Erwartungsvoll sind im Sitzungssaal am Amtsgericht Würzburg 20 Augenpaare auf die Eingangstür gerichtet, der Zeiger der Uhr rückt voran. Kommt die ungewöhnliche Angeklagte - oder kneift sie?
Die Amtsrichterin, ihre Protokollführerin und die Staatsanwältin warten gespannt. Auch ein gutes Dutzend Jurastudentinnen und Jurastudenten versprechen sich von dem kleinen Fall große Erkenntnisse für ihr Berufsleben: Es kommt ja nicht häufig vor, dass eine Anwältin - sozusagen in Selbstverteidigung - vor das Amtsgericht muss, weil sie fremdes Eigentum nicht herausrücken wollte.
Eine Ermittlungsakte vom Amtsgericht Würzburg, die nicht wiederkommt
Die Juristin kommt aus dem hessischen Main-Kinzig-Kreis, geduldig ruft die Richterin über Lautsprecher das Verfahren mehrfach auf. Die Angeklagte lässt weiter auf sich warten.
Genau dies hat sie laut der Staatsanwältin auf die Anklagebank gebracht: Die 50-jährige Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht hatte eine Mandantin wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort vertreten. Um die Verteidigung vorzubereiten, bat sie das Amtsgericht Würzburg zu Jahresbeginn um die Ermittlungsakte – gab diese dann aber einfach nicht zurück.
Wiederholte Mahnungen - ohne Erfolg
Wochenlang musste der Vorgang warten. Die Juristin wurde im Februar wiederholt gemahnt, versprach die Akte ans Gericht zurückzusenden – und tat nichts.
Nach immer drängenderen Erinnerungen antwortete sie im März: Die Unterlagen müssten längst auf dem Postweg unterwegs sein. Doch sie kamen weiter nicht an. Ende März die erneute Erinnerung. Nun lautete die entschuldigende Version: Wegen eines Trauerfalls sei sie nicht dazu gekommen. Die Akten lägen noch in ihrem Auto.
Mit Durchsuchung gedroht - und am Ende ein Strafbefehl
Nun drohte die Richterin mit Durchsuchung der Kanzlei, um die Dokumente zu bekommen. Erst als im April eine Polizeibeamtin bei der Anwältin klingelte, rückte diese das fremde Eigentum heraus – und kassierte einen Strafbefehl für die Unterschlagung: 40 Tagessätze zu 65 Euro.
Die Anwältin legte Protest ein gegen den Strafbefehl, deshalb kam es nun zum Prozess. Richterin Marie-Theres Hess wartet an diesem Morgen gespannt auf Erklärungen, immer wieder bittet sie per Mikrofon in den Gerichtssaal. Doch die Anwältin macht das gleiche wie zuvor: Sie lässt andere warten.
Richterin hält Vorlesung statt Verhandlung
Das Amtsgericht wahrt die Form, gibt eine Frist von 15 Minuten. Richterin Marie-Theres Hess macht aus der Not eine Tugend und gibt den eifrig nachfragenden Jurastudierenden eine Lehrstunde aus der Praxis. Die Angeklagte, die sich selbst verteidigt, könnte ja aufgehalten worden sein auf den 100 Kilometern nach Würzburg. Oder den richtigen Sitzungssaal noch suchen.
Am Ende ist aller gute Wille vergebens. Die Anwältin kommt nicht, und das kommt sie teuer: Ihr Protest wird verworfen, der Strafbefehl über 2600 Euro rechtskräftig – und eine Nachricht an die Anwaltskammer fällig. In der könnte ein Satz des Historikers und Aphoristikers Michael Richter stehen: "Warten ist passives Beeilen".
Der müßte um einiges höher ausfallen.
Gruß Klaus Habermann ! ! !
Übrigens nur noch ein kleiner Hinweis zur Orthografie: es muss übrigens "seid" heißen, nicht "seit"...
Wo bleibt die digitale Akte?
Das würde so Vieles beschleunigen.
Digitalminister, Justizminister, Ihr seit gefragt! Haut mal in die Tasten, FDP.
Jetzt könntet Ihr mutieren von der Verhinderungs- zur Fortschrittspartei, die ihr zu sein vorgaukelt.