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WÜRZBURG
Mikroplastikforscher Gunnar Gerdts über den Müll im Meer
Forscher sind Mini-Teilchen aus Plastik auf der Spur       -  Dr. Gunnar Gerdts in seinem Labor auf Helgoland.
Foto: Maria Berentzen (dpa) | Dr. Gunnar Gerdts in seinem Labor auf Helgoland.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 27.04.2023 04:22 Uhr

Tüten, Geschirr, Möbel, Folien, Kleidung, Behältnisse – Plastik ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Doch Plastik wird Müll – und belastet dann die Umwelt. Vor allem die Meere: Nach Schätzungen schwimmen in den Weltmeeren mehr als 140 Millionen Tonnen Plastik, und jedes Jahr werden es mehr. Und der Müll wird viele hundert, wenn nicht tausend Jahre erhalten bleiben: Denn Plastik zersetzt sich zwar, bleibt aber fürs Auge unsichtbar in kleinsten Teilchen, sogenanntem Mikroplastik erhalten.

Längst hat der Müll die abgelegensten Gebiete in der Arktis und Antarktis erreicht. Zu Millionen sind winzige, unverwüstliche Plastikteilchen im Packeis der Arktis eingefroren. Doch wie viel Mikroplastik gibt es wirklich im Meer? Woher kommt es, und ist es gefährlich? Wie viele Meerestiere verenden jährlich an der Vermüllung? Was bedeuten die Kunststoffabfälle für die Menschen, wenn sie Kohlenwasserstoffe, Verhärter oder Weichmacher enthalten?

Erforscht sind Auswirkungen auf den Menschen noch nicht. Überhaupt steht das Thema Mikroplastik erst seit wenigen Jahren im Fokus der Wissenschaft. Was die Forscher sagen können: Dass Mikroplastik allgegenwärtig ist. Und dass es viele verschiedene Quellen dafür gibt. Am Alfred-Wegener-Institut (AWI) für Polar- und Meeresforschung versucht der Mikrobiologe Dr. Gunnar Gerdts das Ausmaß der Verschmutzung zu erfassen. Dazu ist er regelmäßig auf See unterwegs und analysiert in seinem Labor auf Helgoland die Krümel mit Hightech-Geräten. Am Dienstag kommt er zu einem Vortrag nach Würzburg. Ein Gespräch vorab.

Frage: Herr Gerdts, ein Geständnis. Ich halte einen Plastikkuli in der Hand, vor mir steht eine Plastikflasche, daneben ein leerer Plastikjoghurtbecher. Schlimm? Was davon wird zu Mikroplastik im Meer?

Dr. Gunnar Gerdts: Ich hoffe, Ihr Kugelschreiber nicht. Man muss schon differenzieren. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die sagen, Plastik macht krank und wir müssen Plastik aus unserem Leben verbannen. Ich will jetzt hier nicht industrienah klingen, aber Plastik hat unbeschreibliche Vorteile und unsere ganze Zivilisation läuft zum Teil auf Plastik. Plastik ist erst einmal nichts Schlechtes. Aber wie immer: Es geht um den Umgang mit Plastik, der Umgang mit Ressourcen. Das heißt eben auch, dass ich weniger Probleme sehe mit Plastik, das mehrfach gebraucht werden kann – wie Ihr Kugelschreiber.

Die Flasche ist leider gerade Einweg . . .

Gerdts: Da sitzt das Problem: Bei den Einweg-Plastiksorten und beim Recycling dieser Sorten.

Glas oder Metall erkennen wir als wertvollen Rohstoff. Plastik weniger. Wer denkt schon daran, dass es noch einen Nutzwert hat.

