
Das junge Rotschwänzchen im Holunder und piepst ungeduldig, bis es die Eltern mit reifen Beeren füttern. Schmetterlinge schaukeln auf rotem Sonnenhut. Große und kleine Wildbienen brummeln in den Blüten von wildem Majoran, Pfefferminze und Lavendel. Ganz zu schweigen vom Duft, der die Luft erfüllt. Wer so einen Garten hat, gerät leicht ins Schwärmen. Wie Christel Reuter. „Der Garten entschleunigt mich, erdet mich, im wahrsten Sinne des Wortes“, findet die Thüngersheimerin (Lkr. Würzburg). „Es freut mich riesig, wenn eine neue Blüte aufgeht, Pflanzen sich selbst vermehren, das Gemüse wächst und auch Eichhörnchen und Igel sich wohl fühlen bei mir.“
Und weil sie nicht nur Genießerin ist, sondern auch Fachfrau bei der Landesanstalt für Wein- und Gartenbau in Veitshöchheim (LWG), hat sie ihr grünes Reich begutachten lassen. Die angegliederte Gartenakademie hat nämlich die Zertifizierung von naturnahen Gärten in ihrem 25. Bestehensjahr zum Thema gemacht. Sie bildet Juroren aus, die später mit kritischem Blick von Beet zu Beet wandern und Punkte vergeben, wenn auf Chemie verzichtet wird und die biologische Vielfalt möglichst groß ist.
Zeigen, welche Schätze im Garten stecken
125 Juroren für bayerische Gärten haben den Tageskurs in Veitshöchheim bisher mitgemacht, so Gartenakademieleiter Andreas Becker. 100 Gärten haben sie zertifiziert, davon vier in Unterfranken. Einen davon hat sich Evelyn Hatzung aus Iphofen (Landkreis Kitzingen) vorgenommen. Besonders wichtig sei ihr, deutlich zu machen, welche Schätze sich oft in den Gärten befänden, wie viele Möglichkeiten sich böten, um auch Insekten und Kleintieren Lebensräume zu schaffen, sagt Hatzung, die sich schon vor dem Zertifizierungskurs mit dem Thema auskannte. Sie hat Gärtnerin im Gemüsebau an der LWG gelernt, sich weiter qualifiziert und am Botanischen Institut der Uni Würzburg gearbeitet. Bei Rita Popp in Gerolzhofen (Landkreis Schweinfurt) traf sie bei der Zertifizierung auf eine ähnlich Kenntnisreiche. Schließlich unterrichtet Popp Heil- und Wildkräuterkunde. Da möchte sie auch ums Haus das ganze Jahr hindurch bunte Blüten haben, eigene Beeren, Tomaten, Wild- und Gartenkräuter ernten.

Gartenteich, Steinmauer, Walnuss- und Apfelbaum, Sauerkirsche, Brom-, Heidel-, Himbeeren, Aronia, roter Wein, Totholzhaufen, Gemüsegärtchen, alte Pfingstrosensorten, historische Rosen, Heilpflanzen, Wildkräuter, Blumenwiese schaffen auf 300 Quadratmetern eine üppige Vielfalt. Was das Schönste für Ritat Popp ist: „Insekten wie schwarze Holzbienen, Libellen, Hummeln, Bienen wandern mit den Jahreszeiten durch den ganzen Garten, Rotschwänzchen haben sich ein Nest in die Hausmauer gebaut, abends hört man die Igel brummen.“ Sie brauche einen wilden Garten, um sich wohl zu fühlen, sagt sie.
Der Trick: Es blüht von allein
Und noch ein Aspekt gefällt ihr: „Die Samen- und Pflanzenvermehrung erfolgt oft ohne großes Zutun.“ Wind, Vögel und Krabbeltiere verteilen Körnchen und bringen so neue Gewächse. Es gedeiht, was zum Boden und in die Pflanzengesellschaft passt. „Der Garten entwickelt sich, die Pflanzen wachsen besser, es siedeln sich auf natürliche Weise die richtigen Pflanzen an, es blüht und duftet, summt und brummt und die Vögel freuen sich über Futter und Unterschlupf“, sagt auch die Thüngersheimerin Christel Reuter. Der Garten danke es ihr, dass sie ihm die Freiheit lasse: „Eine Vielzahl an Insekten ist zu beobachten und Nützlinge machen sich über Blattläuse her. Man muss nur lange genug Geduld haben, dann kommen ausreichend Larven von Marienkäfer und Co.“
Eine wildes Naturparadies brauche deshalb wenig Pflege. Ihr Garten ist übrigens klein. 100 Quadratmeter sind aufgeteilt in Nutz- Zier- und Wildgarten. Erdbeeren, Bohnen, Zwiebeln, Salate, Radieschen, Wildblumenwiese, ein Hochbeet mit Kohlrabi, Tomaten, Gurken, Zucchini, Kürbis, eine Sauerkirsche, Blutpflaume, Felsenbirne, Hasel, allerlei blühende und duftende Sträucher und Stauden einen Brunnenstein als Vogel- und Insektentränke haben Platz.

