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Würzburg/Aschaffenburg
Anika Magath über geschichtsträchtige Wege im Spessart und am Main
Hier steckt Geschichte in der Landschaft! Mehr als 100 Kulturwege gibt es in der Region schon. Historikerin Anika Magath erklärt, wo und wieso sich das Erwandern lohnt.
Mehr als 100 Kulturwege von Altenbuch bis Wörth, von Alzenau bis Winterhausen schon.
Foto: Magath/ASP | Mehr als 100 Kulturwege von Altenbuch bis Wörth, von Alzenau bis Winterhausen schon.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 11.02.2024 09:43 Uhr

Vor 20 Jahren ist in Frammersbach der erste Kulturweg in der Region eröffnet worden. Mehr als 100 sind seitdem – betreut vom Archäologischen Spessart-Projekt e.V. (ASP) – dazugekommen. Die Historikerin Dr. Anika Magath hat in ihrer Dissertation am Unterfränkischen Institut für Kulturlandschaftsforschung an der Uni Würzburg aufgearbeitet, was den Verein umtreibt: das Verhältnis von Mensch zu Landschaft. Ein Gespräch mit der 35-jährigen Stadtheimatpflegerin von Aschaffenburg über menschliche Eingriffe – und die Geschichte am Wegesrand.

Frage: Frau Dr. Magath, was macht einen Weg zum Kulturweg?

Dr. Anika Magath: Ein Kulturweg macht die Geschichte, die in der Landschaft steckt, sichtbar. Doch für das Projekt der Europäischen Kulturwege ist nicht nur der Wanderweg mit seinen Informationstafeln und den blauen Markierungen mit dem gelben EU-Schiffchen von Bedeutung. Sondern auch der Weg zum „Kulturweg“: Die Beteiligung der Menschen vor Ort und ihr „Input“ sind ganz wesentlich. Gemeinsam mit der Bevölkerung Landschaftsgeschichte entdecken und erforschen und dann erzählen – das macht einen Weg zu einem Kulturweg. Das geknüpfte Netzwerk mit den Menschen am Weg macht das Projekt einzigartig und besteht nach der Eröffnung des Weges ja auch weiter.

Geschichte, die in der Landschaft steckt – welche Prägungen durch den Menschen sind denn am offensichtlichsten, heute noch?

Magath: Natürlich sind jüngere „Einträge“ in der Regel deutlicher im Landschaftsbild verhaftet. Sichtbar bleibt vor allem auch das, was die Menschen erhalten wollen. Allerdings nimmt man menschliche Einflussnahmen nur dann wahr, wenn man weiß, in welchen Zusammenhängen sie entstanden sind oder wie sie sich erkennen lassen. Zu den offensichtlichen Elementen und Strukturen in einer Kulturlandschaft gehören Verkehrswege. Mobilität spielte und spielt für die Menschen eine zentrale Rolle, dafür benötigen wir eine Infrastruktur. Historische überregionale Verkehrswege für den Personen- und Warenverkehr wie die Birkenhainer Straße oder der Eselsweg haben heute als Fernwanderwege eine neue Funktion erhalten. Und Hohlwege zeugen davon, wie stark bestimmte Trassen frequentiert wurden. Auf der B 8 von Aschaffenburg in den Spessart führt der Weg zum Beispiel über die ehemalige Poststraße. Obwohl es die Poststationen in der ursprünglichen Funktion nicht mehr gibt, haben sich dort häufig noch Wirtshäuser mit dem Namen „Zur Post“ erhalten.

Dr. Anika Magath stammt aus Aschaffenburg und hat an der Universität Würzburg Geschichte und Europäische Ethnologie studiert. Seit 2018 ist sie Mitarbeiterin des Archäologischen Spessart-Projekt und dazu Stadtheimatpflegerin in Aschaffenburg. 
Foto: Iris Exner | Dr. Anika Magath stammt aus Aschaffenburg und hat an der Universität Würzburg Geschichte und Europäische Ethnologie studiert.
Und welche Veränderungen und Eingriffe des Menschen erkennt man heute gar nicht mehr als solche – sondern denkt, sie seien natürlich?

Magath: Im Lied des Wanderverbands Spessartbund heißt es, der Spessart sei dort, „wo die Eichen trotzig ragen“. Dabei sind die Eichen im Spessart bewusst von Menschen kultiviert worden, nicht zuletzt für die Eichelmast. Ohne den Einfluss durch den Menschen würde die eigentlich dominantere Buche die Eichen im Spessart verdrängen.

Also ist die „Natur“ vielmehr Kultur?

