
Fußball galt früher als verweichlichter, unmännlicher Sport. Wie Fußball zum Männersport wurde und warum Menschen Fußballfans werden, erklärt der Würzburger Experte Dr. Gabriel Duttler vom Institut für Fankultur.
Frage: Warum identifizieren sich Menschen mit Profisportlern, an deren Leistung sie doch gar keinen Anteil haben?
Gabriel Duttler: Die Fans sehen das anders. Sie finden, dass sie die Leistung der Profisportler durchaus beeinflussen können. Wenn man anfeuert und das eigene Team unterstützt oder die gegnerische Mannschaft runtermacht, dann verfügt man über Einfluss auf das Spiel. Allerdings kann man das nicht mit genereller Identifikation mit den Sportlern gleichsetzen. Diese besteht eher mit dem Verein oder der Stadt.
Aber was bringt den Fans das Fan-Sein? Was haben sie davon?
Duttler: Wenn wir jetzt zu den aktiven Fangruppen gehen, dann steckt auch immer der Wunsch nach Selbstdarstellung dahinter – man will sichtbar sein, will sich und seine Fankultur zeigen. Zudem fühlen sich Fans an den Erfolgen oder Niederlagen „ihrer“ Mannschaft beteiligt, das heißt, die Fans nehmen für sich in Anspruch, den Erfolg der Mannschaft auf sich selbst zu übertragen nach dem Motto: „Wenn Deutschland Weltmeister wird, werden wir alle Weltmeister“.
Wie aber kommt man dazu, den Erfolg anderer auf sich zu übertragen?
Duttler: Sozialpsychologische Theorien besagen, dass Menschen eine personale und eine soziale Identität haben – und ihre soziale Identität ist dadurch geprägt, welchen Gruppen sie sich zuordnen. Klar versucht jeder Mensch, beide Identitäten möglichst positiv zu gestalten. Deshalb streben Menschen danach, Gruppen anzugehören, die sie in einem guten Licht zeigen. Und insofern kann man dann natürlich schon, wenn man sich mit einer Mannschaft oder einer Nation sehr stark identifiziert, deren Erfolge auf sich selbst übertragen. Eben das macht es erstrebenswert, Fan zu sein – dass man so einem attraktiven Team „angehört“ und damit die eigene Identität positiv beeinflussen kann.
Warum bindet gerade Fußball so viele Fans? Und nicht etwa Handball, Volleyball oder Standardtanz?
Duttler: In Deutschland ist Fußball so präsent, dass er alle anderen Sportarten zur Seite drängt. In Griechenland und in der Türkei werden Basketballer ähnlich frenetisch unterstützt wie die Fußballmannschaften.
Warum sind Männer öfter Fußballfans als Frauen?
Duttler: Das ist eine lange Geschichte. Heute ist Fußball mit Männlichkeitswerten untrennbar verbunden – aber noch um 1900 herum war das anders. Als der Fußball nach Deutschland kam, galt er zunächst als bürgerliche Freizeitbeschäftigung. Tatsächlich wurde Fußball zunächst als unmännliches, verweichlichtes Spiel gesehen: Der Sport kam ja aus England und stand eher für Spiel und Wettbewerb als für militärischen Drill. Das war den Deutschen suspekt. Durchs Turnen den Körper stählen – das galt damals als männlich. Um den Fußball in Deutschland salonfähig zu machen, musste hier eine Anknüpfung gefunden werden. So schrieb der DFB 1920, Fußball kenne „keine Weichlichkeit, kein ängstliches Zagen, keine Empfindelei“. In dieser Zeit hat man in Deutschland bestehende Frauenfußballvereine zurückgedrängt und damit begonnen, Fußball stark an Männlichkeitsideale zu binden und ihn etwa in Ausbildungspläne der Armee zu integrieren. In den 1950er Jahren wurde der Frauenvereinsfußball sogar für eine Zeit vom DFB untersagt. Diese Ausrichtung auf Männlichkeit und damit verbundene Werte sind auch in die Fankultur übergegangen.
Die Wissenschaftlerin Almut Sülzle hält die Fußballkultur für „eine Präsentationsbühne für Männlichkeit“; einen Ort also, wo Männer sich bewähren und Frauen nicht zählen. Stimmen Sie dem zu? Ist das Fußballfeld einer der letzten Orte, wo Männer in ihrer rauhen, grölenden, saufenden Männlichkeit bestärkt werden?
Duttler: Die Fankultur ist stark an Männlichkeitswerte gebunden, geht aber weit über Grölen und Saufen hinaus und beinhaltet vor allem leidenschaftliche Bindung und Identifikation. Dies macht den Fußball auch für viele Frauen interessant. Laut deutscher Fußballliga ist einein Viertel des Stadionpublikums weiblich. Es gibt auch weibliche Fans, die es schätzen, im Stadion mal Bier trinken und „die Sau rauszulassen“. Doch es bleibt für Frauen schwierig, von Männern als Fußballfans akzeptiert zu werden. Häufig wird ihnen unterstellt, sie seien nur an den Spielern interessiert oder nur als Freundin eines Fans dabei. Genau diese Frauen, die gerne Fans sein wollen, akzeptieren dann oftmals die an den Fußball geknüpften Männlichkeitswerte und Rituale. Machen sie mit, bekommen sie Anerkennung.
Wenn in einem Stadion richtig Stimmung ist, dann wird gejohlt, werden Gegner beschimpft, wird gehasst und gegrölt.. Kann man das Fußballstadion als Ort sehen, wo für zwei Stunden die Regeln der Zivilisation außer Kraft gesetzt sind?
Duttler: Klar ist das Stadion ein Ort, wo man mehr Freiheiten hat als anderswo. Auf den einzelnen Menschen wirkt das durchaus reinigend und befreiend, dass er sich im Stadion austoben und alles an Emotionen rauslassen kann.
Sie unterscheiden zwischen den „normalen“ Fans und den „Ultras“? Was zeichnet Ultra-Fans aus?
Duttler: Ultras sind sehr fanatische, meist junge und überwiegend männliche Fans von Fußballvereinen. Sie sind in Gruppen organisiert, die sehr viel mehr verbindet als nur das Spiel. Viele Ultras sehen ihre Gruppe wie eine Familie. Und im Gegensatz zum normalen Fan, der nach dem Spiel seinen schwarzrotgoldenen Schal zur Seite legt, legt der Ultra sein Fansein niemals ab. Sie kultivieren die Unterstützung „ihrer“ Mannschaft im Wettstreit gegen gegnerische Ultragruppen. Das geht soweit, dass sie vergleichen, wer die besseren Gesänge hat, wer die Gegner besser runtermacht, wer mit Hilfe von Fahnen die besseren Tribünen-Choreographien macht.
Was passiert mit den Fans, wenn die Nationalmannschaft in der Vorrunde ausscheidet? Kollektive Depression?
Duttler: Für echte Fans ist es ein Wert, ihrer Mannschaft auch in Zeiten der Not die Treue zu halten.