Die Woche hatte mit zwei bayerischen Abenden – mit „The Notwist“ und Georg Ringsgwandl – begonnen. Dann hatte Jürgen Königer, der künstlerische Leiter des Hafensommers, eine musikalische Weltreise in fünf Etappen im Angebot. Ausgehend von Italien führte der Weg in die USA und dann über Brasilien, Tibet und Südtirol nach Ägypten.
Der singende Poet Gianmaria Testa nahm die Besucher mit in seine italienische Heimat. Mit seiner sanfter Reibeisenstimme umgarnt er die Zuhörer mit anfangs zerbrechlich-melancholischen Liedern. Doch dann zeigt der „Cantautore“, dass er auch Ecken und Kanten hat, dann werden seine Gesänge und die musikalische Begleitung mit Bass, Gitarre und Schlagzeug harscher und aggressiver. Wenn's dem Song dient, dann dürfen es auch mal schräge Klänge und ungewöhnliche Harmonien sein – weit weg ab vom Italo-Pop-Klischee.
Man merkt, dass Testa in seinen Songs voll und ganz aufgeht, dass sie ihm eine Herzenssache sind. Und das überträgt sich schnell aufs Publikum, das ihm mucksmäuschenstill lauscht. Besonders beeindruckend, wie Testa für jeden Song eine eigene musikalische Ausdrucksweise findet, nicht nur mit Sprache, sondern auch mit Tönen dichtet. So wurde der Mittwochabend zu einer jenen Überraschungen, die der Hafensommer immer wieder bereithält, und von denen man ohne ihn in Würzburg sonst wohl nie erfahren würde. Bellissimo!
Nächste Station: der Süden der USA. Von dort kam Lee Fields, der kleine Mann mit der großen Stimme. Als der Soul Ende der 1960er -Jahre ein großes Ding war, kam Fields knapp zu spät, die Karriere blieb ihm versagt. Die holt der 62-Jährige jetzt nach. Zunächst lässt der Meister seine Band „The Expressions“ vorglühen, ehe er auf die Bühne tänzelt. Als er den ersten Ton singt, weiß man: Der Mann meint es ernst.
Wie bei einem besessenen Gospelprediger kommen die Lieder, in denen es entweder um Liebe, Leid und Sehnsucht oder um Fun und Party geht, aus dem Innersten. Herzzerreißende Balladen wechseln sich ab mit James Brown-Funk. Und in jedem Song gibt Fields alles, aber auch wirklich alles. Mr. Hundertprozent hat damit das Publikum schnell um den Finger gewickelt, die Jungen genauso wie die Älteren, bei den Erinnerungen an erste Disconächte wach werden. Einmal mehr ein Beweis, dass ehrliche und authentische Musik immer gut ankommt, auch wenn sie gnadenlos von gestern ist.
Sänger und Gitarrist Lucas Santtana und seine beiden Begleiter an Bass und Gitarre sowie Electro Drums und sonstiger Elektronik machten tags darauf den den traditionellen brasilianischen Rhythmen ordentlich Beine und jagten sie durch die Sommernacht. Da treibt die E-Gitarre von Caetano Malta gnadenlos vorwärts – fast wie bei seligen Police-Anfangstagen – und Soundtüftler Bruno Buarque motzt den Triosound auf Breitwandformat auf. Mit den gemächlichen Songs eines Gilberto Gil oder Caetano Veloso hat das nur noch wenig zu tun, vielmehr aber mit den metropolitanen Dancefloors. Bleibt nur eine Frage offen: Warum waren es ausschließlich Frauen, die am Freiag zu Santtanas Musik tanzten?
Von Südamerika ging's um die halbe Welt, nach Tibet. Mit einer kraftvoll-klaren Stimme verzaubert die Sängerin Soname ihr Publikum. Die Melodien und der Stil der Sängerin, die heute in London lebt, mögen tibetisch sein – ihre Arrangements sind global und erzählen Geschichten. Da lässt die 40-Jährige mit ihrem Cellisten aus Kambodscha und dem Drummer aus Kolumbien tibetischen Pferde über die Hügel traben und ihr winziges Londoner Zimmerchen beben. Die Musikerin mit Zopf bis an den Boden wohnt an der viergleisigen Eisenbahnlinie – eine rüttelnde Erfahrung, die sie in Musik bannt. Markdurchdringend ihre Huldigung an seine Heiligkeit, den Dalai Lama: tibetischer Operngesang a-capella!
Den Abend beschlossen auf der musikalischen Weltreise drei selbstbewusste junge Frauen aus den Dolomiten: Abgesehen davon, dass „Ganes“ auf Ladinisch singen, haben sie so gar nichts Alpenländisches an sich. Eingängige Songs im poppigen Gewand – eine leichte musikalische Unterhaltung, der nicht nur das Publikum auf der Tribüne folgte. Dass jedermann ohne Karten in den Biergarten auf den Mainwiesen kommt, scheint sich herumgesprochen zu haben. Das lauschige Plätzchen am Main war am Samstagabend bestens besucht.
Mit ihrem siebenköpfigen Ensemble, allesamt hervorragende Musiker an ihren Instrumenten, tauchte die Anglo-Ägypterin Natacha Atlas tief in die arabisch/nordafrikanische Klangwelt ein. Die ist für ungeübte Hörer nicht immer ganz leicht zu verstehen, denn ihre Melodien und Rhythmen entsprechen häufig nicht „westlichen“ Hörgewohnheiten. Doch Natacha Atlas schaffte es ihr Set mit klassisch-arabischer Musik, in dem sie mehrmals auf Lieder der libanesischen Sängerin Fairuz zurückgriff, durch englische oder französische Lieder aufzulockern und die leider nur wenigen Zuhörer mitzunehmen. Eine besondere Überraschung hatte sie parat, als sie das wunderbare „Riverman“ des viel zu früh verstorbenen britischen Songwriters Nick Drake arabisch unterlegte. Auch ihren Musikern ließ sie viel Raum, denn sie durften alle durch ein längeres Solo auf sich aufmerksam machen, wobei die beiden Percussionisten – zunächst einzeln und dann gemeinsam – mit einer spektakulären Einlage glänzten.