Magath: Ob es sich um eine Natur- oder um eine Kulturlandschaft handelt, das ist eine Frage der Wahrnehmung und der Interpretation. Seit den 1950er Jahren ging eine landwirtschaftliche Kultivierung im Spessart, auch die von Wiesen, mehr und mehr zurück. Damit veränderte sich aber gleichzeitig ein zuvor von Menschen beeinflusster Lebensraum, der bis dahin ein ideales Umfeld für eine bestimmte Tier- und Pflanzenart geboten hatte. Mit den „Spessartwiesen“ bei Frammersbach ist 2001 ein Naturschutzgebiet ausgewiesen worden. Geschützt wird dabei das Ergebnis einer landwirtschaftlichen Kultivierung und ein dabei entstandenes Ökosystem, dessen Existenz von der Pflege und dem Schutz derjenigen abhängig ist, die es geschaffen haben. Wiesen im Spessart, auch wenn sie von vielen als Naturlandschaft wahrgenommen werden, sind in der Regel durch Rodung entstanden. Und sie können nur durch kontinuierliche Pflege erhalten werden, sonst erfolgt eine Verbuschung oder der Wald erobert sich die Wiese nach und nach zurück.

Wie also sähe unsere Region ohne uns aus?

Magath: Landschaften ohne menschliche Einflussnahme gibt es heute nicht mehr. Ohne diesen Einfluss wäre der Spessart eine reine Waldlandschaft.

Wie hat sich unser Verhältnis zur Landschaft verändert? Was ist heute anders als früher?

Magath: Im Verlauf des 18. Jahrhunderts hat – nicht zuletzt im Kontext der Landschaftsmalerei – die Wahrnehmung einer Landschaft als schöne Landschaft zunehmend an Bedeutung gewonnen. Und damit deren „ästhetische Ressourcen“. Auch die Wahrnehmung als heimatliche Landschaft, als Identifikationsraum mit vertrauten und möglichst beständigen Landschaftsbildern, hat im Verlauf des 19. Jahrhunderts eine größere Rolle gespielt. Und im 20. Jahrhundert bestimmten mehr und mehr Natur- und Landschaftsschutzkonzepte das Verhältnis zur Landschaft und den Umgang mit ihr. Was beständig bleibt, ist, dass unterschiedliche Nutzungsansprüche, Wahrnehmungen und unterschiedliche Vorstellungen davon, wie Landschaft sich entwickeln soll, häufig miteinander kollidieren können. Das macht Landschaften immer auch zu Konfliktfeldern. Daher gilt: Um die gegenwärtige Landschaft nachvollziehen und sinnvoll entwickeln zu können, muss man ihre Geschichte kennen.

Heute gilt der Spessart als Naturschatz und „Freizeit-Naherholungsgebiet“ für Großstädter aus Frankfurt . . .

Magath: Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist der Spessart mehr und mehr als Erholungsraum, aber auch als ästhetische und eine heimatliche Landschaft entdeckt worden. Die Heimatschutzbewegung, die sich im Zuge der Industrialisierung entwickelt hat, idealisierte und romantisierte den ländlichen Raum in Abgrenzung zum „Moloch Stadt“. Und sie legte damit eine Grundlage für den „Urlaub auf dem Land“, der noch heute mit pittoresk anmutenden Bildern verknüpft wird. Die Vereinsmitglieder der Wanderbewegung haben sich zunächst vor allem aus bildungsbürgerlichen und städtischen Kreisen rekrutiert. Sie haben den Spessart als Freizeitlandschaft entdeckt, in dem sie sich wandernd mit seiner Kultur, Natur und Geschichte auseinandersetzten. Mit der Etablierung eines markierten Wanderwegenetzes und dem Errichten von Ruhebänken oder Aussichtstürmen möblierten sie den Spessart gleichzeitig mit einer touristischen Infrastruktur.

Also alles ein Ergebnis von Romantisierung?

Magath: Um Kultur zu erleben fährt man in die Stadt, um Natur zu erleben in den ländlichen Raum. Diese Vorstellung gibt es heute häufig. Wie viel Geschichte und Kultur aber in einer Landschaft stecken kann, beweisen die Kulturwege.

115 Routen hat das Kulturwege-Projekt schon! Waren so viele ursprünglich geplant? Wie viele wird es noch geben?

Magath: Als der erste Kulturweg vor 20 Jahren in Frammersbach eröffnet wurde, haben die Initiatoren des Projekts im Spessart, Dr. Gerhard Ermischer und Dr. Gerrit Himmelsbach, sicherlich nicht damit gerechnet. Die Einweihung des 100. Kulturwegs in Waldbüttelbrunn bei Würzburg im Jahr 2018 hat gezeigt, dass das Konzept der Europäischen Kulturwege funktioniert. Was die Zahl angeht, sind wir nach oben offen, aber auch dabei, ältere Kulturwege zu überarbeiten, mit neuem Wissen zu ergänzen und mit neuen Möglichkeiten zu modernisieren.

Unverkennbar: Hier geht es einen Kulturweg entlang.
Foto: Sabine Weinbeer | Unverkennbar: Hier geht es einen Kulturweg entlang.
Welche werden die nächsten sein?

