Ihr Schuhwerk verrät sie, die Leute, die an diesem Nachmittag zur Erstbegehung des im Entstehen begriffenen Kulturweges schreiten wollen, der Winterhausen, Goßmannsdorf und Sommerhausen umfasst. Mehr als 20 Personen gesellen sich am Winterhäuser Mainufer zu Projektbetreuer Gerrit Himmelsbach. Alle haben Wanderschuhe an. Alle, bis auf Werner Luksch. Aus Gründen der Bequemlichkeit ist er in Plastiklatschen zum Treffpunkt gekommen.
Aber Luksch hat etwas, das für das Projekt genauso wichtig ist wie festes Schuhwerk: ausführliche Kenntnis der Winterhäuser Ortsgeschichte. Denn der Kulturweg, ein Projekt der interkommunalen Allianz Maindreieck, soll den Wanderern die verborgenen Schätze der drei Orte zeigen. Wie berichtet, hatten sich interessierte Bürger bei verschiedenen Arbeitstreffen Gedanken über den möglichen Wegverlauf und die zu besichtigenden lokalen Besonderheiten gemacht.
Gerrit Himmelsbach, Geschäftsführer des Archäologischen Spessartprojekts und Mitgestalter von annähernd 100 Kulturwegen, hatte damals die Route in eine Karte eingezeichnet. Doch nur der Praxistest kann zeigen, ob sich die Idee wie geplant verwirklichen lässt. Genau deshalb stehen die kulturbegeisterten Wanderer aus den drei Orten nun gestiefelt und gespornt am Mainufer.
Die Teilnehmer aus Winterhausen haben schon ganz konkrete Pläne. Ihre Wegführung durch verborgene Gässchen im Altort gewährt Einblicke, die auch der eine oder andere Ortskundige vielleicht noch nicht kannte. Kaum hat die Gruppe das Dorf in Richtung Süden verlassen, tun sich die ersten lohnenden Ausblicke ins Maintal und auf die gegenüberliegenden Hänge auf.
Weiter oben am Mondweg, wo die „Mondguckerin“ aus Stein in die Ferne blickt, da könnten sich die Winterhäuser eine Info-Tafel vorstellen. Vielleicht etwas zum Wandel in der Kulturlandschaft, denn an dieser Stelle enden die Weinberge und beginnen die Magerrasenflächen.
Kaum ist die kurze Pause beendet, da setzen sich Wanderer auch schon gehörig in die Nesseln: Sie haben, um den insgesamt 15 Kilometer langen Weg ein wenig abzukürzen, den direkten Abstieg durch einen Weinberg gewählt, dessen Besitzer gerade arbeitet und der von der unbefugten Nutzung seines Eigentums alles andere als angetan ist.
Der Rüffel wird zur Kenntnis genommen, dann geht es weiter bis zur Gemarkungsgrenze zwischen Winterhausen und Goßmannsdorf. Hier oben hatte Paullo Kraus einst die Überreste einer Schmiede für den Steinbruch ausgebuddelt und liefert die historischen Fakten zu diesem ebenso interessanten wie schönen Ort. Aber Kraus ist nicht der einzige, der alte Geschichten kennt.
Bald schwelgt die Gruppe in Erinnerungen an einen längst verstorbenen Mitbürger, der so etwas wie der Obelix des Maindreiecks gewesen sein muss. Vom gefüllten 50-Liter-Fass bis hin zum Kleinwagen soll es keinen Gegenstand gegeben haben, den dieser denkwürdige Mann nicht heben konnte. Es folgen Erzählungen vom Durschwimmen des Mains zwischen Sommerhausen und Winterhausen, das einzig zum Zwecke des wechselseitigen Obstdiebstahls erfolgte.
Gerrit Himmelsbach genießt derweil die schöne Atmosphäre und fühlt sich angesichts der Ruinen gar an die Toskana erinnert. „Das kommt einem fast schon römisch vor“, sagt er. Die italienische Reise mündet indessen übergangslos in eine Bergtour, denn mit dem Abstieg über den Steinhauerweg schließt sich der hochalpine Teil des Kulturwegs an.
Hier müssen sich die Wanderer auf jeden Schritt konzentrieren, weil der steile Pfad durch den Regen rutschig geworden ist. Von Goßmannsdorf aus geht es über die Mainbrücke und auf der anderen Seite den Steilhang wieder hinauf, auf dem Panoramaweg nach Sommerhausen.
Immer wieder hält die Gruppe an und diskutiert, auch am Terroir-F-Standort bei Sommerhausen. Fast fünfeinhalb Stunden brauchen die Wanderer deshalb für die 15 Kilometer. Die Erfahrungen der Teilnehmer aus dieser Begehung sollen nun in die weiteren Planungen einfließen. Denn noch steht nicht fest, wo letztendlich die sechs Info-Tafeln aufgestellt und welche Themen auf ihnen vertieft werden sollen.
„Man kann nicht alle Ideen aufnehmen“, sagt Allianzmanager Holger Becker. Er findet aber den vorläufigen Arbeitstitel „Sonne, Mond und Steine“ schon recht passend. „Die Sonne für Sommerhausen, der Mond für Winterhausen, und die Steine passen zu allen drei Orten“, sagt er. An Eines glaubt der Allianzmanager schon jetzt: Das Projekt wird eine Außenwirkung erzielen, die weit über die drei Dörfer hinausgeht.