
Nach Köln besuchen mehr Frauen Selbstverteidigungskurse. „Die Nachfrage nach Selbstverteidigung boomt“, sagt Tarik Kuzucu, Inhaber der Kampfkunstschule tma in Würzburg. „Kurz nach Neujahr war ein Frauenkurs mit 40 Plätzen in wenigen Tagen ausgebucht.“ Ein zweiter ist kurz darauf nahezu voll. Als „fast schon panisch“ beschreibt Kuzucu die Stimmung mancher Frauen, die sich oder ihre Töchter anmelden. „Die Vorfälle in Köln haben sie verunsichert,“ berichtet der Kampfsportlehrer aus Gesprächen. Außerdem hätten die Frauen von angeblichen gewalttätigen oder sexuellen Übergriffen in Würzburg und Umgebung auf Facebook gelesen oder erzählt bekommen.
Andere Anbieter von Selbstverteidigungskursen bestätigen die Verunsicherung auf Anfrage der Redaktion. „Wir haben deutlich mehr Zulauf“, sagt Mario Kühnlein, Leiter der i-PENSA Academy. Bei ihm wie im Kampfsportcenter Würzburg fragen ebenfalls vor allem Frauen nach. „Zwölf haben sich alleine in der vergangenen Woche gemeldet,“ sagt Inhaber Jürgen Müller. Die 14- bis 25-Jährigen „wollen sich besser schützen“.
„Sie fühlen sich nicht wohl“, schildert Frank Helm von der Höchberger Kampfkunstschule Combat Capacity die Beweggründe von Frauen, die sich bei ihm melden. Einige hätten erzählt, von Ausländern belästigt worden zu sein, andere hätten davon gehört. Die Nachfrage nach Selbstverteidigung habe bereits im November angezogen, sei aber nach den Ereignissen in Köln weiter angestiegen.
Mit einem wöchentlichen Kurs bildet Helm jetzt doppelt so viele Frauen aus wie früher. „Dazu kommen Kurse für Unternehmen. Eine Würzburger Firma hat für 20 Mitarbeiterinnen bei uns gebucht.“
Aus den Berichten von vier Kampfschulen lässt sich nicht auf einen allgemeinen Trend schließen. Denn dazu fehlen belastbare Zahlen. Fest steht allerdings, dass im Moment einige hundert Frauen in Würzburg offensichtlich ein starkes Bedürfnis haben, sich selbst schützen zu können und deshalb Kurse besuchen. Dass vermutlich auch einige Männer dieses Bedürfnis haben, lässt sich aus einer erhöhten Nachfrage nach dem „kleinen Waffenschein“ schließen. Auf Anfrage erklärt Rathaussprecher Christian Weiß: „Im Januar haben bereits 20 Würzburger den Schein beantragt. Im gesamten vergangenen Jahr waren es 50.“ 25 davon im Oktober und November. Der kleine Waffenschein ist gegen eine Gebühr erhältlich und berechtigt zum Mitführen einer Gas- oder Leuchtpistole.
Was sagt die Polizei? Einen objektiven Grund für das Bedürfnis nach Selbstschutz gebe es nicht. Das Polizeipräsidium Unterfranken erklärt: „Aus polizeilicher Sicht besteht im Bereich Unterfranken kein Grund zur Beunruhigung.“ Im Zeitraum zwischen Januar und November 2015 sei die Zahl von Rohheits- und von Sexualdelikten in Unterfranken gesunken. In der Stadt Würzburg seien die Fallzahlen bei Sexualdelikten leicht gefallen. Eine Zunahme gebe es dagegen bei sexuellen Beleidigungen.
Den Anteil von „Zuwanderern“ unter den Tatverdächtigen gibt die Polizei bei Sexualdelikten in Unterfranken mit „unter fünf Prozent“ an. „Unter zehn Prozent“ seien es bei Rohheitsdelikten und „unter 20 Prozent“ bei sexuellen Beleidigungen. Konkrete Zahlen oder Angaben über die Monate Dezember und Januar nennt die Polizei nicht.
Ohnehin haben diese Zahlen nur eine eingeschränkte Aussagekraft. Denn der Polizei wird nur bekannt, was angezeigt wird. Belästigungen wie ein doofer Spruch oder eine zweideutige Geste werden oft nicht angezeigt, können Frauen aber dennoch Angst machen.
Dass die Bedrohung schlecht fassbar ist, lässt sie laut Medienpsychologe Professor Frank Schwab sogar noch stärker wirken. „Wenn man keine eindeutigen Fakten hat, um ein Risiko abschätzen zu können, wird es aus dem Bauch heraus häufig überschätzt.“ Evolutionsbiologisch gesehen sei das eine sinnvolle menschliche Eigenschaft: „Wer vor der Schlange wegläuft, ohne zu wissen, ob sie giftig ist oder nicht, wird weniger oft an einem Biss sterben, wie der, der stehen bleibt.“
Den Inhaber des Lehrstuhls für Medienpsychologie an der Uni Würzburg überrascht es daher nicht, dass die Berichte über die Kölner Silvesternacht sich auf die Nachfrage nach Selbstverteidigung auswirken. „Die Nachfrage nach Pfefferspray ist ja, wie berichtet wird, auch gestiegen.“
„Wenn ein Thema in den Medien so präsent ist, kann das die Sicht auf die Wirklichkeit beeinflussen“, nennt Schwab eine weitere Erklärung für steigende Ängste. Da medial so viel über die Übergriffe von Köln und in anderen Millionenstädten berichtet wurde, fühlt sich auch der Würzburger und die Würzburgerin stärker bedroht.
Verstärkt wird dieser Effekt dadurch, dass man sich besonders gut die Nachrichten merkt, die die eigene Weltsicht bestätigen. „Früher konnten die klassischen Medien auch mal korrektiv wirken, heute bekommt man jede noch so befremdliche Weltsicht online belegt.“
Zum Glück ist es heute nicht mehr so einfach, "korrektiv" zu wirken damit die Menschen die Weltsicht bekommen, die sie haben SOLLEN!
Es gibt genau zwei Möglichkeite:
1. Man kann der Meinung sein die Bürger seien unmündig und man müsse ihnen die "richtige" Meinung nahe bringen. Dann muß man aber auch sagen daß man gegen Demokratie ist. Denn unmündige Bürger können nicht über das Schicksal des Staates bestimmen.
2. Ist man Demokrat, muß man dem Bürger Mündigkeit zusprechen und es ihm selbst überlassen sich eine Meinung aus den Fakten zu bilden - die man als Journalist zu berichten hat.
Es gibt nur 1. oder 2.
Alles andere ist inkonsequent.
Ich denke auch, wenn man die Allgemeinheit beeinflussen will, lässt sich das viel einfacher bewerkstelligen: Man füttert den durchdrehenden Mob im Internet einfach mit den "richtigen" Informationen. Das ist viel einfacher als die Beeinflussung und Steuerung tausender Journalisten.