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WÜRZBURG
Mehr als die Geschichte eines Möbelgeschäfts
Sammlung: Purimteller und Kidduschbecher der Seligsbergers.
Foto: Thomas Obermeier | Sammlung: Purimteller und Kidduschbecher der Seligsbergers.
Pat Christ
Pat Christ
 |  aktualisiert: 27.04.2023 00:21 Uhr

Nie wieder werde sie einen Fuß auf deutschen Boden setzen, schwor sich Anna de Voogts in den Niederlanden lebende Mutter Ernestine nach dem Zweiten Weltkrieg. „So habe auch ich gelernt, immer um Deutschland herumzufahren“, sagt die Tochter. Nun kam Anna de Voogt zusammen mit 22 Verwandten erstmals in ihrem Leben nach Würzburg. Anlass war die Eröffnung der Ausstellung „Seligsberger - Eine jüdische Familie und ihr Möbel- und Antiquitätenhaus“ über ihre Würzburger Verwandten.

Anna de Voogt war bekannt, dass ihre Wurzeln nach Würzburg reichen, wo ihre Vorfahren ein weithin beachtetes Möbel- und Antiquitätengeschäft gehabt hatten. Viel mehr wusste sie jedoch nicht. „Meine Mutter sprach selten von unserer Familiengeschichte, weil es so schmerzvoll war“, erklärte sie bei der Eröffnungsveranstaltung zur Ausstellung am Donnerstag im „Shalom Europa“. Der deutsche Familienzweig sei „weit weg“ gewesen: „Getrennt von uns und versteckt hinter einer Mauer unaussprechlicher Tragik.“ Nicht einmal der Familienname der von den Nazis ermordeten Verwandten sei ihr bekannt gewesen.

Anna de Voogt ist eine direkte Nachfahrin von Salomon Seligsberger, der das Möbel- und Antiquitätengeschäft am Würzburger Johanniterplatz gründete. Sieben Kinder hatten Salomon und seine Frau Bertha. Eine der Töchter, Katilie Seligsberger, heiratete Salomon Frenkel, der in Utrecht Hofantiquar war – so kam es zu dem niederländischen Familienzweig. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor, unter anderem Anna de Voogts Großvater Salomon Philip. Der nannte eine seiner Töchter, Anna de Voogts Mutter, nach der Würzburger Großtante „Ernestine“.

Durch die zweijährigen Recherchen von Rotraud Ries und Nina Gaiser vom Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische Geschichte und Kultur seien erstaunliche Familiengeheimnisse ans Licht gekommen, so Anna de Voogt. Die Recherchen gipfelten in der Entdeckung, dass die private Judaica-Sammlung von Salomon Seligsbergers Sohn Sigmund gerettet wurde und sich heute im Jüdisch-Historischen Museum in Amsterdam befindet.

Damit befand sich ein Familienschatz quasi „bei uns um die Ecke“, so Anna de Voogt: „Das löste in der Familie eine emotionale Schockwelle aus, denn plötzlich wurden Einzelheiten der Naziverfolgung wieder ins Gedächtnis gerufen.“ Groß war gleichzeitig aber auch die Empörung darüber, dass sich das Museum in Amsterdam nie darum bemüht hatte, lebende Verwandte zu finden: „Die Judaica wurden im Gegenteil als Beispiel für eine verwaiste Sammlung präsentiert.“

Der gemeinsame Besuch des Museums im April, an dem 35 Verwandte aus den Niederlanden, aus Israel und Indonesien sowie Rotraud Ries vom Johanna-Stahl Zentrum teilnahmen, sei eine unvergessliche Erfahrung gewesen. Überhaupt habe das Würzburger Ausstellungsprojekt das Familiengefühl der Seligsberger-Nachkommen völlig verändert: „Es ist, als hätte man eine Blockade zu unserer Geschichte weggeräumt.“ Heute könnten sie und ihre Verwandten sagen: „Ja, wir sind Würzburger!“

Die Ausstellung über die Familie Seligsberger ist bis zum 18. März im Johanna-Stahl-Zentrum sowie im Mainfränkischen Museum zu sehen. Im Johanna-Stahl-Zentrum wird die Firmen- und Familiengeschichte zwischen dem Aufstieg im 19. und der Vernichtung im 20. Jahrhundert nachgezeichnet. Das Mainfränkische Museum präsentiert hochwertige Objekte, die der Fränkische Kunst- und Altertumsverein sowie die Stadt Würzburg bei der Firma Seligsberger zwischen 1897 und 1920 für das 1913 gegründete Fränkische Luitpold-Museum erwarben.

Die Ausstellung im Johanna-Stahl-Zentrum (Valentin-Becker-Straße 11) ist montags bis mittwochs von 10 bis 17 Uhr, donnerstags von 10 bis 18 Uhr, freitags von 10 bis 15 Uhr sowie sonntags von 11 bis 16 Uhr bei freiem Eintritt zu sehen. Kostenlose öffentliche Führungen gibt es am 25.10., 22.11. und 13.12., jeweils um 13.30 und 15 Uhr. Das Mainfränkischen Museum auf der Festung ist dienstags bis sonntags von 10 bis 16 Uhr geöffnet. Öffentliche Führungen finden am 1. und 15.11 um 11 Uhr statt.

Ausstellung

Die Ausstellung über die Familie Seligsberger ist bis zum 18. März im Johanna-Stahl-Zentrum sowie im Mainfränkischen Museum zu sehen. Am Ausstellungsstandort Johanna-Stahl-Zentrum wird die Firmen- und Familiengeschichte zwischen dem Aufstieg im 19. und der Vernichtung im 20. Jahrhundert nachgezeichnet. Das Mainfränkische Museum zeigt hochwertige Objekte, die der Fränkische Kunst- und Altertumsverein sowie die Stadt Würzburg bei der Firma Seligsberger zwischen 1897 und 1920 für das 1913 gegründete Fränkische Luitpold-Museum erwarben.

Der Ausstellungsteil im Johanna-Stahl-Zentrum (Valentin-Becker-Straße 11) ist montags bis mittwochs von 10 bis 17 Uhr, donnerstags von 10 bis 18 Uhr, freitags von 10 bis 15 Uhr sowie sonntags von 11 bis 16 Uhr bei freiem Eintritt zu sehen. Kostenlose öffentliche Führungen finden am 25.10., 22.11., 13.12., 17.1., 14.2. sowie am 13.3. jeweils um 13.30 und 15 Uhr statt.

Der Ausstellungsteil im Mainfränkischen Museum auf der Festung ist dienstags bis sonntags von 10 bis 16 Uhr zu sehen. Öffentliche Führungen finden am 1. und 15.11 um 11 Uhr sowie am 2.3. um 14.30 Uhr statt. Der Eintritt kostet 4 Euro (ermäßigt 2 Euro) ohne und 5,50 (ermäßigt 3,50 Euro) mit Führung.

Das Begleitprogramm ist unter www.johanna-stahl-zentrum.de im Internet abrufbar. pat

Mobile aus Postkarten: Im Ausstellungsraum im Johanna-Stahl-Zentrum hängen Erinnerungen von der Ecke. Die Karten schrieben Familienmitglieder.
Foto: THOMAS OBERMEIER | Mobile aus Postkarten: Im Ausstellungsraum im Johanna-Stahl-Zentrum hängen Erinnerungen von der Ecke. Die Karten schrieben Familienmitglieder.
Porträt: Ernestine Seligsberger.
Foto: Thomas Obermeier | Porträt: Ernestine Seligsberger.
 
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