„Junker ernst, duck dich!“ Der Warnung von Moderatorin Ulrike Schäfer hätte es gar nicht bedurft. Denn was Nora Gomringer und ihr trommelnder Partner Philipp Scholz aus Jakob Wassermanns Text „Der Aufruhr um den Junker Ernst“ Samstagabend in der voll besetzten Stadtbücherei machten, hätte sicher auch beim Autor und seiner Hauptfigur im Buch Gefallen gefunden. Aber Ulrike Schäfer hielt die Mahnung zunächst für angebracht, denn die Bachmann-Preisträgerin von 2015 und ihr Duo-Partner hatten angekündigt: „Wir vertonen alles, was nicht niet- und nagelfest ist“.
Für die Besucher war das eigens für die Aktionswoche „Würzburg liest ein Buch“ konzipierte Programm „Fabulieren heute: Der Junker, die Dichterin, der Trommler“ zunächst eine große Wundertüte. Denn es wurde an diesem Abend zum allerersten Mal aufgeführt. Doch schon nach wenigen Sätzen zeigte sich, dass Gomringer/Scholz ein eingespieltes Duo sind, die nicht nur miteinander harmonieren, sondern sich auch genau mit der Wassermann-Novelle auseinandergesetzt hatten.
Nora Gomringer ist der Umgang mit Sprache und Worten förmlich in die Wege gelegt worden. Ihr Vater, der Schriftsteller Eugen Gomringer, ist der Erfinder der Konkreten Poesie“, einem Gegenstück zur „Konkreten Kunst“, wie sie im Museum im Kulturspeicher gezeigt wird.
Nora Gomringer weiß aus frühester Jugend um die Bedeutung von Sprache und Texten, kein Wunder also, dass auch sie die Autoren-Laufbahn einschlug. Dazu kommt, dass sie es nahezu perfekt versteht, geschriebene in gesprochene Worte umzusetzen. Wenn man ihr zuhört, zieht sie einen in den vorgetragenen Text hinein, sie liest nicht nur, sie inszeniert, sowohl den Text als auch sich selbst, sie unterlegt Worte und Sätze mit größeren und kleineren Gesten, sie beherrscht das ganze Artikulationsspektrum von Flüstern bis zum Schreien.
Auch bei ihrer Inszenierung des „Junker Ernst“ wird deutlich, dass sie einmal eine Poetry-Slam-Phase hatte. Sie rhythmisiert den Text, schlägt den Sprechtakt oft mit der Hand mit wie eine Dirigentin, steigert das Tempo, um es kurz darauf wieder herauszunehmen. Und dazu zeichnet Drummer Philipp Scholz minimalistische Klangbilder und -figuren, die wie eine Filmmusik das gesprochene Wort unterlegen oder die Handlung weiterbefördern.
Nora Gomringer hält sich in weiten Teilen an Wassermanns Originaltext. Zumindest inhaltlich. Denn sie trägt ihn nicht einfach vor, sie erzählt ihn, mit ihren Worten, und immer wieder mit eigenen Gedankeneinschüben. So wie der Junker Ernst im Buch fabuliert, übernimmt sie vor dem Publikum die Rolle der Erzählerin und erzählt ihrerseits vom Junker Ernst. Sie macht sich dabei den Text zu eigen, Mimik und Gestik unterstreichen den Inhalt. Dass sie dem Junker Ernst sehr nahe steht, verhehlt sie dabei nicht: „So einem will ich mich verwandt fühlen, diesem Jungen, der eine Gabe in sich hat“, heißt es in einem ihrer persönlichen Einschübe.
Ergreifend gerät zum Ende der Dialog zwischen dem Junker Ernst und Pater Spee. Angesichts der nahenden Rettung des Junkers, empfinde sie beim Lesen der beiden letzten Buchkapitel eine gleichsam „bukolische Erleichterung“. Und den Schlusssatz des Junkers, der seine Zuhörer bittet „Schenkt mir eure Geduld“, den zelebriert sie förmlich. Schließlich, so sagt sie, wünschen sich das alle Erzähler.
Das Publikum im Falkenhaus schenkte ihr diese Geduld gerne und belohnte Gomringer und Scholz mit begeistertem Applaus. Und so wurde der Abend zu dem, was Ulrike Schäfer zu Beginn versprochen hatte: einem der Top-Highlights der Lesewoche.