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HELMSTADT
Notfallseelsorger: Helfen, das Leid zu ertragen
Berthold Grönert mit seinem Ordner voller Erinnerungen. Er ist katholischer Pfarrer für die Gemeinden Helmstadt, Remlingen, Uettingen und Holzkirchhausen und agiert als Notfall- und Feuerwehrseelsorger im Landkreis Würzburg.
Foto: Sophia Scheder | Berthold Grönert mit seinem Ordner voller Erinnerungen. Er ist katholischer Pfarrer für die Gemeinden Helmstadt, Remlingen, Uettingen und Holzkirchhausen und agiert als Notfall- und Feuerwehrseelsorger im Landkreis ...
Sophia Scheder
Sophia Scheder
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:50 Uhr

Gebannt schaut Berthold Grönert in seinen Ordner, blättert, denkt nach. Es sind Erinnerungen, Gedanken, die sich darin befinden – Zeitungsartikel, Unfallfotos, Todesanzeigen. Sie helfen ihm, das Geschehene zu verarbeiten. Pfarrer Berthold Grönert ist Seelsorger, Notfallseelsorger und Feuerwehrseelsorger. Er rückt bei den schlimmsten Einsätzen aus und steht Menschen in den schwierigsten Situationen beiseite.

Es ist der 18. Juli 2016. Bei einem Terror-Anschlag in einem Regionalzug bei Würzburg verletzt ein junger Mann fünf Menschen mit einer Axt und einem Messer, vier davon schwer. Berthold Grönert und vier weitere Notfallseelsorger stehen an der s.Oliver Arena in Würzburg bereit. Bereit für die Zugpassagiere, Angehörigen und Feuerwehrkameraden. Sie stehen ihnen bei, helfen, klären auf. „Die Fahrgäste haben sehen müssen, wie ein Mann Menschen mit einem Beil angegriffen hat – offene Schädel, so viel Blut“, erinnert sich Grönert.

Der 50-Jährige ist einer von insgesamt zehn ökumenischen Notfallseelsorgern im Landkreis Würzburg. Ob Unfall, Suizid oder Brand: Grönert ist seit 15 Jahren genau dann zur Stelle, wenn tragische Ereignisse Menschen den Boden unter den Füßen wegreißen. „Ich gehe zu den Leuten hin, sage, dass ich jetzt für sie da bin. Ob sie mich brauchen, oder wie lange sie mit mir reden, das können sie selber entscheiden“, erzählt Grönert.

Es geht um den Beistand

Oft sind Notfallseelsorger Pfarrer einer katholischen oder evangelischen Kirche, in den meisten Fällen haben sie aber zumindest eine theologische Ausbildung hinter sich. So auch Berthold Grönert: Er ist seit sieben Jahren als katholischer Pfarrer zuständig für die Gemeinden Helmstadt, Remlingen, Uettingen und Holzkirchhausen. Der Glaube spiele auch eine große Rolle beim Verarbeiten des Geschehenen. „Man muss immer im Kopf behalten, dass man an der Situation nichts ändern kann“, so Grönert. Es gehe allein um das Beistand leisten. „Man muss nicht alles machen können, solange ich weiß, dass ich jemanden habe, an den ich die Belastungen abgeben kann. Dann denke ich mir, jetzt ist der liebe Gott dran.“

Notfallseelsorger trösten, hören zu, sind einfach nur da, und gelegentlich übernehmen sie Dinge, zu denen die Angehörigen zum Zeitpunkt nicht in der Lage sind: Sie benachrichtigen Verwandte oder nehmen sie in den Arm. Manchmal müssen sie einen Leidtragenden erst einmal aus einem Schockzustand rausholen, „zum Beispiel mit der einfachen Frage, ob er einen Kaffee möchte“, berichtet der 50-Jährige.

Doch oft sind nicht allein die Angehörigen die Leidtragenden. Auch die zuständigen Einsatzkräfte brauchen von Zeit zu Zeit eine seelische Stütze. Feuerwehrleute rücken beispielsweise nicht nur bei harmlosen Bränden aus – sie schneiden Schwerverletzte aus Unfallautos und werden bei ihren Einsätzen mit vielen belastenden Dingen konfrontiert. Auch dann ist Grönert für den seelischen Beistand zuständig – als Feuerwehrseelsorger. „Hier ist meine Aufgabe zu schauen, wie es den Kameraden geht. Gemeinsam mit ihnen einen Einsatzabschluss zu machen, also die Nachbesprechung eines schweren Einsatzes. Das kann oft beim Verarbeiten des Geschehenen helfen“, erzählt Grönert, der selbst Feuerwehrmann in Helmstadt ist.

Umschalten als Seelsorger

Und wann rückt er nun als Notfall-, und wann als Feuerwehrseelsorger aus? „Ich kann umschalten. Das heißt, ich kümmere mich um das, was ich aktuell für wichtig halte. An der Unfallstelle sind wir oft für die Angehörigen und Ersthelfer zuständig – trotzdem muss ich im Blick behalten, wie es den Feuerwehrkameraden geht“, erzählt er. Bei größeren Einsätzen müsse er auch öfter nachalarmieren, denn: „Ich kann mich nicht um alles kümmern.“

Alle Seelsorger müssen eine spezielle Ausbildung für ihre Aufgabe bei Notfällen machen. Diese umfasse mindestens 80 Unterrichtseinheiten, wie Uli Wagenhäuser, Beauftragter für die Notfallseelsorge der Diözese Würzburg berichtet. Hinzu kommen modular gestaltete praktische Übungen in Rollenspielen und Fallbeispielen, sodass die gesamte Ausbildung mindestens ein dreiviertel bis ganzes Jahr dauert. „In der Ausbildung trainieren wir viel in Rollenspielen, üben bestimmte Krisensituationen mit verschiedenen Zielgruppen", sagt Wagenhäuser. Zudem stehen unter anderem Grundlagen der Psychologie, Strukturen einer Krisenintervention, Recht und Verwaltung, Besonderheiten verschiedener Kulturen und Religionen und christliches Menschenbild und Werte auf dem Ausbildungsplan.

Doch auch nach der Ausbildung werden die neuen Notfallseelsorger nicht einfach ins kalte Wasser geschmissen. Es folgt eine Hospitanz bei einem erfahrenen Seelsorger. So werden sie nach und nach an den neuen Job herangeführt.

Die Bilder bleiben

Anderen steht er bei, doch auch Grönert selbst muss es schaffen, mit dem Erlebten umzugehen: „Kalt lässt es einen nie. Man ist auch nur ein Mensch.“ Oft finde er Kraft in seinem Glauben. Aber auch das private Umfeld spiele eine große Rolle. „Ich habe Bekannte, die ich anrufen kann. Auch mit meiner Schwester kann ich über so etwas reden. Das hilft, die Gedanken loszulassen und wieder etwas runterzufahren“, sagt Grönert nachdenklich und blickt zurück in seinen Ordner: „Die Bilder bleiben. Sie werden nur mit der Zeit sortierter.“

 
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Kommentare
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  • J. E.
    Sehr wichtig. Ich bin selbst Feuerwehrmann und habe mir Herrn Grönert schon so manch schwierige Einsätze gehabt. Vor allem für die jungen Feuerwehrleute ist es sehr wichtig und eine sehr gute Sache, auch das man jemand hat mit dem man frei reden kann über Gott und die Welt. Ich hoffe das es auch bei den Notfallseelsorgern Nachwuchs gibt die den Menschen die Helfen und die die in Not geraden sind halt geben.
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