Ein paar Stühle, ein Tisch und ein Fenster: Viel Requisite braucht es nicht, um in gut zwei Stunden ganze Machtgefüge einzufangen. Die Strukturen, ihre Gewalt – und ihre Schwächen. Das Theaterstück „Morte accidentale di un anarchico“ (Zufälliger Tod eines Anarchisten) des italienischen Autors Dario Fo (1926-2016), das heute Premiere feiert, ist tiefgründig und unterhaltsam zugleich.
Ein Anarchist ist eines Bombenanschlags angeklagt. Während seines Verhörs stürzt er aus dem Fenster. Ein Unfall? Ein Selbstmord? Oder Absicht? Während die Behörden noch versuchen, vor der Öffentlichkeit „bella figura“ zu machen und sich mit reiner Weste darzustellen, macht sich ein „Verrückter“ einen Spaß daraus, der Wahrheit auf die Schliche zu kommen. Er versteht es, in zahlreiche Rollen zu schlüpfen – und lässt nicht nur Kommissare und Polizeipräsidenten nach seiner Pfeife tanzen. Doch die Lügen und Machtspiele sind komplex. Behält er da die Oberhand?
Wahre Begebenheiten als Grundlage
Als Dario Fo, der 1997 den Nobelpreis für Literatur erhielt, das Stück im Jahr 1970 schrieb, legte er ihm die Bombenanschläge zugrunde, die 1969 auf den Mailänder Bahnhof und die Mailänder Piazza Fontana ausgeübt worden waren und den „Linken“ angelastet wurden. Während der Verhöre von rasch festgenommenen „Anarchisten“ fiel tatsächlich der als „mitschuldig“ denunzierte Eisenbahner Giuseppe Pinelli aus einem Fenster im vierten Stock in den Tod.
Der reale „Fall Pinelli“ führte schon damals zu zahlreichen Debatten. Genauso regt das Theaterstück von Dario Fo bis heute zum Nachdenken an. „Es ist ein fast erschreckend aktuelles Stück“, sagt die Regisseurin Valerie Kiendl. Die Doktorandin der Romanistik ist 2017 von München nach Würzburg gezogen, wo ihr das Buch von Dario Fo zum ersten Mal in die Hände fiel. Sie inszeniert seit inzwischen mehr als vier Jahren Theaterstücke, seit sie an der Münchner Universität teatRom.25 mitbegründet hatte: Eine Gruppe, die ähnlich wie das Würzburger Teatro in Cerca regelmäßig Literatur aus der Romanistik auf die Bühne bringt.
Auf aktuelle Fälle übertragbar
„Dario Fos Stück spielt zwar in Italien, seine Botschaften und Fragen können allerdings auf alle möglichen Fälle irgendwo in der Welt übertragen werden“, sagt Valerie Kiendl. Sie denke dabei vor allem an den NSU und seine Verwicklungen in Deutschland oder an die Verhaftungswelle in der Türkei nach den Ereignissen, die für die Öffentlichkeit wie ein Putsch aussahen. „Auch die aktuellen Debatten um das 'Postfaktische' klingen an“, sagt sie: „Es geht darum, wie Menschen unbedacht und vorurteilsbehaftet handeln – auf Kosten der Wahrheit.“
Zwei Jahre nach den Mailänder Attentaten konnte bewiesen werden, dass die Bomben nicht von einem „Anarchisten“, sondern von rechtsextremen Gruppen gezündet worden waren, die Verbindungen zum italienischen Geheimdienst und dem Militär unterhielten. Ihr Ziel war, das Erstarken der Arbeiterschaft zu unterbinden, um das bestehende System zu erhalten. „Dario Fo steht, ähnlich wie Bertold Brecht, für das teatro verita“, sagt Valerie Kiendl. Das Theater als Mittel der Wahrheitsfindung und des Wachrüttelns. Trotz der ernsten Themen kommt dabei der Humor nicht zu kurz: Da reicht schon das Mienenspiel der großartigen Laienschauspieler – und die Mächtigen sehen gar nicht mehr so mächtig aus.