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WÜRZBURG
Missbrauch: Würzburger Strafrechtler stellt Anzeige
Der Würzburger Strafrechtsprofessor Eric Hilgendorf hat zusammen mit fünf weiteren Juristen Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt. Dies sei eine Reaktion auf die „defizitäre Aufarbeitung des Kindesmissbrauchs in der katholischen Kirche“.
Foto: Theresa Müller | Der Würzburger Strafrechtsprofessor Eric Hilgendorf hat zusammen mit fünf weiteren Juristen Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:07 Uhr

„Ohne eine unabhängige Aufarbeitung gibt es keine wirksame Veränderung und Gerechtigkeit.“ Dieser Satz steht in der vor einem Monat veröffentlichten Erklärung der deutschen Bischöfe zu der von ihnen in Auftrag gegebenen Missbrauchsstudie. Nun will eine Gruppe von sechs Strafrechtsprofessoren – darunter der Würzburger Lehrstuhlinhaber Eric Hilgendorf - die unabhängige Aufarbeitung voranbringen. Die Juristen haben Anzeige gegen Unbekannt gestellt, wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ in seiner aktuellen Ausgabe berichtet. Sie wurde den Angaben zufolge bei Staatsanwaltschaften im Bezirk jeder der 27 deutschen Diözesen eingereicht, auch in Würzburg.

Reaktion auf die defizitäre Aufarbeitung des Kindesmissbrauchs

Die Anzeige, die in Verbindung mit dem Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) erstattet wurde, sei eine Reaktion auf die defizitäre Aufarbeitung des Kindesmissbrauchs in der katholischen Kirche, teilte Professor Hilgendorf mit. Die Staatsanwaltschaften sollen veranlasst werden, Ermittlungen aufzunehmen. Es gibt laut Anzeigentext aufgrund der Missbrauchstudie für Straftaten „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ und die „unbedingte Pflicht“, jedem Anfangsverdacht nachzugehen sowie „kein Recht der Kirche, ihre Institution von strafrechtlichen Eingriffen freizuhalten“. Zudem seien viele Fälle noch nicht verjährt.

Für die Missbrauchsstudie hatten die von der Deutschen Bischofskonferenz beauftragten Forscher keinen direkten Zugriff auf die kirchlichen Akten. Ihnen wurden vorab ausgewählte Dokumente aus den Jahren 1946 bis 2014 anonymisiert übergeben. Deshalb sind Betroffene und Beschuldigte sowie die Tatorte und Tatzeiten nicht identifizierbar. Ausgewertet wurden über 38150 Personal- und Handakten. Bei 1670 Klerikern fanden die Forscher Hinweise auf Beschuldigungen des sexuellen Missbrauchs; betroffen sind 3677 Minderjährige. Diese Zahl stellt laut den Forschern eine untere Schätzgröße dar, die Ergebnisse zeigen nur die Spitze des Eisberg.

Nur wenige Staatsanwaltschaften prüfen derzeit Ermittlungen

Die sechs Strafrechtler fordern aufgrund der Studienergebnisse in ihrer Anzeige eine Durchsuchung jeder Diözese und die Beschlagnahmung der Akten. Eine Umfrage des „Spiegel“ ergab, dass derzeit fünf Staatsanwaltschaften Ermittlungen prüfen. Dabei gehe es um den Verdacht von teils schwerem sexuellen Missbrauch, bisweilen bis ins Jahr 2016. Auf Anfrage, warum sie nicht ermitteln, verweisen demnach die Behörden etwa in Ingolstadt, Münster oder Mainz auf die Anonymität der Studie.

In Bayern haben die Generalstaatsanwaltschaften bereits kurz nach Veröffentlichung der Missbrauchsstudie an die Diözesen appelliert, relevante Dokumente auszuhändigen. Der Sprecher der Bamberger Generalstaatsanwaltschaft sagte damals, die Ordinariate in Bamberg und Würzburg hätten bereits erklärt, „dass sie die strafrechtliche Überprüfung vollumfänglich unterstützen werden“.

