Sind neue Baugebiete tatsächlich ein Allheilmittel gegen überalterte Dörfer? Oder beschleunigen sie die Landflucht letztlich sogar? Eineinhalb Jahre hat sich die kommunale Allianz „Fränkischer Süden“ aus 14 Kommunen im südlichen Landkreis Würzburg eingehend mit dieser Frage beschäftigt.
Für Robert Bromma vom Amt für ländliche Entwicklung steht am Ende fest: Nur um einen lebendigen Ortskern gedeiht ein lebendiges Dorf. Es geht also darum, Leerstände zu beseitigen und Baulücken zu schließen, statt durch neue Siedlungsgebiete einer Verödung der Dorfzentren weiter Vorschub zu leisten.
In einer Innenentwicklungsstudien hat das Schweinfurter Architekturbüro Perleth Potenzialflächen und Baulandbedarf in den 14 Mitgliedskommunen gegenübergestellt. Zur Abschlusspräsentation waren alle Bürgermeister und Gemeinderäte zu einer gemeinsamen Sitzung eingeladen. Und weil es für knapp 200 Personen kaum geeignete Sitzungssäle gibt, hat man sich das Ochsenfurter Casablanca-Kino als Tagungsstätte ausgesucht.
Das Ergebnis der Studie zeigt klar: Schon heute übersteigt das Angebot an Baulücken und Leerständen den Bedarf an neuem Bauland in den meisten Gemeinden erheblich. Über alle 14 Mitgliedskommunen gerechnet stehen einem Baulandbedarf von 70 Hektar 112 Hektar erschlossene Entwicklungsflächen gegenüber, sagt Stadtplanerin Christiane Wichmann, die die Studie erarbeitet hat.
Darunter sind 226 leer stehende Wohngebäude und 74 nicht mehr genutzte Hofstellen. Zählt man die Leerstandsrisiken hinzu, also Wohngebäude, deren Bewohner mindestens 70 Jahre alt sind, dann steht zu befürchten, dass sich die Zahl der Leerstände in den nächsten zehn bis 15 Jahren verdreifacht.
Lediglich Giebelstadt sticht aus dem Vergleich der 14 Gemeinden heraus. Dort hat Christiane Wichmann tatsächlich einen zusätzlichen Baulandbedarf ausgemacht, der durch die Aktivierung von Leerständen und Baulücken allein nicht zu decken ist. Im Gegensatz dazu stehen Gemeinden wie Bieberehren, Riedenheim oder Geroldshausen, wo der Baulandbedarf nach Berechnung des Landesamts für Statistik sogar rückläufig ist. In Röttingen wiederum ist der Baulandbedarf derzeit noch größer als das Angebot. Dafür sei dort das Leerstandsrisiko besonders hoch.
In Ochsenfurt und seinen Stadtteilen liegt der Baulandbedarf bei 27 Hektar. Dem stehen erschlossenen Potenzialflächen von 53 Hektar gegenüber. Ist die Ausweisung neuer Siedlungsgebiete, zu der sich etwa die Stadt Ochsenfurt aktuell anschickt, also ein Irrweg?
Planerin Christiane Wichmann warnt vor voreiligen Schlüssen. Wie auch in der Studie müsse jeder Ortsteil detailliert betrachtet werden.
Und auch der vollständige Verzicht auf neue Baugebiete könne nicht die Lösung sein, meint Bütthards Bürgermeister Edwin Gramlich. Nicht jeder Bauwillige sei bereit, einen Altbau zu sanieren, warnt er. Gerade um junge Familien am Ort zu halten, sei ein angemessenes Angebot an Bauplätzen deshalb unverzichtbar.
Dass solche Bauplätze oft viele Jahre lang brach liegen und leer stehende Gebäude nicht zum Verkauf angeboten werden, ist ein weiteres Problem – vielleicht sogar das größte, wie Gramlich meint. Viele Eigentümer sparen ihr Vermögen für künftige Generationen auf. Die schlechten Zinsen für Geldanlagen begünstigen diese Entwicklung zusätzlich. Hinzu kommen schwierige Eigentumsverhältnisse, wenn etwa große Hofstellen im Besitz von Erbengemeinschaften sind und sich unter deren Mitgliedern kein Einvernehmen über den Verkauf erzielen lässt.
„Da muss jemand den Hintern in der Hose haben, eine solche Eigentümergemeinschaft aufzulösen“, so Gramlich. Auch Robert Bromma vom Amt für ländliche Entwicklung warnt vor übertriebenem Besitzstandsdenken. Eine schleichende Verödung der Ortskerne führe auch zu einer Entwertung von Immobilien und Grundstücken, sagt er. Einer kleinen Rendite, die heute noch mit dem Verkauf zu erzielen sei, stehe dann möglicherweise in ein paar Jahren eine Negativ-Rendite gegenüber.
Im Rahmen der Studie waren Eigentümer von Potenzialflächen nach ihren Absichten befragt worden. Über die Hälfte seien nicht verkaufsbereit, so Christiane Wichmann, aber nur ein 21 Prozent der Eigentümer hätten dafür tatsächlich Eigenbedarf geltend gemacht. Mehr als die Hälfte der Befragten hätten hingegen den Wunsch nach gezielter Beratung geäußert.
Auch übertriebene Preisvorstellungen seien in manchen Fällen ein Verkaufshindernis, weiß der Giebelstadter Bürgermeister und Allianzsprecher Helmut Krämer. Oft sei ein leer stehendes, altes Haus gerade soviel wert wie das Grundstück minus den Abbruch. Krämer setzt deshalb auf Überzeugungsarbeit.
In Giebelstadt ist es bereits gelungen, Eigentümer zum Verkauf ihrer Baulücken zu bewegen. Die ersten Neubauten stehen dort bereits. Eine kostenlose Fachberatung für Investitionswillige, ist auch das Mittel, auf das Christiane Wichmann setzt. Viele Eigentümer könnten sich nicht vorstellen, wie sich beispielsweise eine alte Hofstelle kostengünstig in ein modernes Wohnhaus verwandeln lässt.
Aus Sicht der Kommunen stellen ungenutzte Gebäude und Grundstücke ein Problem dar, weil dafür Infrastruktur in Form von Straßen und Erschließung vorgehalten werden muss. Der Kirchheimer Bürgermeister Björn Jungbauer wünscht sich deshalb fiskalische Steuerungselemente wie eine Infrastrukturabgabe oder gar eine neue Grundsteuer C auf brach liegende Flächen. Von einer solchen Steuer sei der Gesetzgeber aber noch weit entfernt, wie der Landtagsabgeordnete Volkmar Halbleib meint.
Noch steht der südliche Landkreis im Vergleich zu anderen Regionen in Unterfranken gut da, meint Allianzsprecher Krämer. Grund zur Entwarnung sei dies aber keineswegs. „Unsere Schmerzgrenze ist zwar noch nicht erreicht, aber am besten, man tut etwas, bevor es richtig weh tut“, so Krämer.