
Ein heller Raum in der Residenzgaststätte mit Blick in den Würzburger Hofgarten. Auf zwei langen Tafeln ist eingedeckt. Doch nicht Geschirr, Gläser oder Servietten stehen auf dem Tisch, sondern Leinwände auf kleinen Staffeleien. Pinsel und Bleistifte liegen bereit für die ArtNight. Vanessa Melzner ist gespannt. Es ist zwar schon die sechste Veranstaltung diese Art, die sie als Künstlerin leitet, aber sie weiß nie, welche Leute kommen – und vor allem mit welchen Erwartungen.
In Würzburg gibt es sogenannte ArtNights seit Mai. Die Idee: unter Anleitung eines lokalen Künstlers in Gesellschaft ein Bild malen und sich dabei entspannen. Das mehr oder weniger gelungene Werk kann man später mit nach Hause nehmen. ArtNights gibt es mittlerweile in 47 Städten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden. Die Idee zu dieser „Social Painting Party“ in ungezwungener Atmosphäre hatten die Berliner Aimie-Sarah Carstensen-Henze und David Neisinger. Die Familie von Neisinger stammt aus Würzburg: „Ich bin zwei bis dreimal im Jahr in Würzburg. Dabei besuche ich meine Oma und viele Tanten, Onkel und Cousins wohnen hier.“

Jeder kann ein Künstler sein
Im Saal trudeln allmählich 20 Frauen ein. „Die Teilnehmer der Workshops sind zu 80 Prozent weiblich und zwischen 20 und 40 Jahre alt“, sagt Vanessa Melzner. Jeder bekommt eine schwarze Schürze gestellt, damit die Kleidung nicht mit Farbe vollgekleckert wird. Dann bestellt man Getränke und plaudert ein bisschen. „Viele haben seit der Grundschule nicht mehr gemalt“, sagt die Künstlerin. Manche hielten sich genau an die Vorlagen, andere trauten sich auch selbst kreativ zu werden. Was dabei entsteht, ist auch für die Künstlerin immer wieder eine Überraschung.
Carola Wagner ist schon zum fünften Mal bei einer ArtNight dabei. „Malen hat mir schon immer Spaß gemacht“, sagt die Günterslebnerin. Das Konzept gefällt ihr, „weil man immer wieder neue Leute kennenlernt und weil es spannend ist, welche unterschiedlichen Kunstwerke in der kurzen Zeit entstehen“. Alle Werke hat sie in ihrem Treppenhaus aufgehängt. Zum zweiten Mal ist auch ihre zwölfjährige Tochter Annabell mit dabei. Angst vor der weißen Leinwand? Kein bisschen. „Ich male meist ohne Vorlage“, sagt Annabell.
Die ArtNight-Macher versprechen einen kreativen Abend in netter Gesellschaft: „Es geht darum, Spaß zu haben, vielleicht längst vergessenes oder eingeschlafenes Talent (wieder) zu entdecken und zu entfalten“, sagt Gründer David Neisinger. Vor einem Jahr stellten er und Aime-Sarah Carstensen-Henze das Konzept bei der VOX-Sendung „Die Höhle der Löwen“ vor. Investor Georg Kofler machte damals den Deal, investierte die gewünschten 150 000 Euro und erhielt zehn Prozent am Unternehmen. Seitdem geht es mit dem Unternehmen stetig bergauf. „Die Höhle der Löwen hat uns natürlich geholfen, so schnell zu wachsen und ArtNight bekannt zu machen“, sagt Neisinger. In vielen Städten seien die Kunst-Workshops so beliebt, dass sie über Wochen ausverkauft sind.
Blumenmädchen in Pink

Jeder Abend steht unter einem bestimmten Motto. An diesem Abend dreht sich alles um das „Blumenmädchen in Pink“. Beliebt sind auch die Motive Tänzerin, Skyline von Würzburg, Flamingo mit Blumenkrone oder der ArtNight-Löwe. Anfänger bekommen Starthilfe und dürfen eine Vorlage des Bildes von hinten an die Leinwand klemmen, damit das Motiv durchscheint. Vanessa Melzner zeigt, wie man das Bild nun mit Bleistift auf die Leinwand überträgt. Fortgeschrittene wie Carola Wagner skizzieren schon Freihand vor. „Kreativ sein ist durchaus erwünscht“, ermuntert Melzner.
Sie selbst ist über Facebook auf die ArtNights aufmerksam geworden. „Ich habe Porzellanmalerin gelernt und studiere jetzt Kommunikationsdesign. ArtNight ist das Beste, was mir passieren konnte“, sagt sie. Inzwischen arbeiten 170 Künstler für das Unternehmen, drei in Würzburg. Theresa Braun ist eine davon. Sie unterstützt an diesem Abend Vanessa Melzner. „Die Motive sind so gewählt, dass sie leicht in etwa zwei Stunden nachzumalen sind und jeder ein Erfolgserlebnis hat“, sagt Theresa Braun. Die Künstler, aber auch die Besucher, können immer wieder neue Motiv-Vorschläge machen.

