Kürzlich auf einer Flüchtlingsveranstaltung in Würzburg. Die Diskussion des Publikums mit den Podiumsteilnehmern kommt nicht richtig in Gang. Nur wenige Besucher melden sich zu Wort. Erst als die Mikrofone ausgeschaltet sind und sich spontan kleine Gesprächsgruppen bilden, wird es munter im Saal. Warum erst jetzt? „Ich wollte mich öffentlich nicht äußern. Denn man wird ja gleich in die rechte Ecke gestellt, wenn man auch mal was Kritisches über Flüchtlinge sagt“, begründet ein Zuhörer seine Zurückhaltung. Ein Satz, der so oder ähnlich auch von anderen Anwesenden zu hören ist.
Dazu passt das Ergebnis einer Allensbach-Umfrage aus dem Herbst vergangenen Jahres. Das Meinungsforschungsinstitut hat geprüft, wieweit die Bürger Hemmungen haben, ihre Meinung offen zu sagen, ob sie den Eindruck haben, man müsse in Deutschland aufpassen, wenn man sich zur Flüchtlingsfrage äußert. „Und da hatten wir 45 Prozent der gesamten Bevölkerung, die sagten, man muss vorsichtig sein“, erläutert die Institutsleiterin Renate Köcher. Eine Antwort, die man sonst nur in Diktaturen bekomme. „Und das sind ganz normale Bürger, die teilweise SPD-affin sind, teilweise Grün-affin, teilweise CDU-affin. Die auch mit großer Mehrheit nicht ausländerfeindlich sind.“
Hat Jörg Baberowski, Professor für Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität, etwa recht, wenn er behauptet: „In Deutschland werden abweichende Meinungen nicht mehr toleriert. Wir leben in einer Meinungsdiktatur.“ Schuld an dieser Entwicklung soll nach Ansicht der Kritiker vor allem die sogenannte politische Korrektheit (auch Political Correctness genannt) sein.
Laut „Neue Züricher Zeitung“ lähme sie die liberale Gesellschaft. Der Duden beschreibt die erst in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts aus den USA nach Deutschland geschwappte Bewegung wie folgt: „Einstellung, die alle Ausdrucksweisen und Handlungen ablehnt, durch die jemand aufgrund seiner ethnischen Herkunft, seines Geschlechts, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, seiner körperlichen oder geistigen Behinderung oder sexuellen Neigung diskriminiert wird.“ In der Annahme, dass Sprache, Denken und Handeln in enger Verbindung zueinander stehen, landeten zahlreiche Wörter auf dem Sprachmüll. Alternativ wurden Ausdrücke vorgeschlagen, die feinfühliger und nicht verletzend seien. Dagegen ist im Grunde nichts einzuwenden. Doch es gibt viele Unsicherheiten und Fallstricke – und reichlich Unsinn.
Vom Toilettenmann zum Facilitymanager
Dass „Nigger“ beleidigend ist, wird wohl niemand ernsthaft bezweifeln. Ebenso „Neger“. Deshalb galt lange Zeit „Schwarzer“ als korrekte Bezeichnung. Darauf folgte „Farbiger“. Mittlerweile sollte in den Vereinigten Staaten jemand mit dunkler Hautfarbe als Afro-Amerikaner bezeichnet werden, um ihn nicht zu diskriminieren. Warum allerdings Afro-Amerikaner politisch unproblematischer sein soll als Schwarzer oder Farbiger, erschließt sich nicht auf Anhieb. Fraglich ist auch, ob einer Putzfrau wirklich damit gedient ist, sie als Raumpflegerin schönzureden – oder einem Toilettenmann, wenn man ihn verbal zum Facilitymanager aufwertet.
Bizarr mutet auch der aktuelle „Bathroom-Krieg“ in den USA an. Er dreht sich vor allem um die Frage: Auf welche Toilette dürfen Transgender gehen? Der Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit fragt verwundert: „Wie soll man die Türen kennzeichnen, ohne Gruppen oder Einzelne zu diskriminieren, wenn Plattformen wie Facebook mehr als 50 Möglichkeiten anbieten, das eigene Geschlecht zu bezeichnen?“ Um dem wirklich gerecht zu werden, müsse jede Gemeinde in allen öffentlichen Gebäuden mehr als 50 Toiletten bauen. „Gebäude, in denen Geschlechtergerechtigkeit herrscht, bestünden demnächst künftig nur aus Klos. Soll das eine Lösung sein?“
Wohl genauso wenig wie die beschönigende Bezeichnung für Kinder, deren Verhalten unangemessen und nicht „normal“ ist. Früher galten sie als „schwer erziehbare Kinder“. Später erhielten sie zunächst das Etikett „verhaltensgestört“, danach „verhaltensauffällig“. Mittlerweile werden sie bevorzugt als „verhaltensoriginell“ eingestuft. Aus der einst negativen Klassifizierung ist somit im Laufe der Jahre ein positiver Begriff geworden – bei unverändertem Krankheitsbild.
