Das Leben ist ein Marathon und keine Kurzstrecke. Glücklich, wer sich nicht früh verschleißt und auf den letzten Kilometern noch Reserven hat – oder: Wer selbst im hohen Alter noch fit und zu sportlichen Glanzleistungen in der Lage ist. So wie Lothar Wolz aus Estenfeld. Der 74-Jährige startet am Sonntag beim Halbmarathon in Würzburg.
Im kompletten Teilnehmerfeld des Würzburger iWelt-Marathons mit rund 4000 Läufern ist er einer der Ältesten. Und in seiner Altersklasse, der M 75, hat er gute Chancen auf den Sieg. Aber darum geht es Wolz diesmal nicht. Er möchte in Würzburg, wie er sagt, „vernünftig durchlaufen“. Denn noch stecken ihm die Anstrengungen eines Marathons in den Beinen: Erst Anfang April erfüllte er sich mit dem Start beim Paris-Marathon den Traum zu einem doppelten Jubiläum: Vor 25 Jahren gab er sein Debüt über die 42,195 Kilometer in München, seit 50 Jahren ist er mit Ehefrau Helga verheiratet. Silberhochzeit mit dem Marathon, goldenes Ehejubiläum – gute Gründe zu feiern. Dies tat das Paar mit einer Woche in der französischen Hauptstadt.
Dass sie ihren persönlichen Ehemarathon schon so lange gemeinsam laufen, nehmen die beiden nicht als Selbstverständlichkeit. Bei ausgeprägten sportlichen Interessen – mal gemeinsam, mal getrennt – braucht es das Verständnis und die Unterstützung des Partners. So auch beim Estenfelder Benefiz-Silvesterlauf, den die beiden über 20 Jahre lang organisiert haben. Oder bei der jährlichen 170-Kilometer-Fußwallfahrt nach Vierzehnheiligen, seit 1996 in der Hand von Lothar und Helga Wolz. Oder für sein Engagement als Laiendarsteller am Mainfranken Theater. Der frühere Versicherungskaufmann ist ein Multifunktionsrentner, der den Ruhestand mit vielerlei Interessen, mit seinen Enkeln, mit sozialem Einsatz auslebt.
In Paris wurde Lothar Wolz von der Anwesenheit seiner Gattin offenbar beflügelt: Trotz schwieriger Strecke und Wärme kam der 74-jährige Estenfelder unter 54 000 Teilnehmern aus 150 Ländern mit 3:47 Stunden ins Ziel am Triumphbogen – und wurde Sechster in seiner Altersklasse, beim insgesamt 29.Marathon-Start seiner Karriere. Viel wichtiger als die Platzierung war ihm aber das Erlebnis einer aufregenden, lebendigen Stadt. Dazu zählen in Paris sogar die Friedhöfe, wo die beiden Heinrich-Heine-Fans am Grab des bekannten Dichters in Montmartre innehielten.
Lothar Wolz weiß um das Glück, auch mit 74 noch voll im Saft zu stehen und das Leben genießen zu können. Er ist demütig und dankbar dafür – das gehört zu seiner Lebensphilosophie genauso wie die Disziplin, das Eigene für die Gesundheit zu tun.
Zum Laufen kam Wolz – früher Tischtennisspieler in der Landesliga – als Spätberufener. Mit 49 Jahren ging er 1990 erstmals auf die Marathonstrecke, entwickelte Lust, Ehrgeiz, schloss sich der Laufgemeinschaft (LG) Würzburg an und kam 1993 in Hannover auf eine persönliche Bestzeit von 2:54 Stunden. Es folgten in den 90ern weitere Marathons unter drei Stunden – in Frankfurt, Stockholm, Venedig.
Seinen wohl emotionalsten Lauf absolvierte er 2010 in Athen, 2500 Jahre nach der legendären Schlacht von Marathon. Nach fünf Kilometern passieren die Läufer einen Grabhügel, in dem die 192 in der Marathon-Schlacht gefallenen Athener bestattet worden sein sollen. Eine Zuschauerin schenkte Wolz einen Olivenzweig, den er nach 3:46 Stunden stolz ins Athener Stadion trug. „Das war ein absolutes Gänsehaut-Gefühl“ schwärmt der Rentner noch heute. Den Olivenzweig bewahrt er daheim auf, behütet wie eine Reliquie.
Anzutreffen ist Lothar Wolz an fünf Tagen in der Woche beim Training meist in den Estenfelder Fluren, selbst Tempo-Einheiten gehören weiter ins Programm. Er trainiert nach Plan und setzt sich realistische Ziele, ausgehend von seinen aktuellen Zeiten über zehn Kilometer. Es gibt Athleten, die zerbrechen an ihrer Verbissenheit. Lothar Wolz spricht ruhig, entspannt und zufrieden über seine Definition von Leistung: „Man muss sich schon fordern. Aber nur mit der richtigen Vorbereitung.“ Dann könne man im Wettkampf die Ernte einfahren. „Ich habe noch jeden Zieleinlauf beim Marathon genossen.“ Auch den letztjährigen beim iWelt-Marathon in Würzburg, als er wieder konstant wie eine Maschine unterwegs war und mit 3:43 Stunden eine beachtliche Zeit ins Ziel lief.
Der 74-Jährige rastet und rostet nicht – und erlebt das Laufen in der Natur mit ihren Jahreszeitenfarben auch als Meditation: „Manchmal laufe ich und mein Kopf ist ganz woanders. Man kommt in ein ganz anderes Denken.“ In der Woche summieren sich seine Einheiten auf 60 bis 90 Kilometer. Dabei kennt er auch schwierige Phasen – als er etwa nach zwei Knie-OPs einige Jahre kürzer treten und erst langsam über das gemeinsame Walken mit Ehefrau Helga wieder in die Gänge kam.
Mittlerweile blüht er in seinem dritten oder gar vierten Lauffrühling. Und der Respekt anderer vor seinen Lauf-Leistungen wächst mit jedem weiteren Jahr. Die Würzburger werden ihn am Sonntag auf der Halbmarathonstrecke über 21,1 Kilometer wieder mit „Lothar lauf“-Rufen anfeuern. Und er selbst? Er wird sein großes Glück genießen, „dass ich mich so bewegen kann.“
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