Bei der Zertifizierung eines Gartens achten die Juroren darauf, dass die Vielfalt nicht einfach ein wildes Durcheinander ist, sondern die pflegende Hand erkennbar ist. Ziel ist laut Andreas Becker: „Wir wollen mit biologisch vielfältigen Gärten ein Zeichen setzen und ein Gegentrend zu den Steingärten aufbauen.“ Alle Naturgartenelemente könnte auch bei wenig Platz eingebaut werden, sagt er. „Gestaltungsmöglichkeiten gibt es in kleinen Gärten fast unendlich viele. Denken Sie nur an das vertikale Gärtnern, die Kistengärten, Hochbeet, Pflanztürme.“ Und nur kein Stress! Garteln soll ja Spaß machen. Becker rät deshalb, eigene Stärken und Vorlieben zu berücksichtigen.
Ein Tipp: Alte Sorten
Einen Spezialtipp hat Christine Bender von Landwirtschaftsamt in Kitzingen und Bezirksgeschäftsführerin der Obst- und Gartenbauvereine (OGV) in Unterfranken, die einen Teil der Zertifizierungen koordiniert. Sie rät: Zurück zu alten Sorten bei Blumen, Rosen, Gemüse. Die haben einfache Blüten, was gut ist für Insekten. Gefüllte Sorten nützen Tieren oft nicht. Außerdem seien alte Sorten häufig resistent gegen Krankheiten, Samen ließen sich selbst gewinnen. Sie lösten weniger Allergien (etwa bei Äpfeln) aus und schmeckten intensiver. Naturbegeisterte können ihre Gärten unter anderem bei Bender oder in der Gartenakademie anmelden. Wenn sie viel im Sinn der Prüfungskriterien richtig gemacht haben, können sie die Plakette „Naturgarten“ ans Tor heften.

Deren Sinn sieht Rita Popp in der positiven Wahrnehmung von scheinbar ungepflegten Gärten und im wachsenden Wissen über deren Wichtigkeit. Christel Reuter will zeigen, dass auch ein kleiner Garten mehr sein kann, als englischer Rasen oder Schotterflächen. Und dass er die Möglichkeit bietet, „im Einklang mit der Natur und den Jahreszeiten zu leben, zu arbeiten und zu genießen“. Evelyn Hatzung will mit ihrer Tätigkeit einen Anreiz schaffen, den Garten mit anderen Augen zu betrachten, nicht nur als das eigene Zuhause, sondern auch das von Igeln, Ameisen, Vögeln. „Es ist eben nicht nur die Spezies Mensch, die zählt. Aber es liegt ganz oft in unseren Händen und unserem Handeln, auch andere Lebewesen zu respektieren und ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen“, so Hatzung.
Gegen die Steingärten
„Es geht uns um die Signalwirkung“ sagt Andreas Becker. Gärten sollen vielfältig, biologisch und nach dem Vorbild der Natur bewirtschaftet werden. Dann förderten sie Tiere, seien Ort der Entspannung und des Rückzugs. Und Christine Bender hofft auf die Vernetzung von Naturgarteninteressierten. Sie seien Multiplikatoren, die ihre Gärten öffnen könnten für Besuche, Führungen, Workshops. Und: Naturnah Gärtnern sei ein großer und einfach zu realisierender Beitrag zum Klimaschutz.

Vorträge und Seminare: Wer Tipps braucht, um den Garten naturnah zu gestalten, bekommt beim Kreisverband für Gartenbau und Landespflege oder der Kreisfachberatung für Gartenkultur und Landespflege an den Landratsämtern ortsnahe Fortbildungen und Kurse. Die Bayerische Gartenakademie in Veitshöchheim bietet ebenfalls Seminare für Freizeitgärtnerinnen und -gärtner. Die Kontaktdaten: Bayerische Gartenakademie an der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau, An der Steige 15, 97209 Veitshöchheim, Tel.: (0931)9801-158, Mail: bay.gartenakademie@lwg.bayern.de