Gemeinsames Malen liegt im Trend, auch hiesige Künstler bieten Kurse für Erwachsene und Kinder an. Bei den Volkshochschulen boomen die Kurse: Bei der vhs-Würzburg kann man zwischen Acylmalerei am Vormittag, Freier Malerei, Japanische Tuschemalerei oder Ausdrucksmalerei auswählen. „Malkurse laufen immer, sie sind immer gut gebucht und zwar in allen Techniken. Besonders Hand Lettering ist ganz stark nachgefragt, genau wie Portrait zeichnen“, sagt Sabine Steinisch, Fachbereichsleiterin Kultur bei der vhs Würzburg und Umgebung.
Entspannen und Spaß haben

Doris Pinke und Melanie Borzi sind zur ArtNight gekommen, um vom Alltag abzuschalten. „Wir haben beide Kinder und arbeiten, da wollten wir zur Entspannung mal etwas ganz Neues ausprobieren“, sagt Doris Pinke. „Und wir wollen auch Spaß haben“, sagt Melanie Borzi und nippt an ihrem Hugo. Beide beginnen nun mit der Gruppe den Hintergrund des Bildes zu grundieren. Vanessa Melzner teilt Farbe aus: Jeweils ein Klecks Pink, Orange, Rot, Weiß, Blau und Schwarz landen auf einem Pappteller. Nun gilt es die Farben richtig abzumischen und auf die Leinwand zu bringen.
Die Atmosphäre ist entspannt. Im Hintergrund läuft Musik, alle Teilnehmer arbeiten konzentriert. „Traut euch an die Farbe ran. Nur das Gesicht muss bis zum Schluss Weiß bleiben“, rät Melzner. Und was, wenn man irgendwie falsch malt? „Mit der Acrylfarbe kann man sehr gut schummeln“, sagt Theresa Braun. „Wenn man alle Schritte mit der Gruppe macht, kann man gar keinen Fehler machen.“ Der Hintergrund geht den Teilnehmerinnen relativ leicht von der Hand, schwieriger in der Gestaltung ist der Blumenhut und das Oberteil des Mädchens: ein Pullover mit Sternen.
Ähnliche Geschäftsmodelle in anderen Städten

Das Geschäftsmodell Malabend ist nicht neu: In den USA gibt es seit 2012 PaintNite. Das Unternehmen setzt laut Medienberichten jährlich mehr als 60 Millionen Dollar um. Die Homepage ist fast identisch mit dem deutschen Nachahmer ArtNight, nur die Motive sind anders. Auch in Deutschland wächst die Zahl der Anbieter: aus München kommt ArtMasters, ebenfalls in vielen deutschen Städten buchbar, in Köln und Frankfurt gibt es Painting Partys.
Sie sei schon fast ArtNight süchtig, sagt Claudia Röder. „Mein erstes Bild war der Lebensbaum. Es macht mir so viel Spaß, den Alltag hinter mir zu lassen und beim Malen zu spüren, dass das Leben ist bunt.“ Fünfmal war sie bereits bei einem solchen Workshop dabei. Auch Kathrin Mengert ist Wiederholungstäterin. Sie findet es toll, dass beim Malen auch mal gelacht wird. „Man kann seinen Gefühlen freien Lauf lassen.“
Etwas Eigenes schaffen

Nun fehlt beim Blumenmädchen noch der letzte Schliff: Mund, Augen, Nase. „Dazu nehmt ihr jetzt den feinen Pinsel und haltet ihn am besten quer“, erklärt Vanessa Melzner. Die Kursleiterin geht immer wieder herum und gibt Tipps, einen Malkurs ersetzt die ArtNight aber nicht. „Wir zeigen schon, wie man etwas schattiert oder die Nass-in-Nass-Technik, aber es geht nicht in die Tiefe“, so Melzner. Ihr Ziel: Jeder soll zufrieden nach Hause gehen. Einkalkuliert fürs Malen sind zwei Stunden, doch meistens dauert es ein bisschen länger. „Wichtig ist uns das Gefühl zu vermitteln, dass man die Zeit sinnvoll verbracht und etwas Eigenes geschaffen hat.“
Nach etwas mehr als zwei Stunden sind alle Bilder fertig. Einige haben völlig andere Farben gewählt, die meisten sind dem Original treu geblieben. Jedenfalls ist jede Künstlerin stolz auf ihr Werk. Alle Bilder werden fotografiert und ein kurzes Video für Instagram gedreht. Carola Wagner hat noch nicht genug, sie überlegt bereits, welche ArtNight sie als demnächst bucht, vielleicht „Northern Light“ oder „Alte Mainbrücke.“
Eine ArtNight kann man buchen unter www.artnight.com.
Man gibt einfach Würzburg ein und bekommt die nächsten freien Termine angezeigt, zum Beispiel „ArtNight-Löwe“ am 29. Oktober oder „Tänzerin“ am 5. November. Pro Person bezahlt man 34 Euro, das Mal-Material und die Leinwand sind im Preis enthalten.