Dienstagabend, auf meine Frontscheibe prasselt stetig der Regen. Alle paar Meter erhellen meine Scheinwerfer dichte Nebelschwaden, die über der schmalen Landstraße hängen. Wohin mich mein Weg führt? Na, zur Skigymnastik nach Bütthard. Denn da darf ich heute eine ganze Stunde lang hüpfen, rennen, springen, hopsen und meine müden Glieder strecken.
Oldschool oder noch im Trend?
„So etwas gibt es noch?“, ist der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schießt, als mein Kollege von der sportlichen Ertüchtigung des Skiclubs im 1300-Seelen-Dorf Bütthard im Landkreis Würzburg erzählt. Unwillkürlich erscheinen vor meinem inneren Auge bewegte Bilder von Menschen mit Föhnfrisuren in knallbunten T-Shirts und Leggins in Metallic-Optik. Schrille Telegym-Fetzen aus meiner Kindheit kommen mir schlagartig wieder ins Gedächtnis. Doch was man eigentlich genau bei der Skigymnastik macht, das weiß ich nicht mehr.
Selbstversuch gestartet
Sofort bin ich von der Idee begeistert: Skigymnastik im Selbstversuch und das, obwohl ich seit dem Schulskikurs in der achten Klasse nie mehr auf eigenen Brettern gestanden habe. Kaum eine Woche später parke ich vor dem hell erleuchteten Eingang der Grundschule Bütthard und frage mich, auf was ich mich da eigentlich eingelassen habe?
Im Vorraum begrüßen mich sportlich gekleidete Menschen mit fragenden Blicken, die sich gerade ihre Turnschuhe anziehen. Schnell wird mir klar: Ich bin ein Überraschungsgast. Im Vorfeld hatte ich mit Rainer Metzger telefoniert. Er leitet dienstags die Skigymnastik von 19.30 Uhr bis 20.30 Uhr und lud mich zur nächsten Trainingsstunde ein. Schon am Telefon spielte er mit dem Gedanken, mich nicht anzukündigen. Daran hat er sich wohl gehalten.
Schnell entdecke ich Metzger im Getümmel. Mit einem CD-Player unter dem Arm bahnt er sich seinen Weg in den kleinen Mehrzweckraum der Schule, gefolgt von 22 motivierten Sportlern. Bevor ich mich umschauen kann, geht es schon los.
Ein eingespieltes Team
Sobald die ersten Töne des Songs „Walk“ von Kwabs aus den Lautsprechern ertönen, bildet sich eine joggende Reihe, in deren Wind ich auf eine Lücke warte, um mich einzureihen. Nach dem Aufwärmen werden zwei lange Seile in der kleinen Turnhalle auf den Boden gelegt. Darum herum wird fröhlich weiter gejoggt: vorwärts, rückwärts und natürlich auch seitwärts. Kommandos muss Rainer Metzger schon lange nicht mehr geben. „Das ist mein Stammpublikum“, erzählt er mit Augenzwinkern, „wir verstehen uns wie ein altes Ehepaar.“
Für mich stellt das allerdings eine Schwierigkeit dar: Während alle anderen jede Übung aus dem Effeff beherrschen, muss ich meine Mitsportler immer erst kurz beobachten, bevor ich einsteige. Erleichtert freue ich mich über die Dehnübungen, die Metzger selbst vorturnt, denn so langsam gerate ich ins Schwitzen. Schon nach zwei Minuten pfeffere ich mein Sweatshirt – welch passender Name – aus vollem Lauf in die nächste Ecke.
Aprés-Ski-Hits sorgen für gute Laune
Eine lange Verschnaufpause ist nicht drin. Als Nächstes werden vier dicke Turnmatten aneinandergelegt. Erneut bilden wir eine Reihe und joggen nun unter erschwerten Bedingungen über das weiche Material. Während meine Füße bei jedem Schritt einsinken und meine Beine immer schwerer werden, stiehlt sich ein breites Lächeln auf mein Gesicht: In voller Lautstärke dröhnt aus den kleinen Lautsprechern der Aprés-Ski-Hit „Sweet Caroline“, den die Gruppe fröhlich mitsingt und beklatscht.
Nach einigen Dehnübungen folgt das erste von zwei Zirkeltrainings. Kegel, Medizinball, Hüpfseil und Stepper halten die Gruppe auf Trab. Hatte ich zuvor einfache Gymnastikübungen und ein gemäßigtes Tempo erwartet, wird mir spätestens jetzt klar: Skigymnastik ist Ausdauersport. Davon zeugen nicht nur die T-Shirts um mich herum, von denen inzwischen keines mehr trocken ist – selbst dem Fotografen ist vom Zuschauen warm geworden und er legt seine Jacke ab.
