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REGION WÜRZBURG
Liebesgrüße aus Moskau
Von unserem Mitarbeiter FELIX MOCK
 |  aktualisiert: 03.07.2017 03:23 Uhr

„Ich lebe ja quasi nur um die Ecke“, beschreibt Toni Michel seinen derzeitigen Lebensmittelpunkt. Das ist schon eine arg positive Sichtweise angesichts der 2243 Kilometer zwischen Moskau und seinem Heimatort Wolkshausen (Lkr. Würzburg). „Wenn ich nach Hause möchte, setze ich mich in den Flieger und bin innerhalb von fünf Stunden bei meiner Oma.“ Insofern hat der 25-jährige Student nicht Unrecht. Die Welt sei eben sehr klein geworden, meint Michel.

Seit August 2015 studiert der Unterfranke „Politics and Economics in Eurasia“ am Staatlichen Moskauer Institut für Internationale Beziehungen. Eine prestigeträchtige Universität in der russischen Hauptstadt, zu deren Alumni die derzeitigen Außenminister Russlands, Armeniens, Bulgariens, der Slowakei und der bulgarische Premierminister zählen. Eine echte Talentschmiede, in die Michel, wie er sagt, eher „spontan reingerutscht“ sei.

„Die russische Grammatik ist der deutschen sehr ähnlich.“
Toni Michel über Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Nach seinem Bachelorstudium in Passau knüpfte Michel über Aufenthalte in Vilnius Kontakte zu einigen Weißrussen, die ihn nach Minsk einluden. Angefeuert durch die Ukrainekrise 2014, entflammte in dieser Zeit die Faszination für Osteuropa beim politikbegeisterten Michel. Das Masterstudium in Russland zu absolvieren, erscheint da beinahe als logische Konsequenz. Auch, weil „Moskau die billigste Uni war.“ Die Studiengebühren für sein zweijähriges Studium musste Michel selbst berappen – dennoch seien die Kosten im internationalen Vergleich eher günstig.

Trotz seines Interesses an Osteuropa sei der Schritt nach Moskau für den damals 23-Jährigen ein „Riesensprung ins ganz, ganz kalte Wasser“ gewesen. Das kyrillische Alphabet beherrschte er zwar schon etwas, trotzdem sei er mit „erbärmlichem Schrottrussisch“ über den Roten Platz gestolpert. Mit der Zeit und vor allem aufgrund eines intensiven Sprachkurses fand sich Michel immer besser zurecht.

Bei der Sprachbarriere sei er als Deutscher im Übrigen sogar im Vorteil. Die drei weiteren Kursteilnehmer – ein Chinese, ein Franzose und ein US-Amerikaner – hätten deutlich mehr Probleme mit der russischen Sprache. „Es klingt komisch, aber die russische Grammatik ist der deutschen sehr ähnlich.“ Auch sonst gleichen sich Russen und Deutsche in vielerlei Hinsicht. Das Spannendste sei für Michel gewesen, als die Zeit den Schleier des großen Mysteriums Russland lüftete. „Je länger ich hier lebe, desto mehr merke ich, dass wir gar nicht so verschieden sind.“ Dennoch gebe es natürlich Unterschiede in der Mentalität. Etwas befremdlich wirken anfangs der stark ausgeprägte Nationalstolz sowie das russische Selbstbewusstsein und die Direktheit. Vergisst der Busfahrer beispielsweise die hintere Tür in einem vollen Bus zu öffnen, sei es nicht unüblich, selbigen über alle Köpfe hinweg anzuschreien, um ins Freie zu kommen.

„Wenn Russen das Gefühl haben, dass man auf sie herunter schaut“, schildert Michel weiter, „das mögen sie gar nicht.“ Zu tief sitze der Stachel der Demütigung, die die große Nation im Zuge der NATO-Osterweiterung in den 90ern erfahren habe. Ansonsten könne die russische Bevölkerung aber sehr gut zwischen Geschichte und der heutigen Zeit trennen.

„Die Babuschkas sind die Chefs im Alltag. Vor denen spurt jeder, egal wie alt.“
Der 25-Jährige über die Respekt einflößenden älteren Frauen

In seinen knapp zwei Jahren in Europas größter Stadt habe er sich kein einziges Mal feindselige Sprüche aufgrund seiner Nationalität anhören müssen, obwohl das Erbe des Weltkrieges allgegenwärtig ist. „Es war eine riesige Überraschung für mich, welch positives Image Russen von Deutschland haben.“ Die einzigen Personen, die sich in Russland auch mal harsch verhalten, seien die „Babuschkas“. Die älteren russischen Frauen „sind die absoluten Chefs im Alltag. Vor denen spurt jeder, egal wie alt.“

Michels Oma in Wolkshausen ist natürlich nicht allzu begeistert, dass ihr Enkelkind so weit weg lebt. Daran wird sich aber so schnell nichts ändern. Zwar schließt der 25-Jährige sein Studium Ende Juli ab, danach will er jedoch einen Tutorjob an der Universität annehmen. „Ich befinde mich noch in der Entdeckungsphase und will erst einmal in Russland bleiben. Es gibt hier noch viel zu sehen.“

Heimweh hat der Unterfranke eher weniger, auch wenn er Omas Kochkünste manchmal vermisst. Wenn Michel dann etwa zwei Mal im Jahr die hektische Metropole gegen das idyllische Dorf Wolkshausen eintauscht, seien Ruhe und Platz neben der Familie die schönsten Dinge. Aber auch von Russland aus ist der 25-Jährige stets mit seinen Liebsten verbunden. Oma bekommt die Liebesgrüße aus Moskau dann eben per Internet-Telefonie über das Smartphone – das Michels Vater dann schnell zu Oma rüber trägt. Das Dorfleben hat eben auch seine Vorteile.

 
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