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WÜRZBURG
Kubas afrikanische Wurzeln: Schinderei für den weißen Zucker
Cuba: Corte De Cana. Cutting Sugar Cane, C1910.       -  Romantisch nur auf den ersten Blick: Auf den Zuckerrohrfeldern Kubas wurden Hunderttausende schwarze Sklaven für die Produktion des süßen Stoffes ausgebeutet und geschunden.GETTY IMAGES
Foto: Foto: | Romantisch nur auf den ersten Blick: Auf den Zuckerrohrfeldern Kubas wurden Hunderttausende schwarze Sklaven für die Produktion des süßen Stoffes ausgebeutet und geschunden.GETTY IMAGES
Alice Natter
 |  aktualisiert: 24.05.2016 03:28 Uhr

Europa gierte nach Zucker. Viel Zucker, süß und weiß. Und die Insel dort, am anderen Ende des großen Ozeans, konnte ihn liefern. Üppig wuchsen Maniok, Bohnen und Tabak, Erdnuss, Mais und Ananas auf jenem Eiland, auf dem Kolumbus im Oktober 1492 gelandet war. Eine überquellende Fauna, ein Paradies. Sollte nicht auch Zuckerrohr auf Kuba gut gedeihen?

Schon ein Jahr später, bei seiner zweiten Reise, brachte Kolumbus Stecklinge in die Karibik. Das Klima der Neuen Welt schien sich für die Pflanze bestens zu eignen. Doch dass Zucker nicht wie Tabak von selber wuchs? Dass das Zuckerrohr schwierig zu verarbeiten war und dass es viel Muskelkraft und Schweiß brauchte, um den süßen Stoff zu gewinnen? Den hungrigen, genussversessenen Europäer musste das nicht kümmern. Die Kolonisatoren wussten schon, wie der Zucker und mit ihm Geld und Reichtum zu holen waren.

Ureinwohner ausgerottet durch Krankheiten und Massaker

Die 300 000 Eingeborenen überlebten den Einfall der Spanier auf den Antilleninseln nicht lange. Die eingeschleppte Grippe, Masern und andere Krankheiten, Massaker, Strafexpeditionen und die extreme Zwangsarbeit hatten die ansässigen Indianerstämme in kaum 60 Jahren fast vollständig ausgerottet. Doch man konnte ja Arbeiter bringen – in unerschöpflicher Zahl. 1511 schon brachten die Eroberer die ersten afrikanischen Sklaven nach Kuba. Und ihnen sollten Hunderttausende, Abertausende folgen. Herbeigeschleppt über den Ozean, herausgerissenen aus einer anderen Welt.

Europa-Afrika-Karibik: Lukrativer Dreieckshandel

Der Dreieckshandel war – für die Weißen – ein lukratives Geschäft. Mit Schiffen brachten die Europäer Stoffe und Glas, Waffen und Branntwein an die Küsten Westafrikas. Dort, im Kongo vor allem und in der Beninbucht, tauschten sie Schmuck und Waren gegen „schwarzes Elfenbein“, gegen Sklaven. Dicht und eng beladen überquerten die Schiffe den Atlantik und verkauften ihre menschliche „Fracht“ in den Häfen der Neuen Welt. Die Plantagenwirtschaft mit ihren Monokulturen, die sich auf den eroberten Inseln schnell durchgesetzt hatte, verlangte nach immer mehr, immer neuen Arbeitskräften.

Waren die Sklaven, die die qualvollen vier Monate auf See überlebt hatten, verkauft, dann wurden die Schiffe beladen mit all den Produkten, die Europa begehrte: Tabak und Baumwolle, Kakao und Kaffee. Und Zuckerrohr vor allem, viel, viel Zucker.

Elende Plackerei auf den Feldern

Die 1688 gegründete Royal African Company hatte den Sklavenhandel für England so gewinnbringend organisiert, dass die menschliche „Ware“ beim Verkauf gewöhnlich das Vierfache des Einkaufspreises erzielte. Und die Nachfrage war immens. Eine Lebenserwartung von zehn Jahren hatte ein Sklave noch, wenn er auf eine Plantage kam. Die Arbeit im Zucker war eine elende Plackerei. Das Rohr wuchs schnell, doch musste man sich ständig kümmern. In der Erntezeit wurden die Sklaven noch vor Sonnenaufgang aufs Feld gebracht. Bis Sonnenuntergang mussten sie dann unter sengender Sonne die dicken, bis zu sechs Meter hohen Halme mit schweren Macheten schlagen und auf Ochsenkarren laden. Nachts wurden die Siedeöfen geheizt. Während der Saison schufteten die Sklaven für das Pressen, Mahlen, Kochen des süßen Stoffs fast rund um die Uhr.