Gerdts: Das liegt ganz stark an Meinungsbildung. In den 50er Jahren wurde, besonders in den USA, Plastik gerade damit beworben: Benutze es einmal und schmeiße es dann weg. Plastik an sich hat damit keinen Wert bekommen. Meine Oma hat Plastiktüten noch ausgewaschen, zum Trocknen aufgehängt und dann wiederbenutzt. Damals war Plastik noch eine ganz wertvolle Angelegenheit, die man auch so wahrgenommen und um die man sich selber gekümmert hat. Wenn Sie heute im Supermarkt den Käse eingeschweißt in Plastik mitnehmen, nehmen Sie das gar nicht mehr wahr – außer in dem Moment, in dem Sie die Packung nicht aufbekommen.

Die Plastiktüte kostet inzwischen wieder ein paar Cent. Was ist die Krux am Plastik-Recycling?

Gerdts: Es gibt wahnsinnig viele Compound-Materialien, Verbundstoffe. Schauen Sie sich Ihren Joghurtbecher mal an. Oder nehmen Sie die Tetrapackungen. Das ist ja nicht ein Kunststoff, da werden zig Materialien zusammengeklebt. Das auseinanderzudröseln ist schon ein erheblicher Anspruch. Es wäre hilfreich, wenn man in der Industrie Normen setzte und die Verbundmaterialien begrenzte. Intelligenter Umgang mit Verpackungen, der Recycling einfacher macht, tut not. Sonst landen die Stoffe weiterhin in der „thermischen Verwertung“, wie man so schön sagt.

Auf immer mehr Tüten steht: biologisch abbaubar. Was ist davon zu halten?

Gerdts: Es gibt die biogenen Kunststoffe: Das kann Polyethylen sein, das aus Mais gemacht wird. Dann gibt es Verpackungskunststoffe, die angeblich biologisch abbaubar sind, obwohl sie aus Polyethylen bestehen und nur „Sollbruchstellen“ eingebaut haben. Bei den biologisch abbaubaren bin ich zwiegespalten. Einerseits befördert man damit eigentlich den nicht-sachgemäßen Umgang mit Ressourcen, indem man dem Konsumenten suggeriert, du kannst das benutzen und danach gleich guten Gewissens wegschmeißen. Das ändert dann im Kopf, in der Haltung nichts. Das Zweite ist: Da werden zum Teil Polymere verbaut, die in der Kompostierung so lala laufen. Sobald die ins Marine-Milieu geraten, ist Schluss, die bauen sich im Meer genauso wenig ab wie Polyethylen. Wir machen hier im Keller einen Langzeitversuch, wo wir Polymilchsäurefolien beobachten – die sehen noch glatt und schick aus nach vier Jahren.

Um auf das Mikroplastik zu kommen: Ab welcher Größe sprechen Sie von Mikroplastik?

Gerdts: Mikroplastik ist definiert, alles was kleiner ist als fünf Millimeter – ohne Grenze nach unten. Warum ausgerechnet fünf Millimeter? Man musste dem Ding halt einen Namen geben. Fünf Millimeter große Teilchen können Sie durch Form und Farbe noch sehen. Wir forschen zu den Partikeln, die man mit bloßem Auge nicht mehr als Plastik erkennen kann. Man unterscheidet zwischen primärem und sekundärem Mikroplastik. Das erste finden Sie in dieser Größe in Kosmetik oder in Sandstrahlgeräten oder bei Produktionspellets. Das sekundäre Plastik war irgendwann mal größer – sei es als Tüte oder als Becher. Das ist letztlich der Abrieb unserer gesamten Zivilisation. Wir sind von Kohlenstoff umgeben, der sich abreibt. Deshalb sehen wir neben Polyethylen wahnsinnig viele andere Polymere in der Umwelt, die gar nichts mit Verpackung zu tun haben.

Ihr Vortrag in Würzburg ist überschrieben mit der Frage: Hype oder Gefahr? Für Sie wird das wohl eine rhetorische Frage sein, oder?

