Die Stimmung ist frostig, als die Beteiligten in einem höchst ungewöhnlichen Zivilprozess im Gerichtssaal Platz nehmen. In dem Rechtsstreit stehen sich ein Männergesangverein aus dem Landkreis Würzburg und dessen erster Vorsitzender auf der einen und das ehemalige Mitglied L. auf der anderen Seite gegenüber. Die Güteverhandlung vor dem Landgericht Würzburg soll einen Schlussstrich unter einen seit 2017 schwelenden Konflikt ziehen. Dessen vorläufiger Höhepunkt: eine strafbewehrte Unterlassungserklärung, die der Verein von L. verlangt und die L. auf keinen Fall unterschreiben will.
Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen folgende Fragen: Wie soll ein Verein mit Mitgliedern umgehen, die fragwürdige, teils gar strafbare Äußerungen tätigen? Soll die Angelegenheit besser unter dem Deckel gehalten oder offen diskutiert werden? Und vor allem: Darf der Verein Personen maßregeln, die solch eine offene Diskussion fordern?
War das Verhalten des Sängers vereinsschädigend?
Was war passiert? 2017 wurde L., damals noch Sänger im Verein, auf Beiträge aufmerksam, die ein anderes Vereinsmitglied in sozialen Medien veröffentlichte. Die Beiträge seien strafrechtlich relevant, da sie abwertende Äußerungen über den Islam und die katholische Kirche enthielten, fand L. Und er fand, der Vereinsvorstand müsse einschreiten, da der Sänger in Mails an die Mitglieder auf seine Internetauftritte hinwies. Solches Verhalten sei vereinsschädigend.
Der Vorstand aber tat sich schwer mit einem Ausschluss des Sängers. Ein Schaden sei dem Verein durch dessen rein private Äußerungen nicht entstanden, und nur in einem solchen Fall könne der Satzung gemäß ein Mitglied ausgeschlossen werden, befand der Vorstand. Sehr zum Unmut von L., der erwartet hatte, dass der Sänger zumindest einen Rüffel erhalten würde. Immerhin tat der Vorstand seine Absicht kund, das Verhalten des Sängers "im Auge zu behalten".
Anzeige bei der Polizei
L. fand, das sei zu wenig, schritt selbst zur Tat und zeigte den anderen Sänger an. Dieser wurde 2018 bezüglich zweier Äußerungen wegen Volksverhetzung und Religionsbeschimpfung zu einer Geldstrafe verurteilt.
L.s Vorpreschen kam beim Vorstand nicht gut an. Im August 2017 trat L. schließlich aus dem Verein aus. Ob aus eigenem Antrieb oder weil es ihm vom Vorstand nahe gelegt wurde, darüber gehen die Ansichten von L. und dem Vorstand nach wie vor auseinander.
Offener Brief an die Mitglieder
Eigentlich hätte nun Ruhe einkehren können. Doch L. sah sich, nachdem er im Frühjahr erneut kritisch auf seinen Vereinsaustritt angesprochen worden war, zu einem offenen Brief an die Mitglieder veranlasst. Ob der Ehrenvorsitz die richtige Auszeichnung für jemanden sei, der einen wegen Volksverhetzung Verurteilten in seinen Reihen dulde, fragte L. im Hinblick auf eine geplante Auszeichnung für den Vorsitzenden.
Dieser offene Brief führte dann zu dem, was auch der Vorstand als "Schaden" betrachtet: dem Austritt eines weiteren Mitglieds. Der Vorstand sah sich zum Handeln veranlasst: Der Sänger, der die Beiträge veröffentlicht hatte, wurde ausgeschlossen.
Der Vorstand beauftragte einen Rechtsanwalt
L. setzte aber noch einen drauf und schrieb einen zweiten Brief: Der Ausschluss sei zu spät erfolgt, der damalige Vorstand möge Konsequenzen ziehen und aus dem Verein austreten, forderte er. Das wiederum brachte den Vorstand auf die Palme: Dieser beauftragte einen Anwalt, und L. fand Ende März die Aufforderung zur Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung in seinem Briefkasten.
Unter anderem soll er sich Dritten gegenüber nicht über die Vorfälle aus 2017 und 2018 äußern und dadurch die Vereinsmitglieder "stören" oder den Ruf des Vereins schädigen, oder durch die Androhung solcher Äußerungen den Rücktritt des Vorstandes "abnötigen" dürfen, heißt es dort sinngemäß.
Vorsitzender spricht von Störfeuer
L. sieht in dieser Aufforderung einen Versuch, ihn mundtot zu machen. Das Gericht soll deshalb feststellen, dass der Verein Solches von ihn nicht verlangen kann. Der Vorstand hingegen hält den Schritt für notwendig, um zu verhindern, dass der Verein, der sich nicht politisch betätige sondern sich lediglich der Liedgut- und Kulturpflege widme, in einem ungünstigen Licht dasteht. Und die Vorsitzende Richterin will erreichen, dass wieder Frieden einkehrt zwischen den Beteiligten. Ihr Hinweis, dass sie tendenziell wenig Chancen für die Unterlassungerklärung sieht, kommt an. Der Vorstand nimmt von seiner Forderung Abstand, L. geht als Sieger aus der Auseinandersetzung hervor.
Es ist eine Kröte, die der Vorsitzende ohne große Begeisterung schluckt. "Ich war 30 Jahre lang Vorsitzender in einem Traditionsverein, und dann kam dieses Störfeuer", macht er seinen Gefühlen Luft. "Dem Engagement für das Ehrenamt ist so etwas sicher nicht förderlich." Dass im Verein extremistisches Gedankengut keinen Platz haben dürfe, sei für ihn immer oberste Prämisse gewesen. Bevor L. die Beiträge thematisiert habe, habe ohnehin kaum ein Mitglied davon etwas mitbekommen, sagt auch der Chorleiter nach der Verhandlung. "Die meisten Mitglieder sind in sozialen Medien gar nicht vertreten."
Negative Auswirkungen befürchtet
"Ich habe Respekt für die gute Arbeit des Vorsitzenden", sagt L. Aber sich vorbeugend Äußerungen verbieten lassen, das will er nicht. Dass der Vorstand damit mögliche negative Schlagzeilen von seinem Verein fernhalten wollte, lässt L.s Anwalt John Krüger nicht gelten: "Sie haben kein Recht auf einen guten Ruf."
Der Vorsitzende hofft, dass nun Ruhe einkehren wird in seinem Verein. Trotzdem befürchtet er negative Auswirkungen. Schon jetzt, sagt er, sei es schwierig, erstens Nachwuchs für den Männergesangverein zu finden und zweitens einen solchen Verein überhaupt zu führen. Das werde sicher nicht leichter, wenn sich herumspreche, mit welchen Querelen sich ein Vorstand herumschlagen muss.