Späte Zecher müssen auch heute noch fürchten, mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen, wenn sie nächtens lärmend nach Hause ziehen. Doch wie viel schlimmer erging es da dem Bäckergesellen Gilg Seelmann, der kurz vor dem Weihnachtsfest des Jahres 1576 im Gasthaus zum Storchen mit seinen Kollegen einen über den Durst getrunken hatte.
Weil er – wie im Gerichtsprotokoll nachzulesen – „nachher auf der Straße Gotteslästerungen ausgestoßen hat“, wurde er ergriffen, dem Domkapitel angezeigt und für ein Jahr aus der Stadt verbannt.
Seine Kumpane mussten drei Tage lang im finsteren Lochgefängnis unter dem Taubenturm schmachten und der Storchenwirt Valentin Marck wurde mit einer Geldstrafe belegt. Immerhin erging es ihm besser als dem Gastgeber Georg Brandt, der seine Herberge nicht mehr weiterführen durfte, weil er einen kranken Ochsen zum Verzehr angeboten hatte. Den Metzger Klaus Ganntz ließ das Centgericht dafür acht Tage lang in Turmhaft schmoren.
Über solche Anekdoten können sich Susanne Bauer-Wermuth und Christin Geheeb köstlich das Maul zerreißen. In ihren Rollen als Tratschweiber bieten sie neuerdings Stadtführungen an. „Bei uns geht es nicht so sehr um die Jahreszahlen, sondern um die Geschichtchen hinter der Geschichte“, sagt Susanne Bauer-Wermuth.
Etwa jene über Hermann Lienhardt, der 1578 vor den Rat geladen und ermahnt wurde, seine verwirrte Frau nicht länger zu schlagen. „Wenn sich ihr Zustand nicht ändert, soll er sie mit der Kette im Zimmer festhalten“, ist in den alten Protokollbüchern nachzulesen, die Stadtarchivar Peter Wesselowsky nach brauchbarem Stoff durchforstet hat.
Neben den beiden Tratschweibern macht sich künftig Bernhard Sohn als Türmer auf den Weg, um die Stadt aus ungewohnter Perspektive zu präsentieren. Im Gegensatz zu Susanne Bauer-Wermuth und Christin Geheeb gehört er zu den alten Hasen.
Seit 29 Jahren schon führt er Touristen durch die Stadt, und noch immer gibt es auch für ihn Neues zu entdecken. So wie an jenem Vormittag, an dem er sich mit Erika Hummel, seit zwölf Jahren Stadtführerin, auf den Weg gemacht hat.
An der Sparkasse hält Erika Hummel inne. Ums Geld ging es im dem barocken Bau seit alters her, erzählt sie. Das ehemalige Kapuzinerspital hatte dort seine Verwaltung, bis Franz Lothar Glaubrecht im Jahr 1762 bei der Utrechter Lotterie 16 000 holländische Gulden gewann, das Haus kaufte und eine Posthalterei eröffnete.
Am Marktplatz sind sich Bernhard Sohn und Erika Hummel nicht ganz einig, warum die Obergeschosse der Fachwerkhäuser über das Untergeschoss hinausragen.
Mit dem Trick versuchte man Grundsteuern zu sparen und die Wohnung über die eigentliche Grundstückfläche hinaus vergrößern, sagt Bernhard Sohn und hält sich damit zweifellos an historische Fakten. Trotzdem erzählt Erika Hummel lieber die Geschichte vom Potschamper, dem Nachttopf, den die brave Hausfrau dank des Überstands gefahrlos aus dem Fenster kippen konnte, ohne dass sich sein Inhalt über die Fassade ergoss.
Auf den Oberen Torturm, den Klingentorturm und den Taubenturm geht es mit dem Türmer. Den Aufstieg belohnt der weite Blick über die Dachlandschaften der Stadt bis ins Maintal. Selbst die 155 Stufen zum Taubenturm, dem höchsten der Ochsenfurter Stadtbefestigung, schrecken den sportlichen 78-Jährigen nicht.
Über eine hölzerne Treppenanlage geht es in die Turmstube, die viel größer ist, als sich von außen vermuten lässt, und die noch bis in die Nachkriegszeit bewohnt war. „Der Ausblick ist fulminant“, schwärmt Erika Hummel, auch wenn sie bei ihren Führungen lieber auf dem Boden der Tatsachen bleibt.
Eineinhalb Stunden sind Türmer und Tratschweiber mit ihren Gästen unterwegs. Manchmal führen Susanna Bauer-Wermuth und Christin Geheeb auch gemeinsam und kriegen sich dabei – wie es sich für streitbare Tratschweiber gehört – hin und wieder in die Haare.
„Oft ist in den Gruppen jemand, der historisch bewandert ist und selber etwas erzählen kann“, sagt Susanne Bauer-Wermuth, „das fließt dann sehr gut ineinander.“
Erlebnisführungen sind ein Trend, dem sich auch die Stadt Ochsenfurt nicht verschließen will, sagt die Leiterin der Tourist-Info Anne Derday. Gemeinsam mit der Volkshochschule hat die Stadt im Frühjahr einen Kurs zum zertifizierten Stadtführer angeboten. Acht der Teilnehmer verstärken künftig die Riege Ochsenfurter Stadtführer, unter ihnen auch Christin Geheeb und Susanne Bauer-Wermuth.
Dass es für sie zu wenig zu tun gibt, müsse niemand befürchten, sagt Anne Derday. Vor allem die neuen Themenführungen kommen gut an. Allerdings können sie normalerweise nur von Gruppen gebucht werden. Um jedermann die Möglichkeit zu geben, den Türmer oder die Tratschweiber kennenzulernen, bietet die Volkshochschule im Herbst mehrere öffentliche Führungen an.
Stadtführungen in Ochsenfurt
Zu Führungen mit dem Tratschweib laden VHS und Tourist-Info am Samstag, 30. September und 7. Oktober, jeweils um 16 Uhr. Führungen mit dem Türmer sind am Samstag, 7. Oktober, um 15 Uhr und am Samstag, 14. Oktober, um 16 Uhr (7 Euro, Dauer ca. 1,5 Stunden). Eine Stadtführung für Kinder findet am Montag, 3. Oktober, um 14 Uhr statt (3 Euro, Treffpunkt jeweils am Marktplatz).
Eine Führung im Trachtenmuseum im Greissinghaus ist am Samstag, 18. November, um 10 Uhr. Und am Samstag, 13. Januar, um 14 Uhr führt Erika Hummel durchs Heimatmuseum im Schlössle.
Bis Allerheiligen ist außerdem an jedem Samstag, Sonntag und Feiertag um 14 Uhr eine öffentliche Stadtführung. Meg