Früher hätte Janna Stempel einen Rundbrief geschrieben. Oder Zettel an Laternenmasten geklebt. Vielleicht wäre der 32-Jährigen auch die Idee gekommen, ein Mitglied des Würzburger Stadtrats anzurufen und um Hilfe zu bitten. Doch 2016 geht das anders: Die junge Frau startet eine Petition im Internet auf der Plattform Change.org fordert sie: „Unsere Gärten in Würzburg- Frauenl sollen bleiben, es gibt keinen Grund sie plattzumachen!“ Möglichst viele Menschen, sollen ihren Aufruf mit einem Klick unterstützen.
Der Studentin geht es um die 25 Kleingärten, die sie und andere Mieter der Mehrfamilienhäuser in der Nopitschstraße nutzten.
Aus den Gärten soll eine Grünanlage werden
Diese Gärten sollen verschwinden, denn die Wohnbau GmbH aus Erlangen will die Fläche umgestalten. „Im Zuge unseres geplanten Bauvorhabens, energetische Sanierung der Gebäude, Anbau von Balkonen und Schaffung von neuem Wohnraum, werden wir die Außenanlage unserer Objekte neugestalten“, erklärt Anja Kasper von der Wohnbau auf Anfrage der Redaktion. Es entstünde ein für alle Mieter zugänglicher Grünbereich mit Spielplatz. Von sechs gefällten Bäume würden fünf ersetzt werden.
Urban Gardening ist ganz aktuell
Janna Stempel überzeugt das nicht. „Unsere Bewohnergärten sind schon seit Jahrzehnten Bestandteil der Wohnkultur und jetzt auch noch ganz im Trend von Urban Gardening und aktuell.“ Gerade vor der Landesgartenschau am benachbarten Hubland sollten diese Gärten nicht zerstört, sondern als „innovatives Konzept“ gefeiert werden. Die junge Frau setzt darauf, dass die Wohnbau GmbH noch einlenkt: „Wir fordern Sie auf, das Vorhaben noch mal zu überdenken“, heißt es in ihrer Petition, die bislang 103 Unterstützer gefunden hat.
Anliegen mit sehr persönliche Hintergründen sind auf der offenen Plattform häufig zu finden. „Petitionen, bei denen Menschen Ungerechtigkeiten anhand ihrer eigenen Geschichte erzählen, sind sogar besonders erfolgreich“, berichtet Jeanette Gusko von Change.org Deutschland.
Ein Drittel der Petitionen erreichen etwas
Und erfolgreich seien etwa ein Drittel aller Petitionen, die auf Change.org veröffentlicht werden. Besonders vielversprechend seien die, die eine klare Forderung an den dafür zuständigen Entscheidungsträger richten.
Jana Stempel hofft dennoch, dass ihre Aktion noch etwas bewirkt. „Das ist meine erste Petition,“ sagt die gelernte Reiseverkehrsfrau. „Das plante Verschwinden dieses idyllischen Kleinods lässt mein Herz bluten“, begründet sie ihren Einsatz. „Ich fühlt mich einfach verpflichtet, mich deswegen zu engagieren.“
Petition für Football-Spieler
Laut der Pressesprecherin von Change.Org nutzen rund 11 500 Würzburger die Plattform. Die bekannteste der 46 Petitionen, die bislang in Würzburg gestartet wurde, ist die für den Football-Spieler Madiama Diop. Der Asylbewerber aus dem Senegal durfte 2014 wegen der sogenannten Residenzpflicht nicht bei Auswärtsspielen seiner Mannschaft starten. Viele Medienberichten über den Fall und 27 170 Unterstützer auf Change.Org haben 2014 erreicht, dass die Behörden den Football-Spieler der Würzburger Black Panthers dann doch mitfahren ließen.
Chance.org - „die größte Kampagnenplattform der Welt“
Change.org ist nach eigenen Angaben die „größte Kampagnenplattform der Welt“, die über 145 Millionen Menschen aus 196 Ländern nutzen. Ihr Ziel ist, dass Einzelpersonen gesellschaftliche Veränderung anstoßen können.
Privatleute und Organisationen nutzen die 2007 in San Francisco gegründete Plattform, um für ihre Ziele zu kämpfen. Sie sammeln dort schnell viele Unterschriften und organisieren weitere wie Mahnwachen, Demos oder Briefaktionen, um beispielsweise geschlossene Spielplätze wieder zu eröffnen, Theater vor der Schließung zu retten oder Abschiebungen zu stoppen.
Einer der bekanntesten Fälle auf Change.org ist der des 17-jährigen Afroamerikaners Trayvon Martin, der im Februar 2012 erschossen wurde. Die lokalen Behörden wollten den mutmaßlichen Täter nicht verfolgen. Die öffentlichen Proteste und Medienberichte, die schließlich zur Aufnahme der Ermittlungen führten, wurden durch eine Petition verstärkt, die Martins Eltern auf Change.org eingestellt hatten und die über 2,2 Millionen Unterschriften erreichte.
Weitere erfolgreiche Kampagnen von Change.org sind die Ende 2015 von der Albert-Schweitzer-Stiftung gestartete Petition gegen Legebatterien. Über 110 000 Unterschriften wurden in vier Monaten gegen die Käfighaltung des Lebensmittelkonzerns Mondelez gesammelt. Im April meldete die Stiftung, dass in Verhandlungen mit dem drittgrößten Lebensmittelkonzern erreicht wurde, dass dieser die Verwendung von Käfigeiern schrittweise einstellt.
Auch die Freilassung eines im Iran inhaftierten amerikanischen Journalisten und die Offenlegung der Lobbyliste durch den deutschen Bundestags zählt Change.org zu seinen Erfolgen.
Das Starten einer Petition ist kostenlos. Finanziert wird die Plattform über Werbung von Organisationen, die auf Change.org auf ihre Petitionen aufmerksam machen. Laut Change.org werden sämtliche Einnahmen reinvestiert. Sowohl Unterzeichner als auch Petenten stammten aus allen Bevölkerungsschichten. Und dementsprechend sind auch die Themen sehr breit gefächert.
Innerhalb der Grenzen der Meinungsfreiheit ist laut Gusko alles möglich – solange niemand diskriminiert wird. Überwacht wird das vor allem durch die Nutzer. text: gam