Magath: Gerade sind wir mit Arbeitsgruppen an Kulturwegen in Alsberg, in Hutten und in Münnerstadt.

Was braucht ein Weg unbedingt, um dabei zu sein? Wie entstehen die Routen? Müssen es „historische“ Wege sein?

Magath: Jeder Kulturweg entsteht in einer Arbeitsgruppe, die sich aus Ehrenamtlichen der Gemeinden vor Ort zusammensetzt und die vom Archäologischen Spessart-Projekt ASP betreut wird. Gemeinsam werden in einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren Themen ausgewählt und recherchiert sowie eine Route festgelegt. Was eine Kulturlandschaft prägt ist vielfältig: dazu gehört nicht nur die lokale Geschichte, sondern auch Geologie, Archäologie, Biologie sowie Forst- und Landwirtschaft. Und nein, die Wege müssen nicht „historisch“ sein. Denn eine Auseinandersetzung mit Kulturlandschaften schließt immer auch die gegenwärtige und eine zukünftige Entwicklung der Landschaft mit ein.

Was zeichnet die beiden Wege bei Giebelstadt und im Taubertal aus, zu denen es im Oktober Führungen gibt?

Magath: Mit der Führung auf dem Kulturweg Giebelstadt 1 kann man sich auf Spurensuche im Ochsenfurter Gau begeben und lernt auch Sulzdorf und Ingolstadt sowie die Adelsfamilien Zobel und Geyer mit ihren Schlössern kennen. Auf dem Kulturweg „Vom Burgensaal zum Klosterglanz – beim Hollebaum und Pfeiferhans“ gehören das Kloster Bronnbach, die Gamburg und das Peifermuseum in Niklashausen zu den Höhepunkten.

Welches ist der schönste Kulturweg?

Magath: Diese Entscheidung muss jede Wanderin und jeder Wanderer alleine treffen – am besten nach intensiver Prüfung aller Kulturwege.

Dann mal los. Welches ist der kürzeste?

Magath: Der kürzeste Kulturweg ist mit zwei Kilometern der „Römerspaziergang“ in Obernburg.

Welches der längste?

Magath: Der Kulturweg „Gnodstadter Dreieck“ verlangt mit einer Länge von 15 Kilometern ein wenig mehr Ausdauer. Ein paar Kulturwege sind als Radwege konzipiert worden, beispielsweise das Kurmainzer Herz mit einer Länge von 35 Kilometern.

Der schönste Kulturweg im Herbst?

Magath: Für den Herbst sind die beiden Kulturwege in Großheubach ideal, denn der Markt ist für seine vielen Häckerwirtschaften berühmt, ideal zum Einkehren nach der Wanderung. Oder man lernt bei sonnigem Herbstwetter den Kulturradweg Bütthard kennen.

Der schönste Kulturweg im Winter?

Magath: Im Winter lohnt sich ein Ausflug auf dem Kulturweg Esselbach „Poststraße und Milchstraße“. Der Weg führt größtenteils durch eine offene Landschaft und ist besonders schön, wenn sie verschneit ist.

Und was ist Ihr Lieblingskulturweg?

Magath: Vielleicht der Kulturweg Aschaffenburg Strietwald. Da bin ich aber wohl etwas parteiisch, denn dort bin ich aufgewachsen.

Und wenn jemand auf dem Weg nur wandern will und nichts über Geschichte lernen, ist das . . .

Magath: . . . vollkommen in Ordnung, da drückt das Archäologische Spessart-Projekt ein Auge zu!

Die Kulturwege

Das Archäologische Spessartprojekt e.V. (ASP) ist Verein, gegründet 1998.  Er hat heute neben vielen ehrenamtlichen Helfern vier fest angestellte Mitarbeiter für wissenschaftliche Forschung, die Entwicklung der Kulturwege und die zahlreichen Projekte.  Das ASP widmet sich der Forschung, Vermittlung und Pflege der Kulturlandschaft Spessart.
Die Kulturwege sind  das Aushängeschild des Archäologischen Spessartprojekts. In Zusammenarbeit mit vielen Partnern und Sponsoren, allen voran dem Spessartbund, und mit den Menschen der Region entsteht seit 1999 ein immer dichteres Netz von Kulturwegen, auf denen die Kulturlandschaft Spessart erlebbar und begreifbar wird. Zu jedem Kulturweg erscheint ein Folder mit einer Wegbeschreibung und Kurzbeschreibung der Stationen.
Info und Kontakt: magath@spessartprojekt.de
Tel.: 06021-584032-2
Buchtipp: Anika Magath: „Der Spessart als Kulturlandschaft. Blickwinkel auf eine Kulturlandschaft und das Projekt der Europäischen Kulturwege“, Aschaffenburg 2020
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