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FRANKFURT
„Mr. Euro“: Otmar Issing wird 80
„Unser Haus in Würzburg war stets das Zentrum“: Otmar Issing
Foto: Theresa Müller | „Unser Haus in Würzburg war stets das Zentrum“: Otmar Issing
dpa
 |  aktualisiert: 28.03.2016 03:24 Uhr

„Architekt der europäischen Geldpolitik“, „Heimlicher Herrscher der EZB“, „Mr. Euro“ – mit Titeln ist Otmar Issing während seiner Berufslaufbahn überhäuft worden. Der Würzburger Wirtschaftsprofessor drückte der Geldpolitik in Europa seinen Stempel auf – zunächst als Chefvolkswirt der Deutschen Bundesbank (Oktober 1990 bis Mai 1998) und anschließend in gleicher Position bei der Europäischen Zentralbank (EZB/Juni 1998 bis Mai 2006). Bis heute ist seine Expertise gefragt. Am Ostersonntag feiert Issing im Familienkreis in seiner fränkischen Heimat seinen 80. Geburtstag.

Dass Europa seit Jahren nicht aus dem Krisenmodus herauszukommen scheint, beobachtet der Jubilar mit Sorge. „Wie oft wurde in Sonntagsreden die europäische Solidarität gepriesen. Die Flüchtlingskrise hat offenbart, dass für die Mitgliedstaaten der EU nationale Interessen nach wie vor an erster Stelle stehen“, konstatiert Issing. „Die Idee einer politischen Union bleibt allenfalls eine Vision für die ferne Zukunft.“

Die Währungsunion umfasst inzwischen 19 Staaten – funktioniert aber leider nicht so reibungslos wie ihre Gründerväter es einst erdachten. Von Anfang an sei gegen vertraglich vereinbarte Verpflichtungen verstoßen worden, beklagt Issing. „Inzwischen gehören Vertragsverletzungen zum Alltag.“ In der neugegründeten EZB legte Issing den Grundstein für eine glaubwürdige europäische Geldpolitik nach Vorbild der Bundesbank. Er entwarf maßgeblich die Zwei-Säulen-Strategie, die Zinsentscheidungen auf Basis monetärer und wirtschaftlicher Daten trifft. „Der Aufbau der EZB war eine einmalige Erfahrung“, sagt er rückblickend. Die Zeiten haben sich geändert: „Die EZB ist zunehmend zum Lückenbüßer geworden für das, was die Politik in den einzelnen Ländern versäumt hat, was die Finanzpolitik versäumt hat. Das hat sie in eine Rolle gebracht, in der sie auf Dauer nicht glücklich werden wird.“ Seine akademische Laufbahn absolvierte der passionierte Leichtathlet („Ich war mal ein hoffnungsvoller Sprinter. Mit 50 bin ich noch 11,8 Sekunden auf 100 Meter gelaufen.

“) im Eiltempo: Promotion 1962, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Nürnberg-Erlangen 1967, Ruf an die Uni Würzburg 1973, wo er bis 1990 den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre innehatte.

„Was ich im Sport gelernt habe – Einstellung, Disziplin, Fairness – hat mir auch sonst geholfen“, sagt Issing. Früh musste er als mit Abstand Ältester von sechs Geschwistern Verantwortung übernehmen. „Die Eltern hatten eine kleine Gastwirtschaft und keine Zeit, ich habe meine Brüder und meine Schwestern großgezogen.“ Bis heute lebt der Mozart-Liebhaber und Opern-Fan („Plácido Domingo hätte ich gerne mal kennengelernt.“) in seiner Heimatstadt Würzburg, die Familie als Ruhepol. „Unser Haus in Würzburg war stets das Zentrum für unsere Familie“, schildert Issing, der seit 1960 verheiratet ist und zwei Söhne sowie inzwischen fünf Enkel hat. Beruflich war und ist Issing viel unterwegs. 1988 bis 1990 war er einer der „Fünf Weisen“ im Sachverständigenrat der Bundesregierung. In den Wirren der jüngsten Finanzkrise berief ihn Berlin im Herbst 2008 zum Leiter einer Expertenkommission, die für die Bundesregierung Vorschläge zur Reform des globalen Finanzsystems erarbeiten sollte.

Seit 2006 zieht er als Präsident des „Center for Financial Studies“ am House of Finance der Frankfurter Goethe-Universität die Fäden.

In seiner aktiven Zeit bei der EZB stand Issing als „Falke“ für eine restriktive Geldpolitik, die der Verteidigung der Preisstabilität oberste Priorität einräumt. Dass Europas Währungshüter seit geraumer Zeit Schwierigkeiten haben, das selbst gesetzte Inflationsziel von knapp unter 2,0 Prozent zu erreichen, ist für Issing kein Grund, die Vorgabe grundsätzlich in Frage zu stellen. „Es ist nicht die Zeit, das Ziel von unter zwei Prozent Inflation zu ändern. Ich plädiere jedoch dafür, die Zeitvorgabe für die Erreichung des Ziels wesentlich zu verlängern.“

Geduld, die EZB-Präsident Mario Draghi nicht zu haben scheint: Mitte März verschärfte die Notenbank ihren Kampf gegen die Mini-Inflation noch einmal. Mancher Kritiker meint, die EZB habe ihre Kompetenzen überschritten und es brauche mehr demokratische Kontrolle einer so einflussreichen Institution. Doch für die Unabhängigkeit der EZB hat Issing einst selbst gekämpft. Der US-Ökonom Milton Friedman habe ihm zum „unmöglichen Job“ bei der EZB gratuliert, sagte Issing vor Jahren: „Er war überzeugt davon, dass die Währungsunion innerhalb der nächsten fünf Jahre auseinanderfallen werde.

“ Die Skeptiker sollten unrecht behalten. Doch auch manche Hoffnung wurde enttäuscht. „Europa wird über das Geld entstehen oder es wird nicht entstehen“ – diese Aussage des damaligen französischen Finanzministers Jacques Rueff 1949 sei „auf bittere Weise gescheitert“, urteilte Issing beim Abschiedssymposium für ifo-Präsident Hans-Werner Sinn im Januar. Stattdessen geschehe das Gegenteil: Das gemeinsame Geld vollende nicht die politische Union, „sondern die politische Union wird vorangetrieben, damit die Währungsunion nicht scheitert.“

„Die politische Union wird vorangetrieben, damit die Währungsunion nicht scheitert.“
Otmar Issing, Würzburger Ökonom
 
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