikobewertung noch über der Umweltverträglichkeit. So könnten zum Beispiel neue, nachhaltige Produkte umständlicher in der Handhabung sein und damit eine Fehlerquelle sein, sagt Lindner. Als Beispiel führt sie ein umweltfreundliches Reinigungsmittel an, das sich in der Anwendung möglicherweise von herkömmlichen Produkten unterscheidet und damit reibungslose Abläufe im Klinikalltag stört.
Von Seiten der Anwender sprechen also trotz der generellen Bereitschaft zu mehr Nachhaltigkeit noch Funktionalität, Praktikabilität und der Kostenfaktor gegen umweltfreundlichere Medizinprodukte. Und auch der Preis für nachhaltige Materialien liegt noch über dem für konventionelle Produkte.
Die aufwendigen Prüf- und Zertifizierungsverfahren sind neben den Kosten eine weitere Hürde für Biokunststoffe im Medizinsektor. Bei der Zulassung als Medizinprodukte stehe den Biokunststoffen eigentlich nichts im Wege, sagt SKZ-Experte Rudloff. Die Richtlinien und Zulassungsvoraussetzungen in der Medizintechnik unterschieden häufig nicht zwischen biobasierten oder petrochemischen Materialien. Das Hauptproblem sei vielmehr die geringe Erfahrung mit den noch recht jungen Werkstoffen, so der Materialentwickler. Oft seien bestimmte Aspekte noch nicht ausführlich genug erforscht.
Marktanteil der Biopolymere wird wachsen
Auch der Kostenaspekt wird in den nächsten Jahren nach Rudloffs Einschätzung ein immer geringeres Problem: "Je höher die Kapazitäten sind, in denen Biopolymere produziert werden, desto effizienter und wirtschaftlicher wird die Herstellung." Laut einer Erhebung des nova-Instituts für Ökologie und Innovation betrug die Gesamtproduktionsmenge an biobasiertern Kunststoffen 2018 insgesamt 7,5 Millionen Tonnen. Das entspricht gerade einmal zwei Prozent der Produktionsmenge petrochemischer Kunststoffe. Am Würzburger SKZ aber ist man zuversichtlich, dass der Anteil der Biopolymere auf dem Kunststoffmarkt innerhalb der nächsten fünf Jahre deutlich wachsen wird.