Zehn bis 20 Prozent überlebten nach ihrer Verschleppung kaum das erste Jahr. Arbeitsbelastung, Mangelernährung und Krankheiten führten zu dramatischen Sterblichkeitsraten. Und wo das Leben nur noch Leiden war, nahmen sich viele Sklaven selbst das Leben. Sie wählten den Tod – auch weil sie glaubten, dass er sie in die afrikanische Heimat zurückbringen würde.

Als Kuba zum Zuckerzentrum der Welt wurde

Kuba war zuerst gar nicht das Zuckerzentrum gewesen. Die Nachbarinsel, das französische Saint-Domingue, war im 18. Jahrhundert der wichtigste Kaffee- und vor allem Zuckerproduzent weltweit. Mindestens 450 000 Sklaven schufteten im Jahr 1789 dort auf den Feldern, als in Frankreich die Revolutionäre die Menschenrechte proklamierten. Die Hälfte von ihnen war in Afrika geboren. In ihrem Glauben, ihren mitgebrachten Riten und Zeremonien fanden sie in ihrer Zwangsheimat Zusammenhalt – und schöpften Kraft. 1791 rief ein Voudou-Priester auf Saint-Domingue seine Anhänger zum Aufstand auf. Ein zwölfjähriger Freiheitskampf begann, an dessen Ende zerstörte Plantagen, eine ruinierte Wirtschaft stand – und die Unabhängigkeit der Kolonie mit dem neuen, alte Namen Haiti.

Die Plantagenbesitzer flohen. Bis zu 30 000 Einwanderer aus Saint-Domingue kamen zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf die Nachbarinsel Kuba. Die Pflanzer brachten ihr Wissen über die Herstellung des Zuckers mit – und Sklaven. Nach Kuba waren bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts vergleichsweise wenige Afrikaner verschleppt worden. Die, die gebracht wurden, brauchte man für den Bau von Straßen und Häfen, für die Festungsanlagen und zum Viehhüten, im Kupferbergbau und als Haussklaven. Einige wenige hatte man auf die Zuckerfelder geschickt. Die waren in Kuba noch verhältnismäßig klein und versorgten die heimischen Märkte. 20 Sklaven – so hatte es der spanische König für Kuba erlaubt – durften die weißen Herren dort jeweils haben.

Hunderttausende Sklaven aus Afrika nach Kuba verschleppt

Doch die Plantagenbesitzer, die sich aus dem befreiten Haiti retteten, veränderten die Lage. Kuba stieg groß ins Zuckergeschäft ein und beherrschte bald weltweit den Markt. Dafür baute man Fabriken ins Zuckerrohrfeld, stellte große Mühlen auf die Plantagen. Und für die nötige Handarbeit brauchte es – Sklaven, Sklaven, noch mehr Sklaven.

Die Zeit der Massensklaverei begann. Zwischen 1789 und 1820 wurden fast 285 000 Afrikaner über den Atlantik nach Kuba geschleppt und geschmuggelt – gefügig gemacht durch drakonische Strafen. Bis 1867 holte man noch einmal 300 000 Menschen.

Dass die Gegner der Sklaverei im Jahr 1807 als Konsequenz aus der haitischen Revolution zuerst in den englischen Kolonien, dann 1815 auch international das Verbot des Sklavenhandels durchsetzen konnten? Dass England im Jahr 1832 und Frankreich 1848 in ihren Kolonien die Sklavenhaltung verboten? Es änderte nichts an der Situation auf Kuba.

Im Gegenteil, die Befreiung war fern. Spanien unterstützte mehr oder weniger offen den gut organisierten, illegalen Handel mit der menschlichen Ware. So entwickelte sich rund um den imperialen Hafen Havanna die dichteste und effizienteste Sklaverei der westlichen Welt. Bis 1886 bestand das Sklaventum auf Kuba weiter. Nur in Brasilien dauerte es bis zur Abschaffung noch zwei Jahre länger.

Die Schwarzen wahrten ihre kulturellen Wurzeln

Die größte Karibikinsel – sie war jetzt eine „schwarze“ Insel, eine Insel der Afrikaner. Die Verschleppten machten in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Hälfte der Bevölkerung aus. Wohl fast drei Viertel der erwachsenen Männer waren von schwarzer Hautfarbe, viele von ihnen stammten aus den Youruba-Gebieten im heutigen Nigeria. Sozial geknechtet und unterdrückt, doch in ihrer schieren Masse dominierend, beeinflussten und prägten sie die Essgewohnheiten und Kultur, die Musik und Religion rund um die mächtige Metropole Havanna. Wo sie geboren worden waren, hatten die Sklaven alles Materielle zurücklassen müssen. Ihnen blieben die Erinnerungen. Und Rituale und Mythen, Tänze und Gesang. So gut es ging, versuchten die Verschleppten ihre kulturellen Wurzeln zu wahren.

