Wer von Integration redet, der landet schnell beim Thema Sprache. Deutsch zu sprechen und zu verstehen, gilt gemeinhin als der Schlüssel, der erste und allerwichtigste Schritt hin zur gelingenden Integration.
Dass Sprache wichtig ist, diese Aussage würde auch Jule Erche jederzeit unterschreiben. Die Sprache allerdings, die es ihr seit frühester Jugend angetan hat, ist die Musik. Musik bietet, so die ausgebildete Musikerin und Musiktherapeutin, viel mehr Ausdrucksmöglichkeiten als Worte es je vermögen.
Lieder können über Sprachbarrieren hinweghelfen.
„Musik zu machen – alleine und mit anderen zusammen – ist ein unvergleichliches Selbstwirksamkeitserlebnis“, sagt sie. Lieder können über Sprachbarrieren hinweghelfen, Brücken zueinander bauen, gemeinsame Erinnerung schaffen und wiedererwecken. Musik, ist Erche überzeugt, hilft, Zwischentöne und Gefühle auszudrücken, die sich nicht in Worte und Sätze fassen lassen.
Was die Würzburgerin als Kind mit Freunden und Geschwistern selbst erlebt hat – sich über Straßenmusik Kontakte in eine neue, spannende Welt zu erschließen, mit fremden Menschen über das musikalische Erlebnis direkt zu kommunizieren – das hat letztlich den Grundstein nicht nur für ihren heutigen Beruf, sondern auch für ein Buch gelegt.
Ein gutes Jahr lang recherchiert.
„Ich habe meine Musik mitgebracht“ nennt sich der Band, den sie gemeinsam mit Alexander Jansen beim Don Bosco Verlag herausgegeben hat.
Für die 136 Seiten hat Julia Erche ein gutes Jahr lang recherchiert. In der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft, in Wohngruppen für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge, beim Frauencafé, bei Lioba oder Don Bosco hat sie die Menschen, die an den Main geflohen sind, nach ihren Liedern, Singspielen und Tänzen mit Hilfe von Dolmetschern befragt.
„Das war manchmal eine echte Herausforderung.“
All die Kulturschätze, die sie fand, hat sie digital aufgenommen, um sie zu Hause in Noten zu fassen. In Noten, wie sie jeder Mitteleuropäer kennt und nachspielen kann. „Schon das“, gesteht die Musikerin mit einem Lachen, „war manchmal eine echte Herausforderung.“ Arabische oder persische Vierteltonmusik baut nun man auf ganz andere Harmonien und Tonleitern als die europäische mit ihren Tonschritten.
Wichtig war Erche, Musik, Lieder und Tänze so umzusetzen, dass sie ihre landestypischen Klang behalten – also von Einheimischen sofort wiedererkannt werden – aber dennoch für Kinder und Pädagogen in Kindergarten und Schule problemlos nachzuvollziehen sind. Ein ehrgeiziges Unterfangen, das auch dank der Übersetzungen der Texte, für die Jansen verantwortlich zeichnet sowie der nicht nur finanziellen Unterstützung der Würzburger Caritas gut gelang.
Jeweils die erste Strophe in der Originalsprache.
Das einzigartige Buch, das jeweils die erste Strophe in der Originalsprache (mit Lautschrift enthält) erzählt lustige, traurige und rührende Geschichten aus aller Welt und baut eine breite Brücke auf dem Weg zu Integration und Austausch untereinander. Bei syrischen, afghanischen oder äthiopischen Kindern (und Erwachsenen) kann die Musik Kindheitserinnerungen wecken und den Schmerz innerer Brüche lindern. Deutschen schenkt es einen Einblick in die kulturelle Vielfalt und die Traditionen der Neubürger, hoffen die Herausgeber.
Faszinierend findet die Musiktherapeutin, wie schnell es bei der Entstehung des Buches über das Singen und Spielen immer wieder gelang, auch schweigsame, in sich gekehrte Menschen anzusprechen. „Es endete fast immer damit, dass alle mitsangen, summten oder klatschten“, berichtet sie, wie aus vorher unglücklichen Einzelgängern oft eine fröhliche Gruppe wurde.
Manches Mal sogar Nationen-übergreifend. „Manche Lieder oder Fingerspiele scheint es weltweit wirklich überall zu geben“, erzählt Erche von den Erfahrungen, die sie auf ihrer Reise durch die Musikkultur machte. „Ich hatte zudem das Gefühl, dass beim Singen der Lieder alle für kurze Zeit wieder zu Hause waren.“
Lieder können eine gemeinsame Basis schaffen.
Am schönsten fände sie es, wenn ihr Buch dazu beiträgt, dass sich junge Erwachsene unterschiedlicher Nationalität später treffen und entdecken, dass sie die gleichen Lieder kennen. Der eine noch vom Vorsingen der Eltern und Großeltern, der andere, weil er es im Kindergarten ebenso gelernt hat wie „Backe, backe Kuchen“ oder „Wer will fröhliche Handwerker seh'n“. Die Lieder können bei Kindern eine gemeinsame Basis, eine gemeinsame Erinnerung schaffen, den Neubürgern Wertschätzung vermitteln und ermöglichen, dass alle miteinander etwas teilen, an dem alle Freude haben, fasst Erche ihre Motivation in Worte.
Das Buch, dass voller Praxisanleitungen für Kindergarten- und Grundschulkinder steckt, umfasst neben jeder Art von Liedern, auch Rollenspiele sowie ein persisches Singspiel und ausgearbeitete Klanggeschichten zu afrikanischen und orientalischen Märchen. Hierfür können die Kinder zudem die Instrumente selber Bauen. Eine Audio-CD hilft beim Nachspielen.
Zum problemlosen Singen wurden alle Lieder ins Deutsche übertragen.
Beim Einsingen der CD half nicht nur der Kinderchor der Sing- und Musikschule, sondern auch Maxi. Wie eindrucksvoll der beinahe gehörlose Junge das Lied vom kleinen goldnen Vogel zum Klingen bringt, ist eine der vielen ungewöhnlichen und rührenden Geschichten rund um das Buch aus dem Erinnerungsschatz aus Würzburger Flüchtlingseinrichtungen.
Zum problemlosen Singen wurden alle Lieder ins Deutsche übertragen. ISBN: 978-3-7698-2279-3
Am 25. März um 18 Uhr stellen Julia Erche und Alexander Jansen das Projekt im Burkardushaus vor („Ich habe meine Musik mitgebracht“ – Ein Liederbuchprojekt zum Brückenbauen). Zugleich bieten sie einen Überblick mit praktischen Ideen zur Umsetzung. Einige Lieder werden vom Kinderchor der Sing- und Musikschule Würzburg unter Leitung von Daniela Bauer präsentiert.
Information und Anmeldung unter Tel. (0931) 386-4 31 11 oder online: www.domschule-wuerzburg.de