Vertrauen bei der Partnerübung
Nachdem wir unsere Bauchmuskeln trainiert, das zweite Zirkeltraining absolviert und ausgiebig zu „You're my heart, you're my soul“ auf und ab gesprungen sind, folgt eine Partnerübung. Zuerst dehnen wir nur gegenseitig unsere Beine, doch dann wird es spannend. Mit meinen 1,75 Metern habe ich eine Partnerin bekommen, die ein ganzes Stück kleiner ist als ich. Jetzt soll ich mich mit dem Bauch auf ihre Fußsohlen stützen, damit sie unter meinem Gewicht ihre Beine abwechselnd anwinkeln und wieder ausstrecken kann.
„Ob das gut geht?“, frage ich sie zweifelnd, doch sie ermutigt mich lächelnd, mein ganzes Gewicht einzusetzen. Und siehe da: Gar kein Problem! Zweimal die Woche besucht sie die Skigymnastik, verrät sie mir, während sie immer wieder mein komplettes Körpergewicht stemmt. Sie selbst fährt gar nicht Ski, die meisten würden allerdings immer noch regelmäßig auf die Piste gehen.
Seit der Jugend dabei
Auch für Rainer Metzger ist die Skigymnastik etwas Besonderes. Nachdem er schon als Jugendlicher mitgesportelt hatte, übernahm er irgendwann selbst die Trainerrolle. Dafür absolvierte der Jurist sogar die Übungsleiterausbildung Ski alpin. Seitdem hat er wöchentlich zwischen zehn und 30 Teilnehmer, die sogar aus Würzburg und Uettingen anreisen.
„Meine Übungen aktualisiere ich immer wieder, zum Beispiel mithilfe von sportwissenschaftlichen Zeitschriften oder der ,Apothekenumschau'“, erzählt er mir nach dem Kurs. Besonders streng ist er während der Skigymnastik nicht: „Jeder soll hier nach seinen Möglichkeiten mitmachen.“ Und so entdecke ich in der bunt gemischten Truppe Männer und Frauen, die zwischen 20 und 70 Jahre alt sind.
Um dann zum Abschluss noch einmal richtiges Ski-Feeling aufkommen zu lassen, gehen wir alle in die Abfahrtshocke. „Und jetzt zeig uns mal deine Lindsey Vonn“, ruft Rainer mir aufmunternd zu, während wir mit angelegten Skistöcken den imaginären Hügel hinuntersausen. Als ich mich von der einen Seite zur anderen neige, um mich in die Kurve zu legen, merke ich, wie meine Beine nachgeben wollen. Ein starker Schmerz zieht durch meine Oberschenkel. Es dauert bis er verebbt.
Hallo Muskelkater!
Dann ist die Stunde auch schon vorbei. Was die anderen Hobby-Sportler jetzt machen? „Wir gehen im Anschluss oft auf ein Getränk zusammen ins Vereinslokal nebenan“, sagt Rainer und lädt mich spontan ein. Für mich wird das heute leider zu spät, vor mir steht der Heimweg zurück über die Landstraße.
Beschwingt und voller Energie laufe ich zu meinem Auto. Ob ich morgen wohl Muskelkater haben werde? Noch fühlt sich alles normal an. Daheim setze ich mich gemütlich auf die Couch und trinke noch einen grünen Smoothie für das gute Gewissen. Als ich mich in der Nacht im Halbschlaf umdrehe, stöhne ich bereits innerlich über meine eigene Naivität. Tags darauf schleiche ich auf schmerzenden Beinen umher und stütze meinen stechenden Rücken mit gemarterten Armen.
Skiclub Bütthard
Skiabteilung: Der jüngste Ableger des SV Bütthard wurde im Jahr 1983 von Franz Kraupe und 13 begeisterten Skifahrern gegründet. Heute hat der Verein in der kleinen Gemeinde im Landkreis Würzburg über 800 Mitglieder. Dem Club gehören 28 Ski- und Snowboardlehrer an. In Österreich, Italien, Frankreich und der Schweiz trainieren sie die zahlreichen aktiven Mitglieder.
Die alpine Rennmannschaft des Skiclubs Bütthard hat schon mehrere Erfolge erzielt und bei den unterschiedlichen Meisterschaften in diversen Klassen Medaillen geholt.
Training: Von Oktober bis März bietet der Skiclub jeden Dienstag von 19.30 Uhr bis 20.30 Uhr in der Grundschule Bütthard seine Skigymnastik an. Zu jedem Training sind auch Nichtmitglieder willkommen. Die Jahreskarte kostet für Erwachsene 25 Euro. Jugendliche zahlen 15 Euro.
Mehr Informationen: www.sc-buetthard.de