Nun sind Spinnweben und Ruß entfernt, Sprünge geklebt und Bleibrüche gelötet: Die 191 Glasmalereifelder der Frankfurter Kirche Sankt Leonhard erstrahlen in neuem Glanz. „Es wird Zeit, dass diese Schätze endlich wieder sichtbar gemacht werden“, meint Glasmalerin Annika Esser, die in der Werkstatt der Würzburger Manufaktur Rothkegel mit der Restaurierung der Fenster befasst ist.
Mit der Restaurierung der Frankfurter Fenster hatte die Manufaktur ein großes, anspruchsvolles Projekt zu stemmen. Handelt es sich doch bei den Glasmalereien von Sankt Leonhard laut Glasermeister Matthias Rothkegel um eine der umfangreichsten mittelalterlichen Glasmalerei-Sammlungen im kirchlichen Kontext in ganz Hessen. 2011 kamen die Fensterfelder nach Würzburg. In Kürze sollen sie nach Frankfurt zurückgebracht werden.
„Dieses Feld zeigt den Heiligen Andreas“, erläutert Esser. Quer über das mittelalterliche Bild ziehen sich Bleistreifen. Sie deuten darauf hin, dass früher schon einmal etwas gesprungen war. Doch das hatte man nicht geklebt, sondern mit Streifen aus Blei repariert: „In anderen Glasbildern ziehen die sich sogar durchs Gesicht.“
An der Werkbank schräg hinter Esser ergänzt Praktikantin Jessica Wystub gerade eine Glasmalerei. „Das ist eine Fundscheibe, sie dient lediglich der Übung“, erläutert Matthias Rothkegel, Leiter der seit 1947 in Würzburg etablierten Manufaktur. Rechts oben fehlt eine ganze Ecke. Jessica Wystub versucht, sie mit einem passgenau ausgeschnittenen Stück Glas, das sie mit Federkielen, Kratzhölzchen und Pinseln bearbeitet, behutsam zu ergänzen. Ihre Hand ruht auf einer hölzernen Brücke, die sich über die Scheibe spannt. So kann sie malen, ohne mit den Farben in Berührung zu kommen.
Wystub, die aus der Nähe von Gießen stammt, arbeitet seit knapp einem Jahr in der Firma Rothkegel. „Ich möchte Restaurierung von Glasmalerei studieren“, erzählt sie. Die einzige Hochschule, die dies anbietet, befindet sich in Erfurt. Wer einen Studienplatz haben möchte, muss ein einjähriges Praktikum vorweisen.
Auf diesem Weg kam vor vier Jahren auch aus dem Rheinland Annika Esser zu Rothkegel. „Mir gefiel es in der Werkstatt allerdings so gut, dass ich den Wunsch aufgab, zu studieren.“ Eine Entscheidung, die sie bisher noch nicht bereut hat.
Immer wieder gibt Matthias Rothkegel jungen Menschen die Chance, bei ihm zu praktizieren. Seit fünf Jahren offeriert er außerdem Einsatzplätze für ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Denkmalpflege. Dabei kooperiert Rothkegel mit den Jugendbauhütten der Deutschen Stiftung Denkmalpflege, die diese Sonderform des FSJ organisiert. „Es ist wichtig, junge Leute für den Erhalt von Kulturgut zu begeistern“, begründet Rothkegel sein Engagement.
Historische Glasgemälde zu restaurieren, fasziniert junge Menschen. Manche unterschätzen allerdings was es bedeutet, sich in einen Künstler, der vor vielen Jahrhunderten gelebt hat, hineinzuversetzen, seine Intentionen zu erspüren, seinen Stil zu verstehen und akribisch nachzuahmen. Rothkegel: „Das ist gar nicht so leicht. Man muss sich selbst, seinen eigenen Duktus, zurücknehmen können.“
Darüberhinaus gehört Geduld zu den Tugenden eines jeden Glasmalers. Denn das Material will nicht immer, wie der Restaurator das möchte. Manchmal lässt sich das Glas partout nicht so schneiden wie gewünscht. Manchmal dauert es auch eine Weile, bis die Farbe die exakt richtige Nuance hat.
Parallel zu den Arbeiten an den mittelalterlichen Glasmalereien von Sankt Leonhard beschäftigt sich das Rothkegel-Team seit drei Jahren mit modernen Fensterfeldern, die in die Kathedrale von Karaganda in Kasachstan integriert werden sollen. Entworfen wurden sie von Künstlerin Heide Kordes aus Hösbach bei Aschaffenburg.
Annika Esser hat gerade ein von Kordes entworfenes Fensterfeld, das Petrus zeigt, vor sich. „Hier fehlt noch viel farbliche Tiefe“, stellt sie fest. Einfach mal so mit dem Pinsel über das Glas streichen, ist nicht, erläutert Matthias Rothkegel: „Die Glasfelder müssen in mehreren Arbeitsgängen bemalt und im Glasbrennofen eingebrannt werden.“
Deutschlandweit wird die Expertise der Firma Rothkegel angefragt. „Wir arbeiten meist an bis zu zehn Projekten parallel“, so Rothkegel. Zwischen 2012 und 2014 wurden zum Beispiel, neben den Arbeiten aus Frankfurt und Kasachstan, Chorfenster des Ulmer Münster restauriert. Vor der Bundesgartenschau 2011 in Koblenz restaurierte das Rothkegel-Team Glasmalereien von Schloss Stolzenfels bei Koblenz. Auch hier atmete die Glaswerkstatt wieder Geschichte satt. Geht doch der Ursprung des Schlosses auf das 13. Jahrhundert zurück.