Seniorinnen des St. Thekla-Heimes in Würzburg schwelgten gemeinsam mit Kräuterpädagogin Barbara Kuhn im duftenden Kräutermeer. Und in Erinnerungen.
Königskerze, Sonnenblume, Malve, Wilder Majoran, Wegwarte, Johanniskraut, Salbei, Labkraut, Borretsch, Schafgarbe, Odermennig, Dill, Ringelblume und Pfefferminze, sie alle tanzen mit im Reigen der Mariä-Himmelfahrtskräuter. Zwei große Weidenkörbe voll davon hat Kuhn schon am Morgen gesammelt. Nicht nur der Anblick der Kräutervielfalt, sondern auch der Duft betört. „Hhmm, wie das riecht“, sagen die alten Damen.
Exkurs in die Vergangenheit.
Bevor das Binden der Sträuße beginnt, macht die Kräuterfrau einen Exkurs in die Vergangenheit. In eine Zeit, als die Menschen noch auf die Kräuter angewiesen waren. In eine Zeit, in der die Apotheke der Acker, die Wiese und der Wegrand war. „Das Sammeln der Wildkräuter war sehr wichtig, weil es der Vorrat und die Medizin für den Winter war“, sagt Kuhn.
Das Wissen um die Heilkraft und Verwendung der Kräuter hatten damals überwiegend Frauen, allen voran Hebammen, erzählt sie. Im Mittelalter allerdings wurden Kräuterfrauen als Hexen verbrannt, nicht zuletzt deshalb, weil Männer Angst vor diesem Wissen hatten, meint sie.
Und auch heute sind es wieder überwiegend Frauen, die Kräuterwissen und Brauchtum an Interessierte weitergeben, so wie Kuhn, die Erlebnisbäuerin aus Güntersleben. Klar, dass sie weiß, wie ein Kräuterbüschel aussehen soll. Nach alter Tradition muss er immer eine magische Anzahl an Kräutern, also 7, 9, 12, 14, 77 oder 99 enthalten. Auch wenn sie selbst so bindet, wie es „ihr gefällt“.
Die Königskerze kommt in den Mittelpunkt
Wie dem auch sei: Die Königskerze kommt in den Mittelpunkt des Straußes. Sie trage die Verbindung zwischen Himmel und Erde und die Kraft des Lichtes in sich. Vielleicht wurde sie deshalb früher bei Unwetter ins Feuer geworfen, um Haus und Hof zu schützen. Doch das Problem in diesem Jahr: Es gibt zu wenig Königskerzen. Ihren Platz wird deshalb die Sonnenblume einnehmen.
Weitere Heilpflanzen sind der blutstillende Odermennig, die Wilde Malve, die bei Erkältungskrankheiten verabreicht wird, der Spitzwegerich, den die Indianer auch „Fußstapfen der Bleichgesichter“ nennen, die entkrampfende Schafgarbe, der Wilde Majoran, Johanniskraut gegen depressive Verstimmungen, das echte Labkraut, das man zur Käseherstellung nutzte, Rainfarn, mit dem man früher Mäuse vergiftete, die wundheilende Ringelblume, Beifuß zur Verdauung und die Wegwarte, deren Wurzel man noch in der Nachkriegszeit als Kaffeeersatz röstete.
Dazu eine schöne Sage: Die Geliebte eines jungen Ritters, der in den Krieg gezogen war, wartete mit ihren Hofdamen am Wegrand vor dem Stadttor viele Wochen auf ihn, erzählt Kuhn. Doch so lange sie auch wartete, er kam nicht mehr zurück. Schließlich hatte der Himmel Mitleid und verwandelte die Jungfrau in eine wunderschöne Blume, die Wegwarte.
Im Sommer erfrischend und im Winter wärmend
Von der Wegwarte zum Johanniskraut: wenn man die Blütenblätter zwischen den Fingern reibt, dann werden sie rot. Deshalb setzt man damit auch das sogenannte Rotöl an, heilsam bei Sonnenbrand und Verbrennungen. „Reiben und riechen Sie mal, das kennen Sie bestimmt“, fordert Kuhn die Seniorinnen auf. Einige erkennen ihn: den Salbei. Auch am intensiven Duft zu erkennen ist die Pfefferminze: Als Tee, im Sommer erfrischend und im Winter wärmend, sagt die Kräuterfrau.
Und dann binden die zehn Damen und Josef Schömig, der einzige Herr in der Runde, ihren ganz individuellen Kräuterbüschel. „Wunderschön sind sie geworden“, meint Barbara Kuhn. Am 15. August, an Mariä Himmelfahrt, sollen sie im hauseigenen Gottesdient geweiht werden. Vielerorts heißt dieses Fest auch Würzweihe und die Sträuße Würzbüschel.
Dass die geweihten Kräuter nicht nur Heil-, sondern auch magische Kräfte besitzen, glaubten unsere Vorfahren bereits. Denn auf dem Dachboden aufgehängt sollten die Pflanzen vor Blitzschlag schützen, unter dem Kopfkissen das Eheglück, im Viehfutter die Gesundheit der Tiere und im Kochtopf die des Menschen fördern, weiß Barbara Kuhn.
Bis zum Frühjahr blieb der Strauß im Haus
Fast alle Pflanzen und den Brauch des Bindens kennt Margarethe Winkler noch aus ihrer Heimat, dem Egerland. „Meine Oma war da ganz scharf drauf, und mir hat es auch viel Spaß gemacht“, erinnert sich die alte Dame. Bis zum Frühjahr blieb der Strauß im Haus, dann kam er weg. Ganz neu ist der Brauch allerdings für Maria Zens, die nach dem Krieg aus Ungarn vertrieben wurde.
Aber woher kommt dieser Brauch überhaupt? „Die Kräuterweihe geht auf die Legende zurück, dass am dritten Tag nach dem Begräbnis Mariens die Apostel ihr Grab besuchten und statt der Mutter Gottes verschiedene Heilkräuter vorfanden“, erzählt die Kräuterpädagogin.
Traditionell war es schon früher die Aufgabe der Bäuerinnen, die Kräuter für Mariä Himmelfahrt zu sammeln und zu büscheln. In Güntersleben ist das heute noch so. Am Montag, 14. August, um 15 Uhr, werden Kräuterbüschel gebunden und am Dienstag im Gottesdienst um 10 Uhr geweiht. „Gegen eine Spende für Uganda können die Kräutersträuße erworben werden“, so Kuhn.
Auch in vielen anderen Gemeinden des Landkreises werden Kräuterbüschel zu Maria Himmelfahrt gebunden. Kräuterpädagogin Heidi Mark aus Sonderhofen kennt den alten Brauch auch und gibt ihn in moderner Fassung weiter. Ihr ist vor allem wichtig, den Menschen wieder das Wissen um die Kräuter nahe zu bringen. Und die Ehrfurcht vor der Natur.