Barley: „Die Kirche kann sich einer juristischen Aufklärung nicht verweigern.“

Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) sagte dem „Spiegel“: Wo ein Verdacht bestehe, müssten „alle nötigen“ Ermittlungen erfolgen. „Die Kirche kann sich einer juristischen Aufklärung nicht verweigern.“ Laut Matthias Katsch, Sprecher der Opferinitiative „Eckiger Tisch“, sei es überfällig, dass die Staatsanwaltschaften tätig werden.

Papst Franziskus sieht derzeit eine Art Verfolgung der katholischen Kirche. „Im Moment klagt man uns sehr heftig an“, sagte der Pontifex zum Abschluss“ der Bischofssynode am Samstagabend im Vatikan, ohne sich direkt auf das Thema Missbrauch zu beziehen. Diese Anklage „wird auch zur Verfolgung“. Die Kirche werde kontinuierlich angeprangert, um sie zu beschmutzen. „Doch die Kirche darf nicht beschmutzt werden, wir Kinder sind schmutzig, aber die Mutter nicht.“ Mit Informationen von kna und dpa

 
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  • F. S.
    Den Juraprofessoren gebührt eines jeden Demokraten Dank, der es nicht hinnehmen möchte, dass Kirchenmitarbeiter Sonderrechte genießen, welche sie bei sexuellem Missbrauch ihnen anvertrauter, junger Menschen vor dem für alle geltenden öffentlichen Strafrecht schützen, während die Opfer unter tief greifenden Folgen zu leiden haben. Dies sind auch unerträgliche Auswüchse des Reichskonkordates in Verbindung mit Sonderrechten der Kirchen gemäß Grundgesetz Art.140, welche es den Kirchen erlauben, ihre „inneren“ Angelegenheiten“, zu welchen auch das Dienstrecht zählt, ohne Einmischung des Staates zu regeln. Es ist nicht mehr als recht und billig, dieses beinahe grenzenlose Selbstbestimmungsrecht der Kirchen zur Durchsetzung der Unteilbarkeit des Rechts zu begrenzen, um auch kirchliche Straftäter in den rechtsstaatlich üblichen Verfahren zur Verantwortung zu ziehen. Alles andere "Weiter so" ist eines demokratischen Rechtsstaates unwürdig und untergräbt seine Glaubwürdigkeit.
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    Die Staatsanwaltschaften müssen sich endlich Zugang zu den kirchlichen Dokumenten verschaffen.
    Ich frage mich ernsthaft, wie es sein kann, dass gerade die konservative und rechten Parteien gerade in Bayern immer noch eine Art Paralleljustiz zulassen.
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  • M. B.
    Sehr gut, dass durch diese Strafanzeige Ermittlungen in allen Bistümern eingeleitet werden. Es wäre sonst wieder alles unter den Teppich gekehrt worden. Papst Franziskus liegt hier falsch. Die Anzeigen und die Ermittlungen sind ein wichtiger Bestandteil des Aufarbeitungsprozesses.
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  • J. F.
    Sollte die scheinheilige Vertuschung der Verbrechen im Schutz der Institution "Kirche" tatsächlich ein Ende finden? Allein die Anzeige von renommierten Juristen ist schon ein Hoffnungsschimmer. Die Zeiten eines angemaßten (Kirchen-)Staats im Staate und der "Fürstbischöfe" sollten endlich zu Ende gehen. Und wenn Papst Franziskus meint "die Kirche darf nicht beschmutzt werden", dann sollte er diese am besten seinen "Exzellenzen, Eminenzen, Hochwürdigsten Herren" etc. ins Stammbuch schreiben. Die Kirche hat sich durch die systematische Vertuschung selbst beschmutzt. Diese traurige Wahrheit zu benennen und die Forderung nach juristischer Aufarbeitung stellt keine zusätzliche Schmutzung dar. Allmählich beschleicht mich der Verdacht "spiritueller Alzheimer" könnte ansteckend sein.
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