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WÜRZBURG
Nachrichten aus einem Paralleluniversum
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Foto: ILLUSTRATION: ROMINA BIRZER
Angelika Kleinhenz
 |  aktualisiert: 27.04.2023 03:55 Uhr

Sie haben eines gemein: Sie unterstellen, etablierte Medien lügen, lassen aus, manipulieren oder lassen sich zumindest vor den Karren mächtiger Eliten spannen; wahlweise gesteuert von der Bundesregierung, dem US-Geheimdienst CIA, Israels oder den Freimaurern. Im Internet findet heute jeder bei umstrittenen Themen die Wahrheit, die er gerade sucht. Angebliche Beweise für jede erdenkliche Verschwörungstheorie liefern Artikel so genannter alternativer Medien, die Experten zitieren, die ihre Theorie bestätigen.

Auch wenn Alternativmedien nicht zwangsläufig Fake News verbreiten, sollten Leser die Quellen ihrer Nachrichten stets hinterfragen und kritisch einordnen. Denn hinter besonders vielen Kanälen steckt eine Strategie. Sie Szene alternativer Medien ist riesig.

Die deutsche „Epoch Times“ beispielsweise, die ursprünglich von chinesischen Aktivisten als Reaktion auf die Unterdrückung der Falun Gong-Sekte gegründet wurde, steigert ihre Klickzahlen im Internet mit negativen Nachrichten über Flüchtlinge und wurde dadurch zu einer Art Lieblingsmedium der Pegida-Bewegung.

RT Deutsch“ ist genau wie „Sputnik“ ein vom russischen Staat finanziertes Propaganda-Medium. Die Webseite „Unzensuriert.de“ ist aus dem Umfeld der rechtspopulistischen FPÖ in Österreich entstanden. Österreichischen rechtsradikalen Kreisen wird das „Contra Magazin“ zugeordnet. Hetzseiten wie „PI News“ zeichnen eine Welt, in der Ausländer vergewaltigen, rauben und schnorren.

Chemtrails und ein schwuler Obama

Wer ein Faible für Ufologie und Esoterik hat, den informiert der „Kopp“-Verlag unter anderem darüber, dass es Chemtrails gäbe (Kondensstreifen von Flugzeugen seien in Wirklichkeit Giftschwaden, die die Regierung gegen die Bevölkerung einsetze), dass Obama eigentlich schwul sei und dass die EHEC-Epidemie 2011 von orientalischen Erntehelfern ausgelöst wurde, indem sie absichtlich ihre Fäkalien mit Lebensmitteln in Kontakt brachten.

Hohe Reichweiten erreicht „Sott.net“, ein Nachrichtensammelsurium der rechtspopulistischen Verschwörerszene aus den USA. Geschichtsrevisionisten schlagen historische Ereignisse nicht auf Wikipedia, sondern der zum Verwechseln ähnlich aussehenden Online-Enzyklopädie „Metapedia.org“ nach. In seriöser Aufmachung bedient die Monatszeitschrift „Zuerst!“ sowohl konservative als auch rechtsextreme Leser.

Das Wochenmagazin „Die Weltwoche“ hegt eine ungesunde Nähe zur rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei und scheut auch keine Titelseite, auf dem ein Roma-Kind mit einer Pistole auf den Betrachter zielt, versehen mit der Schlagzeile: „Die Roma kommen: Raubzüge in der Schweiz“. Eng verbandelt mit dem Magazin ist der Online-Blog „Achse des Guten“, der dem Klimawandel skeptisch und dem Islam feindlich gegenüber steht. Ängste vor Islamisierung und Überfremdung schürt auch das Chemnitzer Jugendmagazin „Blaue Narzisse“. Der angeblichen Zensur aller anderen Medien haben sich die Beiträge des rechtspopulistischen Blogs „Tichys Einblick“ verschrieben.

Ein großer Teil alternativer Medien sei rechts bis weit rechts außen angesiedelt, so die freie Journalistin Camilla Kohrs, die sich für das Recherche-Netzwerk „Correctiv“ intensiv mit dem Thema befasst hat. „Internetseiten wie „PI News“ hetzen mit Themen wie Ausländerkriminalität vor allem gegen muslimische Flüchtlinge (Zitat PI News: „Merkels Fiki-Fiki-Fachkräfte“), die Politik der Bundesregierung und ihrer Meinung nach linke Politiker.“

In einem anderen Teil der Medien, wie dem „Compact“-Magazin, „KenFM“ oder in Büchern des „Kopp“-Verlags wittern die Autoren eine politische Agenda im Auftrag von Geheimdiensten, so Kohrs. Die jeweiligen Autoren seien überzeugt, dass die etablierten Medien von Regierungen oder Geheimbünden gesteuert würden. „In dieser konstruierten und von Geheimdiensten wie der CIA kontrollierten Welt verschwimmen die Grenzen zwischen sehr rechten und sehr linken Denkmustern“, so die Journalistin. Wer versuche, mit überzeugten Verschwörungstheoretikern zu diskutieren, habe keine Chance.

Viele hätten sich in einer Parallelwelt ein geschlossenes Weltbild aufgebaut. „Sie sind überzeugt: Jeder Gegenbeweis ist erfunden. Es gibt keine gemeinsame Basis, jeder Fakt wird angezweifelt“, erklärt Kohrs.

