Die späten 60er und die frühen 70er Jahre des 20. Jahrhunderts waren in vielerlei Hinsicht eine Zeit der Veränderungen und des Aufbruchs – politisch, kulturell, historisch: 1967 riefen die Hippies in San Francisco den „Summer of Love“ aus, 1968 erschütterten Studentenunruhen Deutschland und russische Panzer machten dem „Prager Frühling“ den Garaus, im Juli 1969 betrat der erste Mensch den Mond und wenige Wochen später versammelten sich rund eine halbe Million junge Menschen zum legendären Woodstock Festival in der Nähe von New York.
Danach war, speziell unter der Jugend in der westlichen Welt, nichts mehr wie es einmal war. Und man mag es kaum glauben, auch eine Stadt wie Würzburg blieb von den nun folgenden „Auswüchsen“ – so wurden sie zumindest von der älteren Generation wahrgenommen – nicht verschont.
Plötzlich ließen sich junge Männer die Haare wachsen und trauten sich mit ihren Mähnen sogar auf die Straße; junge Mädchen trugen kurze Miniröcke und knallbunte Batik-T-Shirts, und es wurde gemunkelt, dass auch in der biederen und und ach so ordentlichen Domstadt Drogen wie Haschisch oder Marihuana in Umlauf seien.
Und es wurden zwei Musikclubs gegründet: Das Bingam, das dann Lingam, später Thing und Off hieß in einem Keller in der Karmelitenstraße (heute Stoff Bar) und der Omnibus in der Theaterstraße, wo seit 1970 bis heute Live-Musik angeboten wird, wurden zu Keimzellen der sich verändernden Popmusik. Zu guter Letzt muss hier auch das alternative Café Bundschuh (heute Backöfele) erwähnt werden, das zum Szenetreff der neuen Subkultur wurde.
Das „Potlach“-Geheimnis
Und dann gab es einen Ort, den heute nur noch die ganz Eingeweihten kennen. Das „Potlach“ (ein Potlach ist ein Fest der amerikanischen Indianer, bei dem in ritueller Weise Geschenke verteilt werden) und „Potlach“ ist folgerichtig der Titel eines Konzertes im Omnibus am Samstag, 19. November, bei dem sich einige Protagonisten der damaligen Musikszene nach viereinhalb Jahrzehnten wieder einmal zum gemeinsamen Musizieren zusammenfinden.
Das „Potlach“ befand sich in der Elefantengasse 6, erinnert sich Roman Bunka im Gespräch mit der Redaktion, im Hinterhof einer Schreinerei. Es war Proberaum, Treffpunkt, Wohngemeinschaft und Übernachtungsmöglichkeit für durchreisende Bands, kurz ein alternativer Platz, der auch schon mal die Polizei zu einer Razzia „inspirierte“. Schließlich galt es in jenen Tagen Terroristen aufzuspüren oder nach Drogen zu suchen.
Roman Bunka, der heute ein bekannter und anerkannter Virtuose auf der arabischen Laute Oud ist, war Ende der 60er Jahre Gründungsmitglied von „Blues Campaign“, wo er Gitarre spielte. Außer ihm waren in der Besetzung der ersten dabei: Klaus Götzner am Schlagzeug (der später für die legendären Ton Steine Scherben trommelte), Norbert Dömling am Bass, Klaus Wilhelm an der Orgel und, was für Würzburg damals ein absolutes Novum war, der schwarze Sänger Roland Shepherd.
Blues Campaign trat an so illusteren Orten wie den Huttensälen, der Turngemeinde Würzburg, der Tanzschule Hartung, dem Ruderverein, im Pfarrsaal im Steinbachtal oder im Studentenkeller auf. 1970 spielte die Band als „Vorgruppe“ von Yes in den Huttensälen, erinnert sich Bunka. „Die fanden wir aber gar nicht so toll, weil die fast nicht improvisiert haben“.
Improvisation aber war genau das, was „Blues Campaign“ zunächst von den anderen Würzburger Bands unterschied. Sie spielten zwar alte Blues-Songs, aber angereichert mit langen solistischen Improvisationsteilen. Das war so neu, dass es nicht bei jedermann auf Verständnis stieß. Über einen Auftritt der Band in den Huttensälen (zusammen mit den immer noch existierenden Jets) schrieb der Kritiker dieser Zeitung damals folgendes:
„Es begann mit den 'blues compaigns'. In 'Kellerkindermontur' nahmen sie sich mit Hingabe der nötigen Phon-Zahl an. Ihre Kondition war erstaunenswert. Sie wurden nimmermüde, rundum das zu interpretieren, was die heutigentags sich unsicher fühlenden, seelisch beschwerten und körperlich unfreien Teens und Twens am dringendsten zu ihrer Wiederaufrichtung benötigen: underground-music.“
Mit „Blues Campaign“ ging es los
Da lacht man heute drüber, aber damals war das ernst gemeint und zeigt die ganze Hilflosigkeit, mit der manch einer den neuen Klängen gegenüberstand. Der Vollständigkeit halber: Die Jets haben dem Berichterstatter gut gefallen.
Roman Bunka zog es dann aber bald in die weite Welt. Zunächst spielte er bei „Missus Beastly“, die Rockmusik mit Jazz und Weltmusik kombinierten. Schließlich landete er in Tunesien, Marokko und Ägypten. Noch heute spielt er in der Band des ägyptischen Superstars Mohammed Mounir. Bei „Blues Campaign“ stieg ein neuer Gitarrist ein und am Saxophon stieß Jürgen Benz dazu. Wie Bunka spielte auch Benz später bei Missus Beastly.
„Blues Campaign“ war so etwas wie die Keimzelle der neuen Rockmusik in Würzburg. Nicht nur dass Blues Campaign-Musiker in bekannten Bands gefragt waren, sie waren mit ihrem neuen Sound für Musiker in Würzburg eine Art Vorbild. So entstand eine lebendige Szene mit kreativen Musikern, die dann bei renommierten Bands wie Ton Steine Scherben, Nina Hagen, Spliff, Embryo, oder Dissidenten gefragt waren.
Die Würzburger Szene der frühen 70er war geprägt vom „Klang der Revolte“, wie ein sehr lesenswertes und informatives Buch von Christoph Wagner über den westdeutschen Musik-Underground jener Zeit betitelt ist. Denn wer sich damals zu jenem Klang bekannte, gab damit auch ein Statement über Einstellung und Gesinnung ab. Wenn sich nun acht Musiker dieser Epoche zum Potlach-Konzert im Omnibus treffen, um sowohl akustisch als auch elektrisch zu jammen, darf man gespannt sein, was der Geist der Revolte heute noch ausdrückt.
„Potlach“-Mitwirkende
• Artzen (Missus Beastly/Gitarre)
• Jürgen Benz (Blues Campaign, Mis- sus Beastly, Instant Ego/Saxophon, Flöte)
• Roman Bunka (Blues Campaign, Missus Beastly, Embryo/Gitarre, Oud)
• Alex Grünwald (Elastic Rockband, Münchner Freiheit/Keyboards)
• Georg Kolb (Banana Groove Band, Elastic Rock Band, Aera/Bass)
• Locko Richter (Missus Beastly, Aera, Embryo/Bass)
• Pete Winter (Banana Groove Band, Majon, World Affair/Percussion)
• Jan Zelinka (Elastic Rock Band, Missus Beastly/Schlagzeug)
Karten für das Konzert gibt es für 12 Euro an der Omnibus-Abendkasse.