Beispiele wie diese sind Wasser auf die Mühlen von Kritikern. Sie halten den Verfechtern der politischen Korrektheit vor, dass neue Wörter die soziale Wirklichkeit nicht veränderten. Sexismus, Rassismus oder andere Formen der Diskriminierung könnten so nicht überwunden werden. Im Gegenteil: Unter dem Deckmantel freundlich klingender Benennungen könnten gesellschaftliche Missstände sogar noch verharmlost und sozialen Ungerechtigkeiten und Vorurteilen der Weg geebnet werden.
„Kritik soll konstruktiv und logisch nachvollziehbar geäußert werden."
Der aus Slowenien stammende Philosoph Slavoj Žižek warnt deshalb vor der Gefahr, mit politischer Korrektheit in einer „Euphemismus-Tretmühle“ zu landen, „in der jeder Begriff durch den folgenden seinerseits unter Diskriminierungsverdacht gestellt und entwertet werden kann“. Für ihn ist politische Korrektheit „dort gefährlich, wo sie angewendet wird, um Kritik unmöglich zu machen“. Diskussion müsse in funktionierenden demokratischen Systemen möglich sein, auch wenn sie manchmal wehtue. „Kritik soll konstruktiv und logisch nachvollziehbar geäußert werden. Empathie zeigen heißt nicht, alles gutzuheißen, aber andere Meinungen und Urteile verstehen zu wollen.“
Wer das beherzigt, wird in fast jeder Diskussion bestehen können – sofern er sich auf dem Fundament der Meinungsfreiheit bewegt. Grundsätzlich kann in unserem Land jeder sagen, was er denkt. Mit wenigen Ausnahmen. Man darf beispielsweise jemand anderen nicht einfach beleidigen. Der Schutz seiner Ehre ist in so einem Fall oft höherwertiger als die Meinungsfreiheit. Ferner ist es verboten, den Holocaust zu leugnen und den Nationalsozialismus zu verherrlichen. Schließlich muss jeder mit einer Strafe rechnen, der zu Straftaten aufruft.
So viel steht fest: Politisch korrekte Sprache ist ein vermintes Feld. Denn „der Grat zwischen verantwortungsvollem Sprachgebrauch und unsinnigen, intoleranten Formulierungen ist schmal“, wie Iris Forster von der TU Braunschweig feststellt. Ihr Ratschlag für alle, die sich empathisch, aber in der Sache unmissverständlich zu Wort melden wollen: „Prinzipiell sollten wir unsere Sprachverwendung überprüfen und dort, wo wir mit Sprache Menschen verletzen können, alternative Formen wählen.“
Dieser Text wurde am am 26. August geändert und im 5. Absatz die Ergänzung "in den vereinigten Staaten" eingefügt.
Politker beschimpfen alle, die anderer Meinung als sie selbst sind mit drastischen Ausdrücken. - Wer will schon gerne zu den so unflätig Beschimpften gehören... also hält man besser seinen Mund bzw. mit seiner Meinung hinter den Berg.
"Mittlerweile sollte jemand mit dunkler Hautfarbe als Afro-Amerikaner bezeichnet werden, um ihn nicht zu diskriminieren."
Ich glaube da muß ein Mißverständnis vorliegen - ich kann mir nicht vorstellen daß das irgendjemand fordert - selbst der politisch korrekteste Mitmensch nicht.
Oder kann mir jemand plausibel machen warum ich z.B. einen dunkelhäutigen Nigerianer als "Amerikaner" bezeichnen soll?
Warum sollte ich einen gebürtigen Afrikaner, der in seinem Leben nie Amerika betreten hat, als "Amerikaner" bezeichnen ?
Herzliche Grüße
Michael Reinhard
Dass bei mir kein Rassismus vorliegt dürfte doch auch lesbar sein. Oder?
Herzliche Grüße,
Fabienne Hobner - Main Post Digitale Medien
Verstehen Sie das?
Herzliche Grüße
Fabienne Hobner - Main Post Digitale Medien
Was ich allerdings nicht verstehe ist, dass Worte wie*******no go sind. Nur weil es ähnlich klingt wie das beleidigend gemeinte********
Abgesehen davon, ein Mensch wird von mir nicht nach seiner Farbe sondern nach seiner Menschlichkeit beurteilt. Beurteilen tue ich aber schon recht streng!