Einer besonderen Rolle kommt der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ zu. Als Sprachrohr der Neuen Rechten nimmt sie eine Position zwischen konservativen und rechtsextremen Positionen ein. Chefredakteur Dieter Stein macht seine Thesen dadurch einem breiten bürgerlichen Publikum schmackhaft. Bei der national-liberalen Zeitung gibt es viele personelle Überschneidungen zur AfD. Nicht ohne Grund sagte AfD-Politiker Gauland einst: „Wer die AfD verstehen will, muss die Junge Freiheit lesen.“

Akteure wie Götz Kubitschek, der Herausgeber des Theoriemagazins „Sezession“ oder „Compact“-Gründer Jürgen Elsässer versuchen darüber hinaus, AfD-Politiker, Pegida, Identitäre Bewegung und deren Medien zusammenzubringen und zu vernetzen, so Camilla Kohrs.

Dass es ein Netzwerk von Nachrichtenanbietern gibt, die der AfD nahe stehen, davon ist auch Politikberater Johannes Hillje überzeugt. Er glaubt: „Die etablierten Medien als unglaubwürdige Lügenpresse zu diskreditieren, war eine Strategie der AfD. Damit wollte sie einen Bedarf nach angeblich wahrhaftigen Informationen schaffen. Diesen deckt sie jetzt mit eigenen Parteimedien oder der Partei nahe stehenden Medien.“

Wichtigstes Parteimedium der AfD sei ihre Facebook-Seite. Mit erfolgreichen Posts erreiche sie an die vier Millionen Menschen und könne fast mit den Einschaltquoten der Tageschau mithalten. Die Beiträge erinnern an Nachrichten aus dem Boulevardjournalismus, doch jede Schlagzeile wird im Sinne des AfD-Programms interpretiert und eingeordnet. „Es ist Pseudojournalismus und keine normale Öffentlichkeitsarbeit einer Partei, sondern Propaganda“, sagt Hillje. Als Beispiel nennt er Eilmeldungen bei Razzien oder Terrorwarnungen. Noch bevor Ermittlungsergebnisse der Polizei bekannt werden, formuliere die AfD bereits ihre Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung.

Grundsätzlich biete die Informationsvielfalt im Internet eine Chance für die Demokratie, meint der Politikwissenschaftler. Doch wenn rechtspopulistische Medien durchgehend mit hetzerischen Artikeln gegen den Islam die Religionsfreiheit in Frage stellen und diese Informationen irgendwann überwiegen, werde es gefährlich.

Doch woran erkennt man Propaganda? „Propaganda ist parteiisch und einseitig. Es gibt keine Meinung und Gegenmeinung, keine Transparenz und Kontrolle“, sagt Hillje. Seiner Meinung nach bräuchte Deutschland kein Fake-News-Abwehrzentrum sondern ein Medienkompetenzzentrum, damit der Leser eben jene Propaganda von seriösen Nachrichten unterscheiden lerne.

Junge Freiheit: 1986 als Schülerzeitung gegründet, später von Burschenschaftlern an Unis kostenlos verteilt. AfD-nahe Zeitung mit mittlerweile 28 000 verkauften Exemplaren pro Woche.

Kopp: Verlag, der vor allem für Bücher aus den Bereichen Esoterik, Ufologie, Astrologie, Pseudowissenschaften sowie für rechtes Gedankengut und Verschwörungstheorien bekannt ist.

RT Deutsch: Russischer Auslandssender mit der Mission, Moskaus Sicht der Dinge darzustellen.


Compact: 2010 von Jürgen Elsässer gegründetes Magazin, in dem er gegen Islamisierung, Einwanderung und Feminismus schreibt und sich Frauke Petry (AfD) als Kanzlerin wünscht.

Sezession: Neurechte Denkfabrik von Götz Kubitschek auf einem Rittergut in Schnellroda (Sachsen-Anhalt) mit eigenem Magazin, das auch Björn Höcke (AfD) mit Ideen versorgt.

PI-News: 2004 von Stefan Herre gegründeter Hetzblog mit rund 400 000 Besuchern pro Tag.

 
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  • A. K.
    Hallo, schneefall, das Fernsehmagazin rtv wird von einem Dienstleister erstellt und vermarktet. Wir haben keinen Einfluss auf einzelne Anzeigenplatzierungen. Außerdem sind die Publikationen des Kopp-Verlages nicht verboten. Man sollte diese Veröffentlichungen aber schon sehr kritisch prüfen. Das war Thema des genannten Beitrags. Beste Grüsse, Andreas Kemper, Main-Post.
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  • B. K.
    Mit Interesse verfolge ich derzeit die Serie Nachgehakt in ihrer Tageszeitung, heute mit dem Artikel "Nachrichten aus der Parallelwelt". Es ist lobenswert die Leser auf so manche "alternative Medien" aufmerksam zu machen. Sie führen u.a. den Kopp-Verlag an. Ist Ihnen bzw. dem Redakteur-Team schon aufgefallen, dass in dem Fernsehmagazin rtv dass wöchentlich der Main Post und im Übrigen vielen anderen Zeitungen beiliegt, immer wieder Werbung und Artikel des Kopp-Verlags veröffentlicht werden? Will die Main Post tatsächlich über das Fernsehmagazin rtv dem Kopp-Verlag ein Podium für seine Werbung und Theorien geben?
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