Sprache, Musik und Religion – sie stützten die geschundene Identität zwischen den Zuckerrohren. Und formten in der Karibik eine neue, schwarz geprägte Alltagskultur. Unter dem Druck der spanischen Kolonialherren hatten die Schwarzen in ihrer erzwungenen neuen Heimat formell den katholischen Glauben angenommen. Doch führten sie im Verborgenen ihren ureigenen Glauben weiter und verehrten ihre afrikanischen Götter. Die verschiedenen Glaubensformen aus Afrika verschmolzen, die „Regla de Ocha“ entstand, die Religion der Santería. Die Toten spielten dabei eine besondere Rolle. Durch die Verbindung zu ihnen blieben die Menschen der Zuckerrohrfelder spirituell und eng mit ihrer Heimat, mit Afrika, verbunden.

Mit der Musik in der Diaspora

Die Diaspora im atlantischen Westen ließ die Wurzeln nicht verschwinden. Doch die Traditionen verwischten und mischten sich – mit indianischen, mit denen der Europäer. So trugen die Sklaven und Freigelassenen wesentlich zur Entwicklung der kubanischen Kultur und zum Entstehen des kubanischen Volkes bei. Ihre Feste und Tänze, ihre Musik und Totenkultur der Schwarzen eroberten die kubanische Gesellschaft von den Feldern und aus der Gefangenschaft heraus von unten.

Die letzten Schmuggelschiffe sollten um 1870 in Kuba anlegen, dann war der schmutzige atlantische Menschenhandel vorbei. Als die Sklaverei auf Kuba 1886 aufgehoben wurde, waren die Sklavinnen und Sklaven zwar frei. Aber sie hatten noch keine vollen Bürgerrechte und vor allem kaum Land, um für sich selbst zu sorgen. Sie hatten mit Übergriffen zu kämpfen, mit Diskriminierung im Alltag. Der Religion der Santería haftete das Stigma von schwarzer Magie, Obszönität und Rückständigkeit an. Im Gefühl der Überlegenheit wurde sie von der weiße Oberschicht verachtet.

Erst die kubanische Revolution von 1959 sollte die Lage verbessern – und der afrokubanischen Bevölkerung zu Wohnungen, Arbeit und Ämtern verhelfen. Und wenn heute die Santería-Zeremonien, Trommelshows und ausschweifende Folklorespektakel touristisch vermarktet werden, dann ist das – wenngleich bizarr – auch ein spätes Anerkennen des afrikanischen Erbes.

Buchtipp:

Eine umfassende und umfangreiche, fast 600 Seiten starke Geschichte der Sklaven und der Sklavereikultur auf Kuba hat der Kölner Lateinamerika-Historiker Michael Zeuske geschrieben. „Schwarze Karibik. Sklaven, Sklavereikultur und Emanzipation“, erschienen 2004 im Rotpunktverlag Zürich.
 

Kuba in Fakten

Ländername:

Republik Kuba (República de Cuba)

Klima:

tropisch-feuchtheißes Meeresklima, Durchschnittstemperatur zwischen 21°C im Februar und 37°C im Juli und August, Regenzeit von Mai bis Oktober

Größe:

110 860 km² Fläche, die Hauptinsel ist über 1200 km lang und bis zu 190 km breit

Hauptstadt:

San Cristóbal de La Habana mit 2,1 Mio. Einwohner

Bevölkerung:

11,2 Mio.

Landessprache:

Spanisch

Religion

: 85 % Katholiken und Protestanten, Mehrheit der Bevölkerung offiziell ohne Religionszugehörigkeit

Unabhängigkeit:

seit 1902

Staatsform:

Sozialistische Republik mit Einparteienherrschaft der Kommunistischen Partei Kubas (PCC), oberstes Staatsorgan und de facto Legislativorgan ist der Staatsrat mit 31 Mitgliedern, daneben gibt es als oberste Exekutive den Ministerrat

Staatsoberhaupt:

Raúl Castro Ruz, Präsident des Staats- und des Ministerrats sowie Erster Sekretär der einzig zugelassenen Kommunistischen Partei Kubas (PCC)

Parlament:

Eine Kammer, Nationalversammlung der Volksmacht mit 614 Sitzen, die nur zwei Mal jährlich für zwei Tage tagt

Monatseinkommen:

durchschnittlich knapp 26 US-Dollar (640 Pesos) QUELLE: AUSWÄRTIGES AMT

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