Gerdts: Ja, das ist so. Eine rhetorische und noch ein wenig hilflose Frage. Die Wahrnehmung der Thematik ist in letzter Zeit groß, was richtig und wichtig ist – gerade im Hinblick auf den Ressourcenverbrauch. Auf der anderen Seite wird wahnsinnig viel Panik verursacht und unreflektiert darüber geredet. Es werden Fakten in den Raum gestellt, die so nicht stimmen. Als Wissenschaftler sitzt man da zwischen Baum und Borke. Aber eine langweilige Nachricht ist natürlich nichts für die Medien. Eine aufregende Nachricht wie „Plastik in Bier gefunden“ kann man an den Kunden bringen, auch wenn es nicht bewiesen ist.

Wir halten hier auch langweilige Nachrichten aus.

Gerdts: Ein Beispiel: Vor zwei Jahren hatten wir Fische untersucht. Die meisten untersuchen den Darminhalt, und wenn man darin Plastik findet, ist das natürlich nicht schön und zeigt auch, wie weit das Plastik verbreitet ist. Und gegebenenfalls hat das Nachteile für den Fisch selbst. Aber man kann daraus nicht schließen, dass wir damit Plastik auf den Teller bekommen. Es ist mitnichten bewiesen, dass das Plastik im Fischfilet steckt. Aber diese Differenzierung wird dann nicht mehr getroffen, es bleibt bei der Halbwahrheit.

Was können Sie denn dann mit ganzer Wahrheit über die Gefahren und Auswirklungen des Mikroplastiks sagen?

Gerdts: Wir haben uns der Detektion verschrieben, damit wir überhaupt erst einmal wissen, wie viel Plastik im Meer ist. Die meisten Effekt-Studien sind im Labor gemacht worden – mit astronomisch hohen Zahlen, die dann natürlich zu Effekten führen. Es ist noch völlig unklar, wie groß die Effekte im Meer wirklich sind. Effekte, die nicht mehr von der Hand zu weisen sind, haben wir, wenn Tiere physikalischen Schaden nehmen: Der Klassiker, der Vogel, der Plastik frisst und nicht mehr ausscheiden kann oder sich stranguliert. Bei den ganz kleinen Partikeln, drei bis zehn Mikrometer, da besteht die reelle Gefahr, dass diese Partikel Membrane passieren können und tatsächlich ins Gewebe eindringen. Das führt zu Entzündungen wie bei Asbest in der Lunge. Darin sehe ich die größte Gefahr, das muss dringend weiter untersucht werden. Bis vor kurzem wusste man noch gar nicht, wie die Größenverteilung der Partikel in der Umwelt überhaupt ist, geschweige denn, wie groß die Menge ist. Wir sind inzwischen relativ sicher, dass es Partikel kleiner als zehn Mikrometer geben muss. Das ist ein echtes Problem.

In einem Kubikmeter Nordseewasser haben Sie durchschnittlich drei bis zehn Mikropartikel gefunden. Das klingt eigentlich nicht nach viel.

Gerdts: Stimmt. Und die Wahrscheinlichkeit, dass ein Fisch ausgerechnet eines dieser zehn Partikel frisst, ist niedrig. Aber eine Million Partikel in einem Kubikmeter Arktiseis: Das ist viel. Wir wissen auch noch nicht, wo besonders viele, besonders wenige Mikropartikel vorkommen. Wir brauchen eine Risikoabschätzung. Es gibt Gegenden, in denen die Konzentrationen erheblich sind, wo sich das Plastik extrem anreichert. Wir wissen von Akkumulationen in Sedimenten mit astronomischen Zahlen. Gerade die Arktis ist extrem gefährdet.

Weiß man, aus welcher Zeit die Plastikteilchen im Eisblock stammen? Können Sie Mikropartikel-Archäologie betreiben?

Gerdts: Nein, das ist ganz schwierig. Die andere Frage: ist es primäres oder sekundäres Plastik? Kommt es aus Kosmetika oder vom Müll? Polyethylen ist halt Polyethylen. Ein paar Hinweise gibt es, weil Plastik sich durch Strahlung oder chemische Prozesse im Wasser verändert.

Sie sagten, ihr Job ist das Detektieren, das Nachweisen. Wie finden Sie die winzig kleinen Teilchen überhaupt?

