
Würzburg, Residenz, Weißer Saal. Klavierabend Ragna Schirmer, Artiste étoile des diesjährigen Mozartfests. Auf der Bühne stehen zwei Instrumente, der klassische schwarze (Steingraeber-)Flügel und davor ein anderer, deutlich kleinerer, holzfarbener. Es ist der Nachbau eines Hammerflügels aus dem Jahr 1795, vier Jahre nach Wolfgang Amadé Mozarts Tod. Also genau die Art Instrument, die Mozart gekannt und gespielt hat.
Wo bei anderen Solisten andächtige Stille zu herrschen hat, gibt es bei den moderierten Konzerten von Ragna Schirmer Informationen und Hintergründe, die das Gehörte vertiefen. "Ich glaube, dass ich eine pädagogische Ader habe", sagt die Pianistin im Interview, "ich habe schon als Schülerin gern alles doppelt und dreifach erklärt und so meine Mitmenschen genervt."
Seit ihrer Schulzeit hat die Künstlerin offensichtlich einiges gelernt: Ihre Moderationen sind kundig, kurzweilig und nerven keineswegs. Im Gegenzug bleibt auch Ragna Schirmer gelassen, als ein Handy im Publikum losplärrt. "Gehen Sie ruhig ran", sagt sie und ergänzt: "Das wollte ich immer schonmal sagen."
Zwischen den beiden Flügeln liegen entwicklungstechnisch überraschend wenige Jahre
Es ist nicht zuletzt dieser Humor, der ihre Erläuterungen so aufschlussreich macht. Etwa, wenn sie ankündigt, den großen Flügel nochmal "richtig ausfahren" zu wollen. Und das tut sie dann mit dieser hochdifferenzierten Virtuosität, die Präzision immer sowohl motorisch als auch klanglich versteht. Ragna Schirmer ist die Klangzauberin schlechthin. Jeder Ton, jeder Akkord, jede Linie klingt immer so, als ginge es unmöglich anders.
Das zeigt sie auf dem Hammerflügel ebenso eindrucksvoll wie auf dem modernen. Dass übrigens zwischen den beiden Instrumenten entwicklungstechnisch gesehen nur etwa 60 Jahre liegen, ist ein weiteres Aha-Erlebnis, wie man es nur in Ragna-Schirmer-Konzerten bekommt.

Die Händel-Suite Nr. 7 g-Moll spielt sie naheliegenderweise auf dem Hammerklavier, die Werke von Mozart hingegen zu Vergleichszwecken abwechselnd auf beiden. Die Variationen über "Ah, vous dirai-je, Maman" auf dem modernen Instrument, die c-Moll-Fantasie auf dem alten. Sie habe, so sagt sie, einiges an diesem Stück erst verstanden, als sie es auf dem Hammerklavier einstudiert habe. "Mozart hat das Material genau dafür angelegt und erreicht so eine riesige Vielfalt der Emotionen."
Die liebevolle Kunst, den Werken ihre emotionale Essenz zu entlocken
Neben der erheblichen Leistung, zwei mechanisch und haptisch komplett unterschiedlich zu bedienende Instrumente zu spielen, ist an diesem Abend vor allem eines zu bestaunen: die liebevolle Kunst, den Werken ihre emotionale Essenz zu entlocken. Etwa die Mischung aus aufbrausender Brillanz und zutiefst anrührendem Heimweh in Chopins Scherzo Nr.1. Die bemerkenswert beredte Melancholie beim Mozart-Sohn Franz Xaver (1791-1844), der mit dem Ehepaar Schumann gut befreundet war – auch hier eine überraschend kurze zeitliche Brücke zwischen zwei gefühlt unendlich weit voneinander entfernten Epochen.
Und schließlich Debussys Suite "Pour le piano" L 95. Ein hochvirtuoses Wunderwerk (damals) neuartiger Klänge mit einer Sarabande, deren fahlen Anfangsklängen nicht nur der draußen langsam einsetzende Gewitterdonner eine ganz besondere Intensität verleiht. Begeisterter, ergriffener Beifall und zwei Mozart-Zugaben: eine auf dem alten, eine auf dem modernen Flügel.