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Würzburg/Knetzgau
Nervenkitzel an der Dart-Scheibe: Wer denkt, verliert.
Lange fristeten Dartspieler ein Schattendasein und kämpften mit ihrem Kneipen-Image. Jetzt boomt der Sport. Wie Dart nach Unterfranken kam und worauf es ankommt.
Nervenkitzel an der Dart-Scheibe: Wer denkt, verliert.       -  Über zwei Meter trennen Spieler und Scheibe beim Dart. Da ist Präzision gefragt.
Foto: Patty Varasano | Über zwei Meter trennen Spieler und Scheibe beim Dart. Da ist Präzision gefragt.
Moritz Baumann
Moritz Baumann
 |  aktualisiert: 08.11.2019 21:09 Uhr

Mit Druck umgehen, den Stress aushalten: Wer Dart spielt, muss Nerven haben. Im Moment, in dem man mit dem Pfeil in der Hand die Scheibe anvisiert, ist absolute Präzision gefragt. Zu wissen, dass innerhalb weniger Runden ein satter Vorsprung von 100 auf 15 Punkte schrumpfen kann. Dass man das Spiel längst für sich hätte entscheiden können? Der Wurf wird zur Kopfsache.

Irgendwo in den Haßbergen, im Sportheim von Hainert: 48 Spieler aus ganz Unterfranken sind gekommen, um beim Turnier gegeneinander anzutreten. Die Halle ist voll. Es ist laut. Im ganzen Raum fachsimpeln die Mitspieler. Sechs Boards sind aufgebaut worden, gespielt wird bis tief in die Nacht. 

"Das ist der pure Nervensport."
Laura Söhngen, ehemalige Präsidentin des Bayerischen Dartverbandes

Ein Spieler tritt ans Board. Noch zwei Würfe trennen ihn vom Sieg, genau fünf Punkte sind übrig. Das Ziel: Im ersten Wurf die "1" treffen, um dann im zweiten mit der "Doppel-2" den Sieg zu holen. Der Arm schnellt nach vorne, der 23 Gramm schwere Pfeil fliegt Richtung Board. Die Spitze bohrt sich in das mit Sisal bespannte Rund. Keine Sekunde später: Enttäuschung. Der Pfeil steckt im 19er-Feld. Überpunktet. Mit nur einem weiteren Wurf entscheidet der Gegner das Spiel für sich.

So schnell kann sich beim Dart ein Spiel um 180 Grad drehen. "Das ist der pure Nervensport", sagt Laura Söhngen, die bis vor einigen Monaten Präsidentin des Bayerischen Dartverbandes war. "Man muss das Board mental bezwingen." Stress und Wut, Leichtsinnigkeit oder Ablenkung sind beim Dart die eigentlichen Gegner. Statt stählerner Muskeln braucht es Ausdauer im Kopf. Nur so trifft man über mehrere Stunden hinweg die gerade mal 45 Zentimeter große Scheibe. Anders als beim eDart, das es in vielen Kneipen gibt, werden beim Steeldart Metallspitzen an die Pfeile geschraubt. 

Die Spieler beim Turnier in Hainert kennen das Gefühl: Scheitert man beim entscheidenden Wurf, verfehlen die Pfeile auch in der nächsten Runde häufig ihr Ziel. Immer und immer wieder hat man bestimmte Standardwürfe im Training geübt, doch jetzt macht einem der eigene Kopf einen Strich durch die Rechnung. Es ist schwierig diese Blockade zu überwinden, den eigenen Rhythmus wiederzufinden. 

Nervenkitzel an der Dart-Scheibe: Wer denkt, verliert.       -  48 Spieler aus ganz Unterfranken traten beim Dart-Turnier in Hainert gegeneinander an.
Foto: Patty Varasano | 48 Spieler aus ganz Unterfranken traten beim Dart-Turnier in Hainert gegeneinander an.

Kopfrechnen in rasanter Geschwindigkeit

Dabei ist das Spielprinzip beim Dart denkbar einfach. Die gängigste Turniervariante heißt "501-Double-Out". Zwei Spieler treten gegeneinander an und versuchen mit möglichst wenigen Würfen genau 501 Punkte zu erzielen – gezählt wird abwärts bis 0. Die Spieler werfen abwechselnd mit jeweils drei Pfeilen. Unterteilt ist die Dartscheibe in verschiedene Segmente mit Punktzahlen von 1 bis 20. Zusätzlich zu dem Bulls-Eye in der Mitte gibt es Bereiche, in denen die Punkte doppelt oder dreifach zählen. 

Anders als beim eDart, wo der Computer für einen mitzählt, werden beim Steeldart nach jedem Wurf  die Punkte im Kopf verrechnet. Multiplizieren, addieren, subtrahieren - in einer rasanten Geschwindigkeit. Innerhalb von Sekunden muss man – je nach Punktestand – eine neue Wurfstrategie entwickeln können. "Wenn du deinen Weg nicht kennst, hast du meist verloren", erklärt Laura Söhngen von den "DC Franken Fighter's" in Schweinfurt.

"Wir wurden als Saufsportler belächelt."
Thomas Kettler, Vorsitzender des Unterfränkischen Dartverbandes

Lange kämpfte die Dart-Szene in Deutschland mit ihrem Kneipen-Image. "Wir wurden als Saufsportler belächelt", erinnert sich Thomas Kettler, der Vorsitzende des Unterfränkischen Dartverbandes (UDV). Die Geschichte, wie das Dartspiel vor über 35 Jahren seinen Weg nach Unterfranken fand, erzählt er noch immer gerne.

Es war ein Freund von ihm, der 1983 im England-Urlaub den Sport für sich entdeckte. In fast jedem Pub war er damals auf Engländer getroffen, die mit spitzen Pfeilen auf kreisrunde Scheiben warfen. Als der Freund zurückkam, hatte er das Dartspiel "mit im Gepäck". 

Nervenkitzel an der Dart-Scheibe: Wer denkt, verliert.       -  Beim Dart braucht es absolute Konzentration. Nichts darf einen im Moment des Wurfs ablenken.
Foto: Patty Varasano | Beim Dart braucht es absolute Konzentration. Nichts darf einen im Moment des Wurfs ablenken.

Noch im selben Jahr gründete er mit Thomas Kettler und einigen Freunden in Marktheidenfeld den ersten Dartclub. Schnell schwappte die Begeisterung auch auf andere Orte über. In der "wilden Frankenliga" traten zwei Jahre später erstmals Spieler aus Unterfranken gegeneinander an. Während in England die Profis schon Anfang der 80er-Jahre als Stars gefeiert und die Turniere bis in die Wohnzimmer übertragen wurden, fristete Dart in Deutschland indes lange ein Schattendasein. Offiziell anerkannt wurde der Sport erst 1998. 

Nun boomt die Steeldart-Szene in Deutschland. Die Mitgliederzahlen steigen rasant. Denn Dart-Profis wie Michael van Gerwen, Rob Cross oder Phil Taylor haben sich längst auch in Deutschland einen Namen gemacht - und machen Lust, selbst an der Scheibe zu stehen.  Wenn die Profis im Londoner Alexandra Palace, besser bekannt als "Ally Pally", um den Weltmeistertitel kämpfen, kochen die Emotionen hoch. Die Stimmung? Eine Mischung aus Oktoberfest, Prunksitzung und Wrestling-Match. 

Ein Blick ins Londoner Ally Pally während der Darts-Weltmeisterschaft...

Anzeige für den Anbieter Facebook Video über den Consent-Anbieter verweigert

Gerade stehen sich Gary Anderson und Dave Chisnall im Viertelfinale gegenüber. Beim Turnier in Hainert ist für die Live-Übertragung extra ein Fernseher aufgestellt worden. Klack. Klack. Klack. Während im unterfränkischen Sportheim die Pfeile im Sekundentakt in Richtung der sechs Dartscheiben fliegen, fiebern die Spieler mit den Profis in London mit. Es herrscht ausgelassene Stimmung. Anderson ist als Favorit ins Rennen gegangen. Und liefert. 

Als sich der Schotte, der schon zweimal den Weltmeistertitel holte, in London für das Halbfinale, qualifiziert, bricht auch in Hainert Jubel aus. Im "Ally Pally" feiern jetzt rund 3000 kostümierte Fans. Ein echtes Spektakel. Tausende Liter Bier gehen über die Tresen. In Hainert analysiert man dagegen die Spielstatistik: Fünf der sieben Sätze entschied Gary Anderson für sich. Mehrmals räumte er die 501 Punkte mit nur 13 Würfen ab, erzielte im Durchschnitt 103 Punkte. Die Fans in Unterfranken sind beeindruckt. Und begeistert. Das Turnier in den Haßbergen dauert noch bis tief in die Nacht. Ein Großteil der Spieler wird bleiben bis zum Schluss. 

  • Hier können Sie in Unterfranken Dart spielen: zur Übersicht

Das erfährt auch der Wipfelder Nico Utzmann, der als Sportwart beim UDV fast jedes Wochenende auf Achse ist. "In der ganzen Region entsteht ein Verein nach dem anderen." 17 Vereine spielen aktuell mit 31 aktiven Mannschaften in insgesamt vier unterfränkischen Ligen. Wer will, kann jedes Wochenende am Board stehen – in der Liga, auf Meisterschaften, bei Ranglisten- und Masters-Turnieren. 

An einem Mittwochabend im Februar verschlägt es Nico Utzmann in den Landkreis Main-Spessart, nach Retzstadt. Auch dort entsteht gerade eine neue Dart-Abteilung, angegliedert an den örtlichen Fußballverein. Die Scheiben stehen schon. Innerhalb kürzester Zeit haben die beiden Retzstadter Johannes Post und Michael Eisenbacher die 80er-Jahre-Kegelbahn im Vereinsheim umgebaut. "Wir haben da ziemlich gewütet", erzählen sie. 

Starterpaket ab 120 Euro

Die Idee entstand nach einem kleinen Spaßturnier. Allein aus Retzstadt hatten sich 40 Spieler angemeldet. Die Euphorie im Dorf sei spürbar gewesen, sagen Post und Eisenbacher. Und so legten die beiden los. Die Vorteile beim Dart: kaum Aufwand und geringe Materialkosten. Ein "Starterpaket" gib es schon für um die 120 Euro.

Noch liegen Bohrmaschine, Kreissäge, Schrauben und Dübel quer durch den Raum verteilt.  Bevor es losgehen kann, kontrolliert UDV-Sportwart Nico Utzmann die Anlage, misst die Höhe vom Board und den Abstand zum Spieler, überprüft die Beleuchtung der Scheibe und den Schattenwurf der Pfeile. Alles im Abnahmeprotokoll genau geregelt. Was als Zeitvertreib Anfang des 19. Jahrhunderts in verrauchten Kneipen englischer Industriestädte begann, unterliegt mittlerweile strengen Regularien. Längst ist Steeldart im Profisport angekommen. Millionen Fans in der ganzen Welt fiebern mit – auch in Retzstadt.

"Mein Ziel ist, schon nächstes Jahr im Ally Pally zu stehen", scherzt Johannes Post, der sich selbst zuhause eine Dartscheibe an die Wand geschraubt hat. Schon kommende Woche kann er sein Können unter Beweis stellen: Am Dienstag, 20.30 Uhr, soll das Dart-Training in Retzstadt starten. 

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Über das Onlineportal nuLiga (https://bdv-dart.liga.nu/) finden Sie alle Vereine in Unterfranken und die entsprechenden Ansprechpartner und Trainingsorte.
 
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