Gerdts: Das Mikroplastik muss erst mal fein säuberlich vom biologischen Material getrennt werden. Allein das ist ganz schön schwierig, weil die Masse des Materials, das sich im Netz sammelt, eben nicht Mikroplastik ist. Sondern aus Algen, Krebsen oder Schwebstoffen besteht. In den vergangenen Jahren haben wir mit Salpetersäure, Natronlauge und Enzymen gearbeitet, um das biologische Material aufzulösen. Aber in manchen Fällen zersetzte sich der Kunststoff gleich mit, da haben wir viel Lehrgeld zahlen müssen. Nur mit Lichtmikroskopen zu arbeiten ist extrem ungenau, da übersieht man einfach sehr viel Plastik. Wir haben schon Proben analysiert, in denen 97 Prozent des Mikroplastiks falsch als Sand eingestuft worden waren.

Was taugt mehr als der Blick durchs Mikroskop?

Gerdts: Wir nutzen Hightech-Analysegeräte, die genau erkennen, aus welchen Substanzen ein Partikel besteht. Ein Gerät zum Beispiel beleuchtet Mikropartikel mit Infrarotlicht. Je nach Inhaltsstoffen absorbieren und reflektieren die Teilchen unterschiedliche Wellenlängen, so dass jede Substanz quasi am optischen Fingerabdruck bestimmt werden kann. Wir können dann sagen, ob ein Krümelchen aus Polypropylen, Polyethylen oder aus einer Mischung mehrerer Kunststoffe besteht.

Was wünscht sich der Wissenschaftler – außer Geld für die Forschung?

Gerdts: Dass unsere Arbeit bei den Verbrauchern zu einem Umdenken führt, zu einem vernünftigen Umgang mit Ressourcen. Stoffbeutel statt Plastiktüte. Man kann kleine Dinge ändern, da hat der Verbraucher eine Menge Macht, die Industrie zum Umdenken zu bewegen.

Mikroplastik im Vortrag: „Meere und Ozeane“ ist das Motto des Wissenschaftsjahres 2017 des Bundesforschungsministeriums. Die Stadt Würzburg lädt in diesem Rahmen am Dienstag, 20. Juni, zu Ausstellung und Vortrag ins Rathaus. Ab 18 Uhr beantwortet die Umweltstation Fragen zum Plastikmüll. Um 19 Uhr spricht Dr. Gunnar Gerdts von der Biologischen Anstalt Helgoland dann anschaulich über „Mikroplastik im Meer – Gefahr für Umwelt oder Hype?“ Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung nicht nötig.

Infos: www.wuerzburg.de/wirtschaft-wissenschaft

Müll im Meer       -  Im Meer treiben nicht nur Plastiktüten,sondern vor allem winzig kleine Kunststoffpartikel.
Foto: Mike Nelson (epa) | Im Meer treiben nicht nur Plastiktüten,sondern vor allem winzig kleine Kunststoffpartikel.
Mikroplastik       -  Mikroplastikkügelchen auf einem Blatt Papier. Die kleinen Plastikteilchen mit einer Größe unter fünf Millimetern verschmutzen die Meere und werden oft von Fischen und anderen Meeresbewohnern aufgenommen.
Foto: Oregon State University, dpa | Mikroplastikkügelchen auf einem Blatt Papier. Die kleinen Plastikteilchen mit einer Größe unter fünf Millimetern verschmutzen die Meere und werden oft von Fischen und anderen Meeresbewohnern aufgenommen.
Müll-im-Meerforschung am AWI Helgoland       -  Der Mikrobiologe Dr. Gunnar Gerdts vom Alfred-Wegener-Institut ist Müll-im-Meer-Experte. Er analysiert Mikroplastik im Institut auf Helgoland.
Foto: AWI/TRISTAN VANKANN | Der Mikrobiologe Dr. Gunnar Gerdts vom Alfred-Wegener-Institut ist Müll-im-Meer-Experte. Er analysiert Mikroplastik im Institut